Offene Rechnungen
Woher wissen die das? „Wir teilen ein Geheimnis mit Ihnen, das nicht nur die Art verändern wird, wie Sie reisen (Sie werden die Economyclass nie wieder sehen!) …).“
Die haben völlig recht, ich würde, wenn ich könnte, tatsächlich die Economyclass nie wieder sehen. Aber sie haben das nicht mir geschrieben, sondern der Dame. Und das macht mich misstrauisch. Es beweist, dass diese Leute nicht wirklich gut recherchieren können. Denn die Adressatin neigt eher selten dazu, den Posteingang ihrer privaten E-mail zu kontrollieren. Nun nutzen wir aber zu Hause häufig das gleiche Ipad, und so habe ich den Zugriff auf ihre Mails.
Ich meine, nicht dass wir zu Hause nicht das Briefgeheimnis wahren, ich würde nie einen geschlossenen Umschlag öffnen. Es sei denn, das geschieht mit ihrer ausdrücklichen und dankbaren Billigung, so Briefe mit Absendern wie „Bürgeramt Erfurt Bußgeldstelle“. Irgendjemand muss das schließlich überweisen. Zur Belohnung darf ich die schönen Schnappschüsse behalten, die sie immer mit dazulegen. Ich pinne sie an den Balken unserer Dachwohnung neben dem Schreibtisch, so blicke ich gern und häufig in das konzentrierte Gesicht der Liebsten, wenn sie auf dem Heimweg so richtig Speed macht, um des liebenden Gatten nicht länger zu entraten.
Außerdem haben diese Leute, die uns Kredite anbieten, unsere finanzpolitische Situation nicht korrekt recherchiert. Ich meine, das Leben kostet, und wir kaufen immer noch Bananen, wir fahren immer noch in Urlaub, obgleich Bodo Ramelow das entgegen der verbreiteten Erwartung von Mike Mohring & Friends nicht abgeschafft hat. Und so einen Kredit muss man ja zurückzahlen, was wir im Übrigen ja auch tun. Für die neue Wohnung hier, damit nicht die Bank einzieht, deutlich weniger für die Einrichtung der alten Wohnung, in der wir nicht mehr wohnen, der ist bald abbezahlt, für ihr Auto. Ich verdinge mich ja schon als Lohnschreiber, hier & da & dort, mehr da & dort, andere müssen auch sparen. Für die dort muss ich sogar nachts nach der Premiere jeweils eine „Nachtkritik“schreiben, weil sie den komischen Ehrgeiz haben, dass ihre Leser das schon am nächsten Morgen lesen wollen. Und vergangene Woche habe ich sogar in der Bibliothek Kölleda als Thüringer Mundartkomiker gearbeitet, die Leute da waren so nett, dass ich mich beinahe geniert habe, das Honorar zu nehmen. Ich hab‘s dann aber dennoch genommen, was will man machen.
Na ja, die Dame erhält in besagtem Postfach jede Menge Lösungsangebote. Pia Kraus zum Beispiel hat ihr eines geschickt. „Ihre Rechnung ist noch offen“, steht im Betreff, damit sie es auch liest. Wieder ein schönes Beispiel schlechter Recherche, denn die Adressatin liest es trotzdem nicht. Aber ich, denn vor einigen Wochen erhielt sie die ernst gemeinte Mahnung einer Partnerschaftsvermittlung, bei der sie nie war. Sie gab mir ihr eheweibliches Ehrenwort, daselbst nie nach Alternativen gesucht zu haben, woraufhin ich das Geld, das bereits von ihrem Konto abgebucht war, wieder zurückbuchte. was ich den guten Leuten auch mitgeteilt hatte. Sie wollten dann das Geld wiederhaben und drohten mit Inkasso. Ich verlangte irgendeine Unterschrift zu sehen und eine Erklärung, wie sie an die Kontodaten gekommen waren, sie hatten die eine nicht und die andere auch nicht, aber nach wie vor eine Geldforderung. Als ich dezent andeutete, es handele sich bei uns um zwei Journalisten einer großen Thüringer Zeitung und man könne das gern googeln: Siehe, sie schrieben, „aus Kulanz“verzichte man großzügig.
In diesem Falle allerdings war der Betreff nur der, wie wir von der Zeitung gern sagen, Eyecatcher, und drinnen stand: „Wenn Sie daran interessiert sind, online enorm hohe Gewinne zu erzielen, ist diese Mail Gold wert.“Man müsse dazu nur klicken, aber irgendwie hab ich mich nicht getraut. Ich meine, ich hab einfach Angst, was so ein Berg Gold mit mir macht.
Carla Koch wiederum schrieb: „Es freut uns, Ihnen mitzuteilen, dass Sie ausgewählt wurden, um unter 40 glücklichen Leuten zu sein, die jeden Tag 6000 bares Geld bekommen.“Einmal beiseite, dass Carla nicht verriet, in welcher Währung und wie ich so viel Bares täglich zur Bank bringe, habe ich mich gefragt, was das sein könnte. Eigentlich doch nur Profifußballer, Vorstand in einem Dax-konzern oder ein ordentlicher Bruch in einer richtig guten Bank. Zum Fußball aber bin ich mit meiner Feinmotorik nur tauglich bis zum Erfurter Stadion, und da ist man hart am Bankrott, am gehobenen Management mag ich den Dresscode nicht und zum Bankenknacken bin ich zu alt, man ist ja schließlich keine 60 mehr.
Und also hat sie wieder mal recht: Es lohnt sich nicht, die Mails zu lesen.