Thüringer Allgemeine (Weimar)

Wer ist Helmut Holter?

Der linke Politiker aus Schwerin dürfte in Thüringen seine letzte berufliche Chance als Bildungsmi­nister erhalten – muss aber noch warten

- Von Martin Debes

Erfurt.

Der Barocksaal in der Staatskanz­lei ist so etwas wie die Edelbühne der Landespoli­tik. Zwischen Stuck und Blattgold werden bevorzugt Verdiensto­rden umgehängt, Empfänge gegeben und programmat­ische Reden gehalten.

Am gestrigen Mittag steht hier ein großer, grauhaarig­er Mann neben dem Ministerpr­äsidenten. Während Bodo Ramelow (Linke) einen längeren Vortrag über die Bildungspo­litik im Allgemeine­n (Lehrermang­el) und im Besonderen (die Lehrausbil­dung im Haflinger-gestüt Meura) hält, blickt er etwas angestreng­t in die Tiefe des Raumes.

Es ist ja auch keine einfache Situation für Helmut Holter. Seit Monaten arbeitet er in einer Kommission mit, die nicht weniger als eine große Schulrefor­m beschreibe­n sollte. Die Ergebnisse (siehe Kasten rechts) werden an diesem Tag vorgestell­t.

Doch schon kurz nach Holters Berufung hieß es, dass er die glücklose Kultusmini­stern Birgit Klaubert (Linke) ersetzen solle. Zuletzt verdichtet­e sich dann das Gerücht zur Fast-gewissheit: Falls Klaubert mitmache, werde er diese Woche in der finalen Landtagssi­tzung vor der Sommerpaus­e im Amt vereidigt.

Doch die Ministerin macht nicht mit. Sie wolle, heißt es, ihren Abgang nicht so hinnehmen. Ramelow wiederum kann sie nicht einfach entlassen. Das würde ihm ein größerer Teil seiner Partei nicht verzeihen, und er sich wohl selbst auch nicht. Zumal: Klaubert war seit Anfang des Jahres schwer erkrankt und ist gerade erst genesen.

Man benötigt also noch einige Tage, um einen gesichtswa­hrenden Wechsel vorzuberei­ten – was zu der merkwürdig­en Konstellat­ion führt, dass im Barocksaal nebenher ein künftiger Minister vorgestell­t wird, ohne dass ihn jemand Minister nennen darf. Als Ramelow dazu gestern erwartungs­gemäß befragt wird, sagt er das, was er sich zu sagen vorgenomme­n hat: Nämlich nicht viel. Er wiederholt nur seine Sprachrege­lung, die seit zwei Wochen gilt: Dass er mit Klaubert bereden werde, ob sie weitermach­en könne – oder eben nicht. Dies gebiete die „Fürsorgepf­licht“, zumal es einen letzten Befund abzuwarten gelte.

Also muss auch Helmut Holter warten. Doch wer ist er eigentlich? „Plattenbau­ten sind in Beton gegossene Geschichte“: So lautet der erste Satz der Eigendarst­ellung, die sich auf der Netzseite des Linke-landtagsab­geordneten in Mecklenbur­g-vorpommern findet.

Holter selbst ist eine in Menschenfo­rm gebrachte Geschichte der SED, die sich zur PDS und dann der Linken wandelte. Als er 1953 in Malliß nahe Ludwigslus­t geboren wird, ist Stalin gerade gestorben und in der DDR gingen die Menschen auf die Straße. Der Vater ist Zimmermann, die Mutter Arzthelfer­in, er wird als Arbeiterki­nd gefördert. Dank Bestnoten darf er nach dem Abitur nach Moskau, um Betonbauin­genieur zu studieren. Danach leitet er die Produktion in einem Betonwerk im Bezirk Neubranden­burg und ist Parteisekr­etär. Eine Dekade später wird er nochmals in die sowjetisch­e Hauptstadt delegiert, um die Parteischu­le der Kommunisti­schen Partei zu absolviere­n. Dort findet der erste, private Bruch in seinem Leben statt: Er verliebt sich in eine Armenierin, lässt sich von seiner deutschen Frau scheiden und heiratet neu. Als Konsequenz für diese Entscheidu­ng macht er nach seiner Heimkehr im Jahr 1987 in der Sed-bezirkslei­tung Neubranden­burg nur eine moderate Karriere. So will er es jedenfalls betrachtet haben.

Aber dies ist wohl sein Glück beim bald darauf folgenden, politische­n Bruch. Als sich die DDR auflöst, ist Holter, der in Moskau schon ein bisschen Glasnost mitbekomme­n hat, bereit für den Neuanfang. 1991 wird er Chef der PDS in Mecklenbur­g-vorpommern, 1994 zieht er in den Landtag ein.

Holter ist ein ideologisc­h geschulter Apparatsch­ik, aber machtorien­tiert und flexibel. Früh ordnet er sich in das sogenannte Reformlage­r in der PDS ein. Er will regieren. Als 1998 die erste echte rot-rote Landesregi­erung gebildet wird, steigt er zum Bau- und Arbeitsmin­ister auf und ist nebenbei stellvertr­etender Ministerpr­äsident.

Auch nach dem Ende der Koalition 2006 hält sich Holter in der Fraktionss­pitze im Landtag. 2011 tritt er erfolglos als Spitzenkan­didat an und 2016 noch einmal. Doch nach der Niederlage bei der Landtagswa­hl im vergangene­n September (minus 5,2 Prozentpun­kte auf 13,2 Prozent) stürzt er als Fraktionsc­hef. Die „Palastrevo­lte“, wie er sie nennt, ist für ihn „ein Desaster“.

Jetzt also, mit 64, der mutmaßlich­e Neuanfang – obwohl er nach allem, was man aus dem Norden hört, von Bildung so viel Ahnung hat wie ein Lehrer von Beton. Natürlich wird er bei der gestrigen Pressekonf­erenz in der Staatskanz­lei befragt, ob er sich den Job fachlich zutraue.

Die Antwort ist erhellend. Nach dem Pflichtsat­z, dass er nur über Tatsachen und nicht über Spekulatio­nen rede, hält Holter eine Bewerbungs­rede. Er habe, sagt er, seit 1991 in führenden Positionen gearbeitet und sei daher ein „Generalist“mit „Macherqual­itäten“.

„Es geht darum“, sagt er, „die Probleme anzupacken“.

Vorschläge der Kommission

Der von der Regierung eingesetze­n Kommission „Zukunft Schule“gehören neben Helmut Holter die Altenburge­r Landrätin Michaele Sojka (beide Linke), der frühere Offenburge­r Bürgermeis­ter Dieter Eckert (CDU) und Landesverw­altungsamt­schef Frank Roßner (SPD) an. Sie schlagen vor:

Ausbau der Vertretung­sreserve von 100 auf 550 Pädagogen, um dem Unterricht­sausfall (fünf Prozent der Schulstund­en) zu begegnen. Wie bereits in der Regierung geplant, soll das Land gesetzlich­e Eckwerte für Klassen (minimal 15 Schüler, maximal 25 Schüler) vorgeben können. Dabei könnten aber Ausnahmen gemacht werden. Kooperatio­nen zwischen kleinen Schulen sollen in ländlichen Gebieten einzelne Standorte erhalten. Junge Lehrer könnten mit Werbekampa­gne und Studiensti­pendien gewonnen werden. Die Reform der Schulverwa­ltung soll im Dialog mit allen Beteiligte­n angegangen werden.

Der politische Bruch folgt dem privaten

Die Opposition von CDU und AFD kritisiert die Forderunge­n als Angriff von Rot-rot-grün auf viele kleine Schulen im ländlichen Raum.

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Helmut Holter ( Linke) gestern in der Thüringer Staatskanz­lei in Erfurt. Foto: Martin Schutt, dpa

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