Sogar Rotlichtverstöße stehen im Plan
Thüringens Polizei weiß vorher, mit wie vielen und welchen Delikten sie es zu tun bekommt. Gewerkschaft sieht solche Vorgaben kritisch
Erfurt. Die Landespolizei arbeitet in Thüringen nach detaillierten Planungen. Geschwindigkeitskontrollen oder das Einhalten der Rotlichtphasen an Ampeln stehen genauso auf den Dienstprogrammen wie Fußstreifen oder das Verteilen kostenpflichtiger Verwarnungen. Selbst die erhoffte Anzahl erkennungsdienstlicher Behandlungen oder auf frischer Tat gefasster Verdächtiger tauchen in den Vorgaben auf.
Der Thüringer Allgemeinen liegt eine solches Dokument für Januar dieses Jahres vor. Die Abrechnung erfolgte für eine der beiden Inspektionen in der Landeshauptstadt. Besonders ins Auge stechen bei bestimmten Einsätzen Zielvorgaben, deren Erfüllung in Prozent abgerechnet wurden. Im abgebildeten Beispiel stehen 287 Prozent Erfüllungsquote bei Geschwindigkeitsverstößen zu Buche. Das sind knapp dreimal so viel Delikte wie geplant. Dagegen ertappten die Beamten im Januar aber nur zwei betrunkene Autofahrer statt der sechs erwarteten.
Bestätigung von Einsatzvorgaben
Dass die Planung authentisch ist, daran besteht kein Zweifel. Erfurts Polizeichef Jürgen Loyen verteidigt diese Einsatzvorgaben gegenüber der Thüringer Allgemeinen. Es gehe nicht ums Abkassieren, versichert er. Loyen spricht dann auch von einer „Kennzahlenerhebung“in seinem Einsatzbereich mit „definierten Wirkungszielen“.
Da wo weniger polizeilicher Verfolgungsdruck herrsche, seien mehr Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten zu erwarten, betont der Polizeidirektor. Für ihn eine gesicherte Erkenntnis. Die Folge könnten mehr Verkehrsunfälle oder Einbrüche oder zunehmende Straßenkriminalität sein. Wenn Polizisten aber regelmäßig Alkoholkontrollen durchführen, sinke beispielsweise die Zahl der Unfälle mit betrunkenen Fahrern, so der Chef.
Die Zahlen in der Übersicht seien „Orientierungswerte“. Sie würden auf den Ergebnissen der vergangenen fünf Jahre beruhen, erklärt Jürgen Loyen. Nachteile für Beamte würden sich nicht ergeben, wenn diese Vorgaben verfehlen. Es könne aber auch nicht sein, dass Polizisten über Tage während ihres Dienstes nichts auffalle.
Beamte kritisierten dagegen, dass ein Nichterfüllen der Vorgaben durchaus Einfluss beispielsweise auf Beurteilungen für Beförderungen haben könne. Sie wollten sich allerdings nicht öffentlich dazu äußern.
Kritisch sieht solche Vorgaben auch die Gewerkschaft der Polizei (GDP). Landeschef Kai Christ verweist gegenüber der Thüringer Allgemeinen darauf, dass so die Kollegen unter Druck gesetzt würden. Die Thüringer Polizei habe ein Personalproblem. Viele Dienstschichten seien mit dem Abarbeiten von Aufgaben, beispielsweise den Notrufen, gut ausgelastet. Da bleibe kaum noch Zeit für zusätzliche Einsätze, so der Gewerkschafter. Erfurt müsse beispielsweise verkraften, dass unter anderem die Verkehrspolizei abgeschafft wurde. Deren Aufgaben müssten nun die anderen Beamten mit übernehmen. Dabei fehle bei der Polizei Personal an allen Ecken und Enden, kritisiert Gdp-landeschef Kai Christ.
Er hält die Debatte darum, welche Aufgaben in Thüringen wie mit dem vorhandenen Beamten bewältigt werden könne, für den falschen Weg. Auch Vorschläge beispielsweise einer verstärkten Videoüberwachung würden daran nichts ändern. „Für Sicherheit sorgt noch immer der Polizist, der auch auf der Straße steht“, so Kai Christ. Dieser Beamte könne Straftaten verhindern. Videokameras würden die Taten nur aufzeichnen.
Aus Sicht der GDP lenken die nun bekannt gewordenen Vorgaben vom eigentlichen Problem, dem fehlenden Personal bei der Polizei, nur ab. Stattdessen würden die Polizisten immer stärker unter Druck gesetzt werden .Dabei sollen viele der Beamten die Gesamtheit der Vorgaben für ihren Bereich nicht einmal kennen. Auch die Landespolizeidirektion, also die für ganz Thüringen zuständige Dienststelle, war angefragt worden, hatte aber auf den Erfurter Polizeichef Loyen verwiesen. Ob es solche Planungen auch landesweit für die Polizei gibt, konnte daher nicht geklärt werden. Hinweise deuten allerdings darauf hin.
Kein grundsätzliches Problem mit solchen Zielvorgaben hat der Cdu-abgeordnete Raymond Walk. Bei der angespannten Personalsituation der Thüringer Polizei sei es durchaus sinnvoll damit zu arbeiten, um vorhandene Kräfte möglichst effizient einzusetzen, beispielsweise um Unfallschwerpunkte durch Geschwindigkeitskontrollen oder Kriminalitätsschwerpunkte durch Fußstreifen zu entschärfen
Allerdings sollten dafür zwei Voraussetzungen erfüllt sein, so Walk, der bis 2014 selber Führungspositionen in der Thüringer Polizei inne hatte. Einmal müssten derartige Planungen mit allen Beteiligten erarbeitet und abgesprochen werden. Zudem dürften sich die Vorgaben nicht nachteilig für einzelne Beamte auswirken, da diese beispielsweise nur für Dienststellen der Einsatzzüge gelten.
Akuter Personalmangel bei der Polizei