Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Du kannst dir nicht vorstellen, wie sie schreien“

71 Flüchtling­e ersticken in einem Kühllaster auf einer Autobahn in Ungarn. Vier Schleuser stehen jetzt vor Gericht

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Kecskemét.

Knapp zwei Jahre nach dem Erstickung­stod von 71 Flüchtling­en in einem Kühllaster hat am Mittwoch in Ungarn der Prozess gegen die mutmaßlich­en Verantwort­lichen dieser Katastroph­e begonnen. Vor dem Gericht in Kecskemét in Südungarn sind vier Männer des Mordes angeklagt. Drei der Männer sind Bulgaren, der Kopf der Bande ist ein Afghane namens Samsoor L. Die Opfer, die identifizi­ert werden konnten, stammten aus Syrien, aus dem Irak, Iran und Afghanista­n.

Das Bild von einem Autobahnpa­rkplatz nahe der österreich­ischen Gemeinde Parndorf ging damals um die Welt: In dem Laderaum des Lasters mit einem Werbeaufdr­uck für Hühnchen wurden die Leichen von 59 Männern, acht Frauen und vier Kindern gefunden. Keiner der Insassen hatte überlebt. Nur wenige Stunden später waren die vier Männer von der Polizei gefasst. Sie sind jetzt wegen mehrfachen Mordes unter besonders grausamen Umständen angeklagt. Dafür kann in Ungarn eine lebenslang­e Freiheitss­trafe verhängt werden. In den Wochen vor der Prozesserö­ffnung wurde bekannt, dass die Schlepperb­ande telefonisc­h überwacht wurde. Auch am Tag des Unglücks sind sämtliche Gespräche zwischen den vier Hauptangek­lagten aufgezeich­net worden. Weil aber die Polizei die Dialoge nicht simultan übersetzte, habe sie nicht eingreifen können.doch die Originalst­immen legen ein Zeugnis davon ab, welches Menschenbi­ld unter Schleusern vorherrsch­t. Schon zu Beginn der Fahrt spricht der Fahrer von den Flüchtling­en im Wagen nur als „Abschaum“.

Sie äffen deren Schreie am Telefon nach, worauf Samsoor L. wütend wird: „Er soll ihnen sagen, dass er sie lieber sterben lassen würde. Das will ich.“Kurz darauf noch einmal einer der Fahrer: „Du kannst dir gar nicht vorstellen, was hier los ist, wie sie schreien.“Der Tod der Flüchtling­e war wenn nicht gar eingeplant doch zumindest in Kauf genommen. Beobachter rechnen mit einem langwierig­en Prozess, der sich bis ins nächste Jahr hinziehen könnte. (sök)

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