Thüringer Allgemeine (Weimar)

Mit Küstenpunk gegen den Rechtsruck

Die Band „Feine Sahne Fischfilet“pflegt Freundscha­ften nach Thüringen und überrascht ihre Fans in Jena. Im März geht es nach Erfurt

- Von Martin Moll

Jena. Die Hasskommen­tare gegen sie gehören fast schon so dazu wie die glückselig­en verschwitz­ten Gesichter auf ihren Konzerten, der frenetisch­e Jubel, der energiegel­adene Rausch bei verzerrten Gitarren, polterndem Schlagzeug und jaulenden Trompeten. Die derzeit wohl angesagtes­te deutsche Punkrockba­nd – „Feine Sahne Fischfilet“– ist Anfeindung­en gewohnt.

Die Musiker nehmen es gelassen. „Diejenigen, die motzen und hetzen, sind zwar laut und vor allem im Internet präsent, aber sie sind nur ein kleiner Teil der Realität“, sagt Bassist Kai Irrgang. Wie sehr er damit recht hat, untermauer­t auch der wachsende Erfolg der Band aus Mecklenbur­g-vorpommern.

„Ich kann immer noch nicht sing’n – und spiel’ jetzt bei Rock am Ring“, heißt es auf dem neuen Album „Sturm & Dreck“. Es dürfte zum Verkaufssc­hlager werden, viele Konzerte der bald beginnende­n Tour sind ausverkauf­t. Und ein Überraschu­ngsauftrit­t dieser Tage in Jena sorgte für Trubel in der Altstadt.

Lediglich achtzehn Stunden vorher hatten „Feine Sahne Fischfilet“über ihre Facebookse­ite bekannt gegeben, die Junge Gemeinde Stadtmitte besuchen zu wollen. Aus einem Konzert wurden gleich zwei.

Partymucke trifft auf politische­s Engagement

Als Sänger Jan „Monchi“Gorkow im Gemeindeho­f ankündigt, das Konzert in zwei Halbzeiten zu teilen, erntet er lauten Applaus. Möglichst viele der überwiegen­d jungen Fans sollen in den eintrittsf­reien Livegenuss kommen. Und so warten viele Besucher in eisiger Kälte, während andere drinnen feiern als gäbe es kein Morgen. Nach 45 Minuten wird getauscht. Dennoch müssen von den insgesamt gut 600 Besuchern etwa 200 enttäuscht den Heimweg antreten. Denn auch wenn die Band eine dritte Partyrunde in Erwägung zieht: Die Nachtruhe soll eingehalte­n, den Nachbarn nicht der Schlaf geraubt werden.

Um zu verstehen, wieso „Feine Sahne Fischfilet“vor ihren Hallenkonz­erten in Leipzig, Köln oder Wien auch in Loitz, Königs Wusterhaus­en oder auf engstem Raum in Jena spielen, empfiehlt sich ein Blick auf ihre Herkunft aus dem Norden. „Wie geil wäre es gewesen, wenn früher, als wir selbst Jugendlich­e waren, ab und zu eine bekanntere Band in der Provinz gespielt hätte“, sagt Irrgang. „Aus diesem Grund machen wir das.“Die sechs Männer lieben die Region zwischen Rostock und Stettiner Haff. „Trotz der Wahlerfolg­e der Rechtspopu­listen: Es gibt da oben eine Menge coole Leute.“

Auch die Band selbst ist politisch aktiv und stellte etwa vor der vergangene­n Landtagswa­hl die Kampagne „Noch nicht komplett im Arsch – Zusammenha­lten gegen den Rechtsruck“auf die Beine, mit Vorträgen, Konzerten, Diskussion­srunden. Zwar gibt es noch immer Angriffe von Rechtsauße­n auf die Gruppe – Anschläge auf den Proberaum, Hassmails und eine Menge Neid auf den Erfolg, doch sie konzentrie­rt sich auf das Positive: „Das soll jetzt nicht zu hippiemäßi­g klingen“, sagt Schlagzeug­er Olaf Ney, „aber es tut gut zu sehen, dass es viele Leute gibt, denen Menschlich­keit wichtig ist und denen nicht alles scheißegal ist.“

Die Band trifft nicht jedermanns Geschmack. Ihre Musik ist trotz der melodische­n Ausrichtun­g besonders live oft räudig, frech und rotzig. Das Bier spritzt, der Schweiß tropft. Punkrock halt; stürmisch und authentisc­h. Da passt es irgendwie, dass in Jena plötzlich der Hausherr, Jugendpfar­rer Lothar König, mit auf der Bühne steht. Der Zwischenst­opp an der Saale ist kein Zufall. Seit Jahren pflegt die Band Freundscha­ften nach Thüringen – besonders zu Pfarrer König und dessen Tochter, der Landtagsab­geordneten Katharina König-preuss (Die Linke). Sänger Monchi absolviert­e ein Praktikum im Thüringer Landtag, beschäftig­te sich mit dem NSU und der Rolle des Verfassung­sschutzes. Den Song „Angst frisst Seele auf“widmete er König-preuss – eine Reaktion auf ein Lied einer Neonazikap­elle. Dieser war zuvor das Kunststück gelungen, die oft schon unterirdis­chen Texte mancher Bands aus dieser Ecke noch zu unterbiete­n: mit Mordfantas­ien.

Zusammenha­lt, Solidaritä­t, Miteinande­r – auch darum geht’s auf „Sturm & Dreck“– neben alldem, das auf einer Punkrocksc­hreibe eh nicht fehlen darf: Partymucke, Seitenhieb­e gegen die üblichen Verdächtig­en, verschmitz­te Großmäulig­keit. Dass die Band schon im Verfassung­sschutzber­icht auftauchte oder sich der Sänger verantwort­en musste, weil ihm vorgeworfe­n wurde, Stühle auf Neonazis geworfen zu haben – darüber kann er mittlerwei­le schmunzeln oder sich nur wundern. Der Prozess endete mit Freispruch. Videos zeigen ihn und andere, wie sie sich vor eine Flüchtling­sdemo stellten. Zum Schutz. Denn es flogen Stühle. Geworfen von Neonazis.

Auch dieses Engagement gehört zu „Feine Sahne Fischfilet“dazu; eine Band, der es nicht allein um den Erfolg geht. Eine Band, der die Musik viel bedeutet, aber längst nicht alles ist.

Schützend vor Geflüchtet­e gestellt

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