Die LPGS, ihre Nachfolger und Scheinnachfolger
Mit der Umwandlung der sozialistischen Landwirtschaft in marktkompatible Unternehmen sind Wunden gerissen worden, die bisher nicht heilen konnten
Erfurt. Helmut Rudolph ist ein Getriebener. Seit einem Vierteljahrhundert nervt er Behörden, Ausschüsse, Gerichte, Parteien und prominente Politiker. Jeweils ohne erkennbaren Erfolg.
Dennoch stellt der 64-Jährige immer wieder Fragen wie diese: „Wofür gibt’s Gesetze, Verordnungen und Beschlüsse, wenn sich niemand daran hält?“Rudolphs Problem lässt sich auf drei Buchstaben reduzieren: LPG.
Jüngeren Lesern sei gesagt, dass es hier nicht um den Treibstoff Liquefield Petroleum Gas (LPG) an der Tankstelle geht. Das Kürzel stand in der DDR für Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Heute wird mit dem Begriff gern Enteignung und Zwangskollektivierung verbunden. Rudolphs Vater Fritz verschwand wegen seines Protestes gegen die Lpgpropaganda für zwei Jahre in Bautzen.
Doch auch die schärfsten Kritiker müssen einräumen, dass die LPGS bald um einiges besser funktionierten als der Rest der Ddr-planwirtschaft. Und dass der durchaus abwertend gemeinte Begriff „Kolchose“falsch ist, weil eingetragene die Eigentümer der Wirtschaftsgüter blieben, im Unterschied zum sowjetischen Vorbild. Sonst hätte es den Streit bei der Umwandlung nach 1989 gar nicht gegeben.
Aber es gibt ihn bis heute. Für die Überführung der staatseigenen Industriebetriebe in die Marktwirtschaft hatte sich der Bund die Treuhandanstalt ausgedacht. Ganz anders auf dem Lande. Obwohl es dort um über 4000 Betriebe mit gut fünf Millionen Hektar Land ging, quasi die halbe DDR, hieß die Devise: Das macht ihr mal schön selber. Nur der Zeitrahmen wurde eng gesteckt. Wer es bis 31. Dezember 1991 nicht schaffte, hatte als aufgelöst zu gelten.
Nun wurden die alten Lpgvorsitzenden meistens auch die neuen und gaben sich alle Mühe, die Dm-eröffnungsbilanz möglichst klein zu rechnen. Reichte das nicht, wurden Rücklagen gebildet, was nach Landwirtschaftsanpassungsgesetz auch nicht erlaubt war. In der Folge erhielten Lpg-mitglieder, die ausschieden oder hinausgedrängt wurden, zum Teil lä- cherliche Abfindungen für ihr einstmals eingebrachtes Inventar an Maschinen, Vieh und die in Jahrzehnten geleistete Arbeit. Rudolph wurden vom Nachfolgeunternehmen der LPG Eintracht Mittelhausen 18 D-mark pro Arbeitsjahr angeboten. Er hat sie nicht genommen.
Wohl aber die 39 000 DM Entschädigung für keineswegs freiwillig eingebrachte Produktionsmittel. Die hat er sich erstritten, denn mit der Eintracht war es längst vorbei in Erfurtmittelhausen. Verloren hat Rudolphs Familie den Streit ums Gehöft. Obwohl es von der alten LPG eine Bestätigung aus dem Jahr 1988 gibt, dass Mutter Agnes das Wohnhaus von der LPG kaufen könne. Die Kollegin sei berechtigt, heißt es in dem Schreiben, schon vor Abschluss eines Kaufvertrags Modernisierungsarbeiten an dem Haus vorzunehmen. Nach der Umwandlung hat der LPG-CHEF nichts mehr davon wissen wollen, sagt Helmut Rudolph. Die Familie wurde sogar vom Gehöft geklagt. Das Berufungsurteil des Landgerichts Erfurt vom 3. Seplpg-mitglieder tember 1996 unterschrieben drei Richter. Einer von ihnen mit „Lauinger“.
Eben jener Dieter Lauinger, der heute für die Grünen im Kabinett Ramelow sitzt und außer für Migration und Verbraucherschutz auch für die Justiz verantwortlich ist. Wenn Helmut Rudolph als Besucher im Landtag aufkreuzt, was er öfter macht, und die beiden begegnen sich, dann beschleunigt der Minister seinen Schritt. „Der lässt mich einfach stehen“, sagt Rudolph, „weil er nicht begreift, dass sein Urteil damals Unrecht war und dass die Lpg-umwandlungen tausendfaches Unrecht waren“.
Letzteres behaupten Hunderte ehemaliger Lpg-mitglieder, die sich über den Tisch gezogen sehen. In Ostthüringen war Erhard Bauer ihre lauteste Stimme. Er zog schon 1992 vor Gericht, gewann und ging trotzdem leer aus. Als sein Urteil nach sechs Jahren endlich rechtskräftig wurde, war seine EX-LPG in Münchenbernsdorf pleite. Obendrein mussten sich Leute wie er immer wieder anhören, die Wirtschaftskraft der Lpgnachfolgebetriebe dürfe nicht durch zu hohe Abfindungsforderungen gefährdet werden. So stand es zwar in keinem Gesetz. Aber es war und blieb das Credo der Politik. Daran änderte sich auch nichts, als ein Forschungsprojekt der Friedrich-schilleruniversität Jena die Vorwürfe der Ex-lpgler eindrucksvoll bestätigte. Fast vier Jahre lang hatte eine Forschungsgruppe um Rechtswissenschaftler Walter Bayer 1719 Lpg-umwandlungen überprüft. Der Befund wurde am 26. Juli 2002 bei einem Forum in Hörsaal 3 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät vorgestellt: Nahezu alle untersuchten Lpg-umwandlungen seinen fehlerhaft gewesen. Aber elf Prozent davon so sehr, dass es ihre Nachfolgebetriebe „eigentlich gar nicht geben dürfte“, wie Professor Bayer es ausdrückt. Er und seine Kollegen sprechen von „Scheinnachfolgern“, die mit Maschinen, Vermögen und Ackerland gestartet sind, die ihnen gar nicht gehören. Die Verträge abschlossen, ohne dazu berechtigt zu sein. Die Fördergelder kassieren, die an sie gar nicht ausgezahlt werden dürften. Bayer nennt das Staatsversagen. Nun sei auch die Politik gefordert, sagte er damals.
Es passierte: fast nichts. Sogar die von den Jenaer Juristen erstellte Liste der Scheinnachfolger blieb bisher unter Verschluss.
Auch Prof. Bayer behauptet nicht, all diese Unternehmen seien nur Phantome. Die rechtliche Konsequenz ihrer Vorgeschichte sei aber, dass ihre Vorgänger „unerkannt“weiterexistierten. Als LPG i.l. (in Liquidation). Und es sei der Job bestellter Liquidatoren, die Interessen aller Mitglieder der LPG i.l. im Verhältnis zum Scheinnachfolger zu wahren. Nur diesmal fair und geordnet.