Thüringer Allgemeine (Weimar)

Mallwitz’ letzte Spielzeit

Erfurts Generalmus­ikdirektor­in verabschie­det sich im Sommer 2018 – Montavons Motto lautet „Auf gut Deutsch?“

- Von Wolfgang Hirsch

Erfurt.

Joana Mallwitz will Erfurt definitiv im Sommer nächsten Jahres verlassen. Das gab die in der Landeshaup­tstadt äußerst beliebte Generalmus­ikdirektor­in gestern bekannt. Zu ihren letzten Musiktheat­er-produktion­en in der neuen Spielzeit 2017/18 hat sie Mozarts „Zauberflöt­e“, Cherubinis „Medea“und „Die lustige Witwe“von Franz Lehár erkoren.

Mallwitz trat ihr Amt vor drei Jahren als damals jüngste Generalmus­ikdirektor­in Deutschlan­ds an und hat das Opern- und Konzertpub­likum mit ihrem Charme verzaubert. Zugleich sammelte die inzwischen 30-Jährige wichtige Erfahrunge­n und Repertoire­kenntnisse; nun strebt sie offenbar nach höheren Weihen. Wohin die Reise geht? Darüber schweigt sie sich noch beharrlich aus. Inzwischen hat die Dirigentin mit Gast-engagement­s Tuchfühlun­g zur europäisch­en Top-liga aufgenomme­n, hat in Zürich debütiert, mehrfach in Frankfurt im Graben gestanden und wird ab nächster Woche fünf Mal am Königliche­n Opernhaus Kopenhagen dirigieren, was sie anschließe­nd in Erfurt auch auf dem Notenpult liegen hat: Verdis „Macbeth“.

„Das finde ich einerseits ganz schrecklic­h“, kommentier­te Intendant Guy Montavon gestern ihren planvollen Abschied, „anderersei­ts gut, weil ihre Karriere weitergeht.“Im Konzertwes­en hat Mallwitz sich für Erfurt noch einige Meilenstei­ne vorgenomme­n, u. a. Mahlers Fünfte und Bartóks Konzert für Orchester. Für ihr letztes Konzert programmie­rt sie beschwingt Strawinsky­s „Petruschka“und „Ungarische Tänze“von Brahms.

Die neue Saison hat Montavon unter das Motto „Auf gut Deutsch?“gestellt, will sich damit jedoch nicht auf leidige Leitkultur- oder Nationalis­musdebatte­n einlassen. Vielmehr gehe es um deutsche Identität im europäisch­en Kontext, erklärte der Intendant und Regisseur, der selbst außer dem Flüchtling­sdrama „Medea“den von Richard Wagner ursprüngli­ch für Paris avisierten „Fliegenden Holländer“inszeniere­n wird. Beide Stücke sind als Koprodukti­onen vorgesehen: Die „Medea“kommt aus Nizza (mit Ilia Papandreou in der Titelparti­e), für Wagners Sturmschif­fer will Montavon sogar bis nach Shanghai segeln.

Virulenter wird das vermeintli­ch teutonisch­e Leitthema mit zwei anderen, im Abstand von 100 Jahren in Berlin uraufgefüh­rten Werken: Mischa Spoliansky­s rasanter Kabarettre­vue „Es liegt in der Luft“und Gaspare Spontinis „Agnes von Hohenstauf­en“. Spoliansky, in Russland geboren, musste 1933 nach England emigrieren und wurde dort eingebürge­rt; mit seiner 1928 uraufgefüh­rten Revue, in der die da noch völlig unbekannte Marlene Dietrich mitspielte und -sang, reflektier­t er das pulsierend­e Lebensgefü­hl der „Roaring Twenties“.

Spontini dagegen, im Kirchensta­at auf italienisc­hem Boden geboren, reüssierte – im Gegensatz zu Wagner – in Paris und übernahm 1820 als GMD die Königliche Oper im preußische­n Berlin; eine Vor-uraufführu­ng seiner erst in Teilen fertiggest­ellten historisch-romantisch­en Oper erfolgte aus Anlass der Hochzeit Maries von Sachsen-weimar-eisenach mit Prinz Carl von Preußen. Montavon bezeichnet­e gestern die „Agnes“

als „das absolute Highlight der kommenden Spielzeit“. Laut Recherchen des Chefdramat­urgen Arne Langer ist die Oper seit 150 Jahren nicht in Deutschlan­d gespielt worden; mit dieser Ausgrabung möchte Montavon überregion­ale Aufmerksam­keit erzielen.

Das Märchen-musical „Grimm!“von Thomas Zaufke und Peter Lund führt mit der „wirklich wahren Geschichte von Rotkäppche­n und ihrem Wolf“auf jeden Fall gedanklich ins deutsche Unterholz, während die achte Neuprodukt­ion 2017/18, die

Barockoper „La Calisto“von Cavalli, jeglichem germanisch­en Identitäts­bezug hartnäckig widersteht – ebenso wie Bizets „Carmen“auf den Domstufen 2018.

Zu Gastspiele­n begrüßt Montavon das Thüringer Staatsball­ett Gera mit den Produktion­en „Keimzeit“und „Dracula“, im Schauspiel kommt Lessings „Nathan“in der Inszenieru­ng Hasko Webers aus Weimar und eine Sprechthea­terfassung von John M. Coetzees „Warten auf die Barbaren“aus Würzburg; die gleichnami­ge Oper von Philip Glass war in Erfurt uraufgefüh­rt worden. Über eine weitere Zusammenar­beit mit dem DNT Weimar auf dem Gebiet der Oper orakelte Montavon vorerst noch unkonkret: „Es steht ein Titel schon im Raum“, sagte er zwar. Doch werde das zweite gemeinsame Projekt nach den „Meistersin­gern“erst in der übernächst­en Saison realisiert; die erste Premiere soll dann in Weimar stattfinde­n.

Ansonsten spart man in Erfurt mit Superlativ­en nicht, errechnet eine 86-prozentige Auslastung dank 174000 Besucher im Kalenderja­hr 2016 und laut Verwaltung­sdirektori­n Angela Klepp-pallas einem deutlichen Zuwachs beim jungen Publikum. Um diesen Trend weiter zu fördern, hat man nun drei neue Vermittlun­gsformate etabliert, die es in ähnlicher Form allerdings an anderen Häusern schon gibt.

www.theater-erfurt.de

 ??  ?? Hoch geht‘s her im „Pariser Leben“von Offenbach. Nächste Saison wird die Operette wiederaufg­enommen. Foto: Lutz Edelhoff
Hoch geht‘s her im „Pariser Leben“von Offenbach. Nächste Saison wird die Operette wiederaufg­enommen. Foto: Lutz Edelhoff

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