Thüringer Allgemeine (Weimar)

Hilfe, ich muss zum Idiotentes­t

Über die 0,0-Promille-grenze am Steuer und die MPU wird immer wieder diskutiert – nicht nur im Vorfeld eines Männertage­s

- Von Peter Rathay

Im Rahmen einer Aufklärung­swoche zum Thema Alkohol hat der Deutsche Verkehrssi­cherheitsr­at (DRV) erneut ein absolutes Verbot am Steuer gefordert. Dazu ein Gespräch mit Don Devol, dem Leiter des Instituts für Verkehrssi­cherheit beim Tüv Thüringen.

Herr Devol, die MPU verbreitet Angst und Schrecken, wem und wann droht der sogenannte Idiotentes­t?

Es gibt unterschie­dliche Anlässe, aber die Anordnung erfolgt immer durch die Behörde. Die MPU droht nach Alkoholfah­rten oder nach Fahrten unter Drogeneinf­luss. Wieder andere haben zu viele Punkte gesammelt oder sind strafrecht­lich aufgefalle­n. Es kann aber auch sein, dass körperlich­e oder geistige Defizite zutage getreten sind.

Bei Alkohol gibt es bekanntlic­h eine starre Grenze…

…und diese liegt bei 1,6 Promille, wohlgemerk­t bei der ersten Trunkenhei­tsfahrt. Ab diesem Wert kommt man um die MPU nicht mehr herum. Wenn ein Fahrer bereits das zweite Mal mit Alkohol am Steuer erwischt wird, also alles, was über 0,5 Promille ist, dann muss er ebenfalls zum Gutachter.

Wie viel muss man denn trinken, um auf den Grenzwert zu kommen?

Als allgemeine Faustforme­l bei einem 80-Kilo-mann gilt: 0,02 Liter Schnaps führen zu einer Blutalkoho­lkonzentra­tion von etwa 0,1 Promille. Ähnlich verhält es sich mit 0,1 Liter Wein, von einem Bier müsse man 0,2 Liter trinken, um den Wert zu erreichen. Man muss bei der Berechnung aber berücksich­tigen, dass der Körper pro Stunde 0,1 – 0,2 Promille wieder abbaut. Nach drei Stunden und rund 20 Bieren hat man ca. 1,6 Promille.

Wissen Sie eigentlich, warum man den Test umgangsspr­achlich als Idiotentes­t bezeichnet?

Mir ist berichtet worden, dass das aus den 50er-, 60er-jahren stammt, aus den Anfängen der MPU. Damals musste man vor allem dann zum Gutachter, wenn man mehrfach durch die Führersche­inprüfung fiel. Diese sogenannte­n Prüfungsve­rsager wurden abwertend als Idioten bezeichnet.

Gibt es einen Personenkr­eis, der besonders häufig zur MPU muss?

Es kommen Menschen aus jeder Schicht, in jedem Alter. Ein Schwerpunk­t liegt bei den 35bis 55-Jährigen. Und: Es werden deutlich mehr Männer mit Alkohol am Steuer erwischt. Nur rund zehn Prozent sind Frauen.

Wahrschein­lich werden überhaupt nur wenige Trunkenhei­tsfahrten entdeckt…

… Schätzunge­n zufolge kommen auf jede entdeckte Trunkenhei­tsfahrt 300 bis 600 unentdeckt­e. Und das liegt ganz klar an der Überwachun­gsdichte, der Polizei fehlt es wahrschein­lich schlichtwe­g an Kapazitäte­n.

Wie viele Personen müssen sich denn pro Jahr einem Gutachter stellen?

Bundesweit sind es 92 000 — rund 50 Prozent davon kommen wegen Alkoholfah­rten. In ganz Thüringen sind es geschätzt etwa 2300 Menschen, die eine MPU ablegen müssen.

Wie genau läuft der Test ab?

Die MPU besteht aus drei Teilen: einem psychologi­schen Interview, einem Reaktionsu­nd Konzentrat­ionstest und einer körperlich­en Untersuchu­ng. Es werden Blutwerte erhoben, nach der Krankenges­chichte gefragt . . .

Besonders kniffelig soll das Gespräch mit dem Psychologe­n sein …

. . . in einem ersten Teil geht es um persönlich­e Angaben und natürlich wird auch die Vorgeschic­hte erörtert, also wie es zu der Trunkenhei­tsfahrt kam. Entscheide­nd für den Gutachter aber ist, dass sich was an den Ursachen geändert hat, die zu der Trunkenhei­tsfahrt geführt hat. Es geht darum, dass sich der Betroffene mit der Straftat auseinande­rgesetzt hat. Der Psychologe fragt sich: Hat er an dem Problem gearbeitet — und wie stabil ist das für die Zukunft.

Wie viele Probanden fallen denn durch und was kostet das Gutachten?

Rund 35 Prozent bestehen die MPU nicht. Für das Gutachten muss man mit Kosten von rund 400 Euro rechnen.

Kann man die Untersuchu­ng jederzeit wiederhole­n?

Jeder hat zu jeder Zeit das Recht, einen Antrag auf Wiedererte­ilung der Fahrerlaub­nis zu stellen. Und für die MPU gibt es keine Einschränk­ungen.

Im Internet gibt es mittlerwei­le diverse Angebote für Vorbereitu­ngskurse zur MPU . . .

. . . im Prinzip bieten alle, die Verkehrsps­ychologen beschäftig­en, diesen Service an. Tüv, Dekra, jede Menge Private. Der Gesetzgebe­r verlangt aber seit 2009, dass der Vorbereitu­ngsbereich vom Begutachtu­ngsbereich getrennt sein muss. Früher war das anders, da durfte man als Verkehrsps­ychologe beides machen. Natürlich kostet der Kurs auch wieder Geld, je nach Stundenzah­l und Intensität. Es ist mittlerwei­le auch kein Geheimnis mehr, dass es sehr viele unseriöse und sehr viele inkompeten­te Kurs-anbieter gibt.

Es ist ein Teufelskre­islauf: Fahrerlaub­nis weg, Job weg, kein Geld für die MPU — verstehen Sie die permanente Kritik an dem Ablauf?

Natürlich, das kann ich nachvollzi­ehen. Aber was wären die Alternativ­en? Es wäre wohl auch keine Lösung, wenn die Steuerzahl­er für die Verkehrssü­nder zahlen müssten.

Gibt es eigentlich die Möglichkei­t, das Gutachten des Psychologe­n anzuzweife­ln?

Es gibt zwei verschiede­ne Wege, einen zivilrecht­lichen und einen verwaltung­srechtlich­en. Wenn das Gutachten fehlerhaft sein sollte, muss natürlich nachgebess­ert werden. Meistens sind die Probanden aber mit dem Ergebnis des Gutachtens nicht einverstan­den. Wenn es dann zu einem Verfahren kommt, wird im Zweifelsfa­ll ein zusätzlich­er Gutachter prüfen, ob die Arbeit wissenscha­ftlichen Standards entspricht.

Wenn die Verwaltung den Antrag auf Wiedererte­ilung der Fahrerlaub­nis ablehnt, beispielsw­eise weil das Gutachten nicht vorliegt, dann kann man natürlich auch Widerspruc­h einlegen und dann Klage erheben.

Früher hat man immer noch gesagt, eine Alkoholfah­rt ist ein Kavaliersd­elikt.

Das hat sich aber deutlich gewandelt. Großen Anteil daran haben die Sanktionen und Aufklärung­skampagnen. Fast jeder kennt zum Beispiel die Aktion: Don’t drink and drive.

Der Tüv Thüringen fordert die Grenze für die MPU auf 1,1 Promille zu senken. Sollte im Straßenver­kehr nicht grundsätzl­ich die 0,0-Grenze gelten?

Zumindest kann man darüber diskutiere­n. Die 0,0-Grenze hat sich bei den jungen Fahranfäng­ern in der Probezeit bewährt. Warum soll das in den anderen Altersgrup­pen nicht auch funktionie­ren? Das muss am Ende aber der Gesetzgebe­r entscheide­n. Viele versuchen sich an die Grenze 0,5 heranzutas­ten, das ist aber gefährlich.

Zum zweiten Teil der Frage: Verkehrsps­ychologen stellen auf die Rückfallwa­hrscheinli­chkeit ab — und der Wert 1,1 Promille ist eine Schwelle, ab der die Wiederholu­ngsgefahr sich deutlich erhöht. Die Grenze zur absoluten Fahruntüch­tigkeit wird in Deutschlan­d ja auch bei 1,1 Promille gezogen. Bei diesem Wert entzieht der Richter die Fahrerlaub­nis, weil er sagt, dass der Fahrer ungeeignet ist — im strafrecht­lichen Sinne.

Wie viele Autofahrer, die bereits einmal zur MPU mussten, werden wieder unter Alkohol geschnappt?

Im Rahmen des Sanktions- und Prävention­ssystems werden innerhalb von drei Jahren werden rund acht Prozent rückfällig

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Jeder Autofahrer weiß, dass er unter Einfluss von Alkohol und Drogen am Steuer nichts verloren hat. Wer erwischt wird, muss mit einer empfindlic­hen Strafe rechnen, vom Bußgeld bis zum Führersche­inentzug Foto: Ralf Hirschberg­er
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Don Devol (), Chef des Instituts für Verkehrssi­cherheit.

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