Wer ist Helmut Holter?
Der linke Politiker aus Schwerin dürfte in Thüringen seine letzte berufliche Chance als Bildungsminister erhalten – muss aber noch warten
Erfurt.
Der Barocksaal in der Staatskanzlei ist so etwas wie die Edelbühne der Landespolitik. Zwischen Stuck und Blattgold werden bevorzugt Verdienstorden umgehängt, Empfänge gegeben und programmatische Reden gehalten.
Am gestrigen Mittag steht hier ein großer, grauhaariger Mann neben dem Ministerpräsidenten. Während Bodo Ramelow (Linke) einen längeren Vortrag über die Bildungspolitik im Allgemeinen (Lehrermangel) und im Besonderen (die Lehrausbildung im Haflinger-gestüt Meura) hält, blickt er etwas angestrengt in die Tiefe des Raumes.
Es ist ja auch keine einfache Situation für Helmut Holter. Seit Monaten arbeitet er in einer Kommission mit, die nicht weniger als eine große Schulreform beschreiben sollte. Die Ergebnisse (siehe Kasten rechts) werden an diesem Tag vorgestellt.
Doch schon kurz nach Holters Berufung hieß es, dass er die glücklose Kultusministern Birgit Klaubert (Linke) ersetzen solle. Zuletzt verdichtete sich dann das Gerücht zur Fast-gewissheit: Falls Klaubert mitmache, werde er diese Woche in der finalen Landtagssitzung vor der Sommerpause im Amt vereidigt.
Doch die Ministerin macht nicht mit. Sie wolle, heißt es, ihren Abgang nicht so hinnehmen. Ramelow wiederum kann sie nicht einfach entlassen. Das würde ihm ein größerer Teil seiner Partei nicht verzeihen, und er sich wohl selbst auch nicht. Zumal: Klaubert war seit Anfang des Jahres schwer erkrankt und ist gerade erst genesen.
Man benötigt also noch einige Tage, um einen gesichtswahrenden Wechsel vorzubereiten – was zu der merkwürdigen Konstellation führt, dass im Barocksaal nebenher ein künftiger Minister vorgestellt wird, ohne dass ihn jemand Minister nennen darf. Als Ramelow dazu gestern erwartungsgemäß befragt wird, sagt er das, was er sich zu sagen vorgenommen hat: Nämlich nicht viel. Er wiederholt nur seine Sprachregelung, die seit zwei Wochen gilt: Dass er mit Klaubert bereden werde, ob sie weitermachen könne – oder eben nicht. Dies gebiete die „Fürsorgepflicht“, zumal es einen letzten Befund abzuwarten gelte.
Also muss auch Helmut Holter warten. Doch wer ist er eigentlich? „Plattenbauten sind in Beton gegossene Geschichte“: So lautet der erste Satz der Eigendarstellung, die sich auf der Netzseite des Linke-landtagsabgeordneten in Mecklenburg-vorpommern findet.
Holter selbst ist eine in Menschenform gebrachte Geschichte der SED, die sich zur PDS und dann der Linken wandelte. Als er 1953 in Malliß nahe Ludwigslust geboren wird, ist Stalin gerade gestorben und in der DDR gingen die Menschen auf die Straße. Der Vater ist Zimmermann, die Mutter Arzthelferin, er wird als Arbeiterkind gefördert. Dank Bestnoten darf er nach dem Abitur nach Moskau, um Betonbauingenieur zu studieren. Danach leitet er die Produktion in einem Betonwerk im Bezirk Neubrandenburg und ist Parteisekretär. Eine Dekade später wird er nochmals in die sowjetische Hauptstadt delegiert, um die Parteischule der Kommunistischen Partei zu absolvieren. Dort findet der erste, private Bruch in seinem Leben statt: Er verliebt sich in eine Armenierin, lässt sich von seiner deutschen Frau scheiden und heiratet neu. Als Konsequenz für diese Entscheidung macht er nach seiner Heimkehr im Jahr 1987 in der Sed-bezirksleitung Neubrandenburg nur eine moderate Karriere. So will er es jedenfalls betrachtet haben.
Aber dies ist wohl sein Glück beim bald darauf folgenden, politischen Bruch. Als sich die DDR auflöst, ist Holter, der in Moskau schon ein bisschen Glasnost mitbekommen hat, bereit für den Neuanfang. 1991 wird er Chef der PDS in Mecklenburg-vorpommern, 1994 zieht er in den Landtag ein.
Holter ist ein ideologisch geschulter Apparatschik, aber machtorientiert und flexibel. Früh ordnet er sich in das sogenannte Reformlager in der PDS ein. Er will regieren. Als 1998 die erste echte rot-rote Landesregierung gebildet wird, steigt er zum Bau- und Arbeitsminister auf und ist nebenbei stellvertretender Ministerpräsident.
Auch nach dem Ende der Koalition 2006 hält sich Holter in der Fraktionsspitze im Landtag. 2011 tritt er erfolglos als Spitzenkandidat an und 2016 noch einmal. Doch nach der Niederlage bei der Landtagswahl im vergangenen September (minus 5,2 Prozentpunkte auf 13,2 Prozent) stürzt er als Fraktionschef. Die „Palastrevolte“, wie er sie nennt, ist für ihn „ein Desaster“.
Jetzt also, mit 64, der mutmaßliche Neuanfang – obwohl er nach allem, was man aus dem Norden hört, von Bildung so viel Ahnung hat wie ein Lehrer von Beton. Natürlich wird er bei der gestrigen Pressekonferenz in der Staatskanzlei befragt, ob er sich den Job fachlich zutraue.
Die Antwort ist erhellend. Nach dem Pflichtsatz, dass er nur über Tatsachen und nicht über Spekulationen rede, hält Holter eine Bewerbungsrede. Er habe, sagt er, seit 1991 in führenden Positionen gearbeitet und sei daher ein „Generalist“mit „Macherqualitäten“.
„Es geht darum“, sagt er, „die Probleme anzupacken“.
Vorschläge der Kommission
Der von der Regierung eingesetzen Kommission „Zukunft Schule“gehören neben Helmut Holter die Altenburger Landrätin Michaele Sojka (beide Linke), der frühere Offenburger Bürgermeister Dieter Eckert (CDU) und Landesverwaltungsamtschef Frank Roßner (SPD) an. Sie schlagen vor:
Ausbau der Vertretungsreserve von 100 auf 550 Pädagogen, um dem Unterrichtsausfall (fünf Prozent der Schulstunden) zu begegnen. Wie bereits in der Regierung geplant, soll das Land gesetzliche Eckwerte für Klassen (minimal 15 Schüler, maximal 25 Schüler) vorgeben können. Dabei könnten aber Ausnahmen gemacht werden. Kooperationen zwischen kleinen Schulen sollen in ländlichen Gebieten einzelne Standorte erhalten. Junge Lehrer könnten mit Werbekampagne und Studienstipendien gewonnen werden. Die Reform der Schulverwaltung soll im Dialog mit allen Beteiligten angegangen werden.
Der politische Bruch folgt dem privaten
Die Opposition von CDU und AFD kritisiert die Forderungen als Angriff von Rot-rot-grün auf viele kleine Schulen im ländlichen Raum.