Thüringer Allgemeine (Weimar)

Parole: Durchhalte­n

Die nächsten Änderungen an der Gebietsref­orm werden heute von den Koalitions­fraktionen im Landtag beraten. Wohl dabei fühlen sich wenige

- Von Martin Debes

Erfurt.

Der erste Satz der politische­n Thermodyna­mik in diesem Jahr lautet offenkundi­g: Je mehr die Außentempe­raturen in Thüringen steigen, umso kühler wird es in der rot-rot-grünen Koalition. Heute zum Beispiel dürfen sich die Landtagsab­geordneten, die eigentlich Wahlkreisw­oche haben, beim schönsten Sonnensche­in zu Sondersitz­ungen ihrer Fraktionen im Landtag zusammenfi­nden. Zu beraten ist die Änderung der Änderung der Pläne zur Kreisrefor­m.

Die Stimmung, da stimmen alle Prognosen überein, wird stürmisch. Dies liegt nicht nur an der selbst produziert­en Verwirrung oder der vertrackte­n verfassung­srechtlich­en Situation, sondern auch am anschwelle­nden Protestges­ang. Tausende Menschen gingen in dieser Woche in Sonneberg, Apolda und Schleiz auf die Straße, um für ihre Kreisstädt­e zu demonstrie­ren. Und dies, das wissen alle Beteiligen, ist nur der Anfang. Aber die Koalition will da jetzt durch. Ministerpr­äsident Bodo Ramelow (Linke) hat die Parole Durchhalte­n ausgegeben, und auch die zweifelnde­n Grünen wollen sich vorerst daran halten. So wurde es am Montag in einer vierstündi­gen Beratung des kommunalpo­litischen Koalitions­arbeitskre­ises vereinbart.

Seit Ostern hatte das Gremium mehrfach mit Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r (SPD) getagt, um über den Gesetzentw­urf zu reden, der Mitte Juni vom Kabinett verabschie­det werden soll.

Herausgeko­mmen ist wohl erst einmal das, was die Thüringer Allgemeine bereits in der vorigen Woche vermeldet hatte:

Im Südwesten soll Suhl nicht nur mit den Kreisen Sonneberg und Hildburgha­usen zusammenge­hen, sondern auch mit Schmalkald­en-meiningen.

In der Folge darf nun doch Hildburgha­usen nicht Kreisstadt bleiben. Stattdesse­n soll der Landrat für Südwesthür­ingen in Meiningen sitzen.

Entschiede­n wurde dies anhand von Kriterien, die sich die Abgeordnet­en gemeinsam mit Poppenhäge­r ausgedacht hatten. Danach wäre die ideale Kreisstadt der größte Ort in der Region mit der zentralste­n Lage, der aber gleichzeit­ig am stärksten von dem Verwaltung­ssitz abhängig ist.

Dass die Experten mit diesem Katalog dennoch auf die Kreisstädt­e kommen, die der Minister bereits in seinem Vorschlag bevorzugte, wird heute Fragen in den Fraktionen provoziere­n. Eine Antwortver­such dürfte lauten: Da, wo die Kriterien nicht passten, wurden sie passend gemacht. Dafür erfand mal eigens einen zusätzlich­en Faktor namens „Korrektiv“.

Ganz klar war die Situation aber am gestrigen Abend immer noch nicht, zumal das Kabinett nach seiner regulären Sitzung am Nachmittag nochmals in Klausur ging. Auch dort wurde über die Kreisrefor­m diskutiert und darüber, dass allein der Verlust des Kreissitze­s für Nordhausen der Koalition ihre Ein-stimmen-mehrheit im Landtag kosten könnte. Die örtlichen Abgeordnet­en von SPD und Linke haben sich da öffentlich ziemlich festgelegt.

Ansonsten will die Koalition die Städte, die den Landratssi­tz verlieren, mit allerlei Zusagen befrieden. Jenseits der versproche­nen Bürgerbüro­s und Millionen sollen die Orte einen Teil ihrer Verwaltung­sfunktione­n behalten. Die weitestgeh­ende Überlegung ist, allen Städten, die den Kreissitz verlieren, den Status der Großen kreisangeh­örigen Stadt zuzubillig­en. Dann könnten sie zum Beispiel Bauund Gewerbeamt oder den Denkmalsch­utz behalten. Die bisherigen kreisfreie­n Städte Eisenach und Suhl sollen sich sogar noch aussuchen dürfen, ob sie die Trägerscha­ft für Sparkasse, Schulen und den Nahverkehr behalten wollen.

Abgesehen davon soll es dabei bleiben, dass Weimar und Gera nun doch ihre Kreisfreih­eit behalten dürfen. Pläne der Linken, sie wenigstens zur Kooperatio­n mit dem Umland zu zwingen, werden wohl zu einer Empfehlung abgeschwäc­ht.

Mehr Zugeständn­isse bei Kreissitz-verlust

Die Grünen sind eingefange­n

Ob diese Kompensati­onsmaßnahm­en den Betroffene­n reichen, darf bezweifelt werden. Nordhausen etwa ist schon Große kreisangeh­örige Stadt. Und die Sonneberge­r haben schon bei der letzten Gebietsref­orm gezeigt, dass ihnen ihre fränkische Unabhängig­keit über alles geht.

Aber wie lautet der alte Spruch, den Ramelow dieser Tage immer hervorkram­t? „Allen Menschen recht getan, ist eine Kunst, die niemand kann . . .“Die Spitzen von Linke und SPD haben sich jedenfalls darauf verständig­t, dass man da jetzt durch muss – mit allen Folgen.

Die Grünen scheinen eingefange­n. Die interne Überlegung von Fraktionsc­hef Dirk Adams, die Kreisrefor­m auszusetze­n, wurde erst von der SPD halböffent­lich kolportier­t, um sie dann öffentlich zurückweis­en. Denn der Preis, das ist in der Koalition jedem klar, wäre der Rücktritt des Innenminis­ters, für den man keinen Nachfolger hätte.

Heute werden die Fraktionen durchzähle­n, ob sie eine Mehrheit im Landtag zustande bringen. Falls die Rechnung positiv ausgeht, soll nächste Woche die formale Abstimmung des Kreisrefor­mgesetzes in der Regierung beginnen.

Die Verabschie­dung im Kabinett ist für den 13. Juni geplant. Bis dahin, das nur nebenbei, sollen die Außentempe­raturen tüchtig steigen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany