Mode ist für alle da
Eine ganze Etage voller Kleider und niemand drängelt. Nachts allein im Kaufhaus, welch ein Gedanke! Sofern man eine Frau ist. Wie aber ergeht es Vertretern jener Spezies, bei der sich gewöhnlich schon beim Anblick einer Umkleidekabine der Fluchtinstinkt meldet? Zeit, einen Mann zu fragen.
Harald Dressler, 61, Kriminalbeamter a.d., erscheint in Jeans und Hemd, blau kariert, stellt sich dem Verhör. Wer hat‘s ausgesucht? Meine Frau. Ist das immer so? Immer. Wie oft darf anprobiert werden? Dreimal, maximal. Ein typischer Fall. Angst vor der Anprobe? Nein, höchstens vor dem Laufsteg, ein bisschen. Mutiger Mann.
Stefan Peter Andres, 49 und Städteplaner ist offensiver. Sein Outfit: Weißes T-shirt, erstanden in Rotterdam bei einem Jugendprojekt. Darüber eine khaki-farbene Weste, als Sommerersatz für das Sakko. Das trägt er Menschen, für die Mode gemacht wurde, sollen sie auch vorführen. Menschen im besten Alter, ohne Modelmaße und faltenfreie Gesichter. Dafür suchte die Thüringer Allgemeine Bewerber. Einzige Bedingung: Freude an guter Kleidung und Mut für den Gang über den Laufsteg. 177 Leser schrieben der Redaktion, nur 16 konnten ausgewählt werden. Am Dienstag trafen sie sich zum ersten Mal immer, schon allein wegen der Taschen. Die Sandalen Marke „Jesus“hat er aus dem Internet. Die Hose – unwichtig, Hauptsache schwarz. Sein Modecredo: Kleidung ist wichtig, aber darf nicht verstellen. Was heißt: Niemals Schlips, wenn Anzug, dann mit Stehkragen. Klar soweit.
Vor den Fenstern sinkt die Stadt sachte in die Dämmerung, dahinter steigt die Laune. Fotograf Mario Hochhaus klickt sich durch die Porträts von Sabine für eine Probe. Weitere werden folgen, bis sie am 2. und 3. September auf dem Laufsteg der von der Mediengruppe Thüringen veranstalteten Messe „Besser Leben“in Kooperation mit dem Modehaus „Breuninger“Alltagsmode für die reife Generation vorführen werden.
Gezeigt werden dann jeweils drei Outfits der aktuellen Herbst/winter-kollektion des Modehauses. Tesch. Ganz gut, aber noch nicht gut genug, noch einmal das Ganze. Anders als bei Heidi K. gibt es heute für jeden ein Foto.
Auf dem Gang probt Beatrice Heinrich von der Agentur Rüberg den perfekten Modelgang. Rechtes Bein vor, schreiten, Pose, Drehen, zurück mit rechts. Oder doch mit links? Was macht man in der Zwischenzeit mit den Händen? Und wann und wie wird der Kopf gedreht? Fragen über Fragen. Gehen ist nicht gleich gehen und ein Laufsteg kann ein ziemlich schwankender Boden sein.
Stefan Peter Andres ist mit Camouflage-shirt und Lederjacke sehr zufrieden. Auf dem Rücken baumelt der Zopf, der kann bleiben und muss es auch. Der D‘artagnan im Manne, fehlt nur noch der Degen. Nur mit der Hose fremdelt er noch, sie ist nicht schwarz. Man wird sehen.
Cornelia Matusiak-hellhoff erscheint im Cocktail-kleid, ärmellos natürlich und vor allem: Rot. Ich hätte mich nie für Rot entschieden, ruft sie begeistert. Eigentlich steht sie auf kühle Töne. Stilberaterin Ute Kemmerich klärt auf: Blaue Augen, schwarze Haare, sie ist klar ein Wintertyp. Aber wenn der Lippenstift das Rot des Kleides aufnimmt, wird sich das aufheben. Man lernt nie aus. Die Models, nimmt man beruhigt zur Kenntnis, sind in sicheren Händen, bis im September der echte Laufsteg ruft.