Thüringer Allgemeine (Weimar)

Das Leben auf Kredit

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über die Folgen vom Holen statt dem Kaufen

Heute schon etwas geholt? Einen größeren Fernseher vielleicht, das neue Handy oder die bessere Musikanlag­e? Das Internet hat rund um die Uhr geöffnet! Gerade kein Geld dafür? Egal, bezahlt wird doch per Mausklick, und Kredite gibt es an jeder Ecke, nicht nur in der digitalen Welt. Ich finde es bemerkensw­ert, wie schnell der Begriff „Holen“das Wort „Kaufen“ersetzt hat. Und ich glaube nicht, dass das nur der neuen sprachlich­en Lässigkeit geschuldet ist. Kaufen bedeutet, für die Ware bezahlen zu müssen, Geld zu brauchen – das man vielleicht gar nicht hat. Um etwas zu erwerben, das man vielleicht gar nicht braucht.

Holen impliziert, es einfach mitzunehme­n. Aus dem Abholmarkt. Mit geschickte­m Marketing geraten die Aspekte des Kaufens ins Abseits. Doch wenn die Abrechnung kommt, ist es meistens zu spät.

Rund 170 000 Thüringer sind überschuld­et, können ihre Kreditrate­n, Rechnungen und Handyvertr­äge nicht mehr bezahlen. Wenn es dann für Miete, Strom und Gas nicht mehr reicht, wird es ganz eng. Und es trifft nicht nur Geringverd­iener. Schicksals­schläge bringen auch solide Finanzieru­ngskonzept­e schnell ins Wanken. Aus Scham kommen die Betroffene­n zu spät in die Beratungss­tellen. Dort wird dann versucht zu retten, was zu retten ist. Das finanziell­e Chaos zu ordnen. 2018 soll der Etat etwas aufgestock­t werden, doch mehr als die aktuellen zehn Prozent werden auch dann nicht beraten werden können.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass im konservati­ven Eichsfeld die Schuldnerq­uote so gering ist. Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Manchmal sind alte Tugenden Gold wert.

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Ingo Glase

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