Gewalt gegen Lehrer: Nur ein Teil des Problems
Warum Linke und Grüne dem Lehrerverband Einseitigkeit beim Blick auf Mobbing gegen Pädagogen vorwerfen
Erfurt.
Die Umfrageergebnisse des Forsa-instituts hatten es in sich: Mehr als 45 000 Lehrer sind in den vergangenen Jahren Opfer psychischer und physischer Attacken geworden. Auf Thüringen heruntergerechnet sind das 1000 Pädagogen. Ein halbes Jahr nach der Veröffentlichung sorgt sich nun der Thüringer Lehrerverband, dass dieses Thema aus Mangel an Interesse wieder in die Tabu-zone fällt. Und stößt dabei auf Verärgerung bei Grünen und Linken.
Nicht dass die Zahlen in Zweifel gezogen werden oder die Relevanz des Themas. Die bildungspolitischen Sprecher der beiden Fraktionen stoßen sich an der Einseitigkeit. Der Lehrerverband habe auf ein wichtiges Thema verwiesen, aber eben nur auf einen Teil des Problems. Mobbing sei ein zentrales Problem in Schulen, so die Grünen-politikerin Astrid Rothe-beinlich, aber das gelte für jede Form und müsse ganzheitlich betrachtet werden. Was heißt: Auch Mobbing von Lehrern gegenüber Schülern und Gewalt unter Schülern . „Wir würden es begrüßen“, so Torsten Wolf von den Linken, „wenn ein großer Bildungsverband wie der tlv die Realität an den Schulen ganzheitlich ansehen würde, und nicht nur die Probleme betrachtet, denen die Lehrkräfte ausgesetzt sind“.
Erst im Frühjahr hatten die beiden Fraktionen den Potsdamer Schulexperten Wilfried Schubarth zum Vortrag nach Erfurt geholt, mit einer anschließenden Debatte. Auch den Lehrerverband habe man eingeladen, er hatte aber abgesagt. „Das fanden wir schon befremdlich“, so Astrid Rothe-beinlich. Vier Stunden habe man das Thema debattiert, und zwar in allen seinen Facetten. Dass zum Beispiel nur etwa 70 Prozent aller Mobbing-fälle bekannt werden und davon nur jeder zweite behandelt werde, verweise auf die tiefe Problematik. Zumal man weiß, wie belastend Mobbing für Betroffene sein kann, bis hin zu Persönlichkeitsstörungen. Einfache Lösungen gebe es nicht. Verschärfte Strafen gegen Täter, wie es der Lehrerverband bei Angriffen gegen Pädagogen fordert, ist aus Sicht von Torsten Wolf jedenfalls keine. Die Erfahrungen zeigen, dass Mobbing dort seltener vorkommt, wo ein demokratisches Schulklima herrscht: Mit Wertevermittlung, Respekt, offenem Miteinander. Man könnte es auch einfach sagen: Eine gute Schule für alle.
Das klingt gut, die Realitäten sind aber oft andere. So wisse man zum Beispiel von Schulen, wo die Schülervertretung immer wieder ausgebremst werde. Überhaupt klingt dieses Fazit nach einem Prozess, der viel Zeit braucht und Rahmenbedingungen auch. Konkret: Mehr Geld für Streitschlichterprogramme etwa oder eine personelle Aufstockung in den Schulämtern. 30 Stellen mehr – so zumindest laute die Zielvorgabe bei den kommenden Haushaltsgesprächen, damit Schulen in ihrer konzeptionellen Arbeit besser unterstützt werden. Und noch eine Ankündigung: Man werde sich für die Schaffung eigener Schulbudgets stark machen. Die sollen Schulen ermöglichen, ohne bürokratischen Aufwand eigene Projekte durchzuführen oder schnell auf konkrete Situationen zu reagieren. Die Höhe eines solchen Budgets müsste nach Vorstellung von Torsten Wolf bei etwa 30 Euro pro Schüler im Schuljahr liegen. Man sei darüber schon im Gespräch mit der Landesregierung.
Ganzheitliche Lösungen, die Zeit brauchen