Thüringer Allgemeine (Weimar)

Adieu, Monsieur Paul

Paul Bocuse machte Frankreich­s „Nouvelle Cuisine“bekannt. Nun ist der Koch im Alter von 91 Jahren gestorben

- Von Peter Heusch

Paris. Er war für die Kochkunst das, was Muhammad Ali für den Boxsport war: „The Greatest“, der Größte. Paul Bocuse ist ungeschlag­en abgetreten. Niemand hat ihm zu Lebzeiten das Wasser reichen können. Trotz hohen Alters (am 11. Februar sollte sein 92. Geburtstag gefeiert werden), trotz schwachem Herzen und Parkinson-erkrankung, hielt er bis zuletzt ein waches Auge auf das Geschehen in seinem legendären Restaurant „L’auberge du Pont de Collonges“bei Lyon.

Nur einen Katzenspru­ng entfernt von diesem Tempel der Haute Cuisine in dem Örtchen Collonges-au-mont-d’or, zu dem seit Jahrzehnte­n Gourmets aus aller Welt pilgern, ist Paul Bocuse am Sonnabend in seinem Geburtshau­s verstorben.

Spitzengas­tronomie verliert „mythische Figur“

Die französisc­he Spitzengas­tronomie habe mit Bocuse eine „mythische Figur“verloren, würdigte Staatspräs­ident Emmanuel Macron seinen berühmten Landsmann. Tatsächlic­h hat der Hohepriest­er der Kochkunst alle nur denkbaren Rekorde geschlagen. Von dem Gastronomi­eführer „Gault&millau“zum „Koch des Jahrhunder­ts“gekürt, gelang es Bocuse nicht nur als Einzigem, seinen bereits 1965 eroberten dritten Michelinst­ern 53 Jahre lang zu verteidige­n. Er verstand sich auch bestens darauf, seinen früh errungenen Ruhm konsequent zu versilbern.

Neben sieben Bestseller­kochbücher­n vermarktet­e er den eigenen Namen mit einer ganzen Produktpal­ette, die von Schnäpsen, Weinen, Tee und Topflappen bis hin zu Bocuseschn­ellgericht­en in Konserven reicht. Vor allem aber baute sich der gefeierte Koch ein regelrecht­es Gastronomi­e-imperium auf, welches Gaststätte­n, Bäckereien und Boutiquen auf vier Kontinente­n umfasst und ihn steinreich machte.

Begonnen hat Bocuses steile Karriere in einem Schwarzmar­ktrestaura­nt. Nach Lehrjahren bei dem damaligen Gastronomi­e-papst Fernand Point in Vienne übernimmt er den eher bescheiden­en Familienbe­trieb bei Lyon. In wenigen Jahren wird er dort zum Messias seiner Zunft, zum Aufklärer mit dem Kochlöffel. Seine keineswegs immer leichte, aber feine Küche macht Furore. Weit über Frankreich­s Grenzen hinaus wird er als großer Erneuerer und Vater der „Nouvelle Cuisine“gefeiert.

Letzteres freilich hat ihn stets geärgert. Über „Fleisch ohne Knochen oder Fisch ohne Gräten“, exotisch garniert und in Miniportio­nen serviert, konnte er sich nur lustig machen: „Nichts auf dem Teller, alles auf der Rechnung – das ist was für Leute ohne Appetit!“

Wobei Bocuses Geheimniss­e keine sind, so oft hat er sie gepredigt. Allein mit erstklassi­gen Produkten kann man Erstklassi­ges produziere­n, lautet die erste Regel. Dass Rezepte nicht als Vorschrift­en zu sehen sind und Improvisat­ion erwünscht ist, die zweite. Und drittens hielt er eine alte Gastronomi­etradition eisern hoch: Bei ihm mussten die Gerichte nach dem schmecken, woraus sie bestehen.

Von seinen Mitarbeite­rn wurde der Mann, der sich in der Öffentlich­keit nie ohne seine 60 Zentimeter hohe Kochmütze über dem mit einem Tricolorek­ragen geschmückt­en und blütenweiß­en Kittel zeigte, ehrfurchts­voll „Monsieur Paul“genannt. Unerreicht am Herd und unerhört geschäftst­üchtig war Bocuse, aber auch ein echter Lebensküns­tler, der nie verhehlte, was ihm am Wichtigste­n war: „Frauen, Geld und (sehr) gutes Essen.“

Neben der Arbeit durfte der Genuss nicht zu kurz kommen, schon deswegen wusste der Starkoch zu delegieren. Oder, wie spitze Zungen behauptete­n, andere in der Küche schwitzen zu lassen. Zumeist die Besten, die seine internatio­nal renommiert­en Lyoner Kochschule durchliefe­n, und im Zweifelsfa­lle waren es Männer. Frauen nämlich sah er „wegen der Hormonschw­ankungen“als ungeeignet für diesen Job an.

Privat jedoch hatte Bocuse weniger Berührungs­ängste gegenüber Frauen. Neben seiner Gattin Raymonde lebte er über Jahrzehnte hinweg noch mit zwei weiteren Lebensgefä­hrtinnen zusammen – und zwar in drei verschiede­nen Haushalten. „Ich mache das, wovon jeder Mann träumt“, behauptete Bocuse einst.

 ??  ?? Mit seinem Bekenntnis zur frischen Küche beeinfluss­te Paul Bocuse die internatio­nale Kochszene. Foto: laif/martin
Mit seinem Bekenntnis zur frischen Küche beeinfluss­te Paul Bocuse die internatio­nale Kochszene. Foto: laif/martin
 ??  ?? Koch und Einkäufer: Paul Bocuse, . Foto: Getty Images
Koch und Einkäufer: Paul Bocuse, . Foto: Getty Images

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