Botschafter mit dicken Backen
Zapfenstreich und Fliegermarsch: Nach dem Wegfall der Wehrpflicht haben die Musikkorps der Bundeswehr einen großen Teil der Werbung übernommen
Erfurt. Früher begleiteten die Militärmusiker die Truppen in die Schlacht, heute sind sie als musikalische Botschafter in friedlicher Mission unterwegs. Die 14 Musikeinheiten der Bundeswehr sind dem Zentrum Militärmusik in Bonn unterstellt, Anfang Februar trifft sich dessen Führung zur Jahrestagung in Jena. Über die aktuelle Rolle und das Spektrum der Militärmusik sowie über Nachwuchssorgen und Zukunftsperspektiven sprach Ingo Glase mit dem Leiter des Zentrums, Oberst Christoph Lieder.
Herr Lieder, welche Aufgaben haben die Musikkorps heute?
Zum einen spielen wir für die Bundeswehr, umrahmen Zeremonien wie Gelöbnisse, Feiern, Große Zapfenstreiche und sonstige Veranstaltungen, betreuen die Truppe mit Militärmusik und sind Bestandteil des militärischen Protokolls.
Zum anderen spielen wir für die Bevölkerung, etwa mit Benefizkonzerten wie für die Spendenaktion „Thüringen hilft“. Daneben gibt es aber auch Großveranstaltungen wie etwa die alljährliche Woche der Militärmusik, in der mehrere Musikkorps auftreten. Das alles ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit. Damit fördern wir die Beziehungen zwischen Truppe und Bevölkerung und unterstützen die Nachwuchsgewinnung der Bundeswehr.
Die dritte Richtung geht in den internationalen Bereich. Wir laden – beispielsweise für das Musikfest der Bundeswehr – Orchester anderer Nationen ein und musizieren Seite an Seite zusammen. Im Gegenzug repräsentieren unsere Ensembles – ob Großes Sinfonisches Blasorchester oder kleines Kammermusik-quintett – die Bundeswehr bei Musikveranstaltungen, Festivals oder Paraden im Ausland. Sie stellen eine Verbindung zwischen den Streitkräften vor Ort sowie der dortigen Bevölkerung her und präsentieren ein Stück deutscher Kultur.
Wie sicher sind die Auslandseinsätze für die Musiker?
Wir sind immer nur für wenige Tage im Rahmen eines Musikeinsatzes im Einsatzland. Dennoch: Ein Risiko besteht immer. Aber wir sorgen für größtmögliche Sicherheit. In Afghanistan etwa, wo wir recht häufig spielen, fliegen wir in der Regel direkt in das gut gesicherte Lager bei Masar-e-scharif. Je nach Sicherheitslage müssen die Musiker – wie die anderen Soldaten auch – Schutzwesten und sogar Waffen tragen. Meist finden die Auftritte in dem riesigen Camp statt – und von dort fliegen die Musiker auch wieder nach Hause. Eine hundertprozentige Sicherheit kann man in diesen Teilen der Erde nicht garantieren. Aber seit die Bundeswehr in diesen Ländern eingesetzt ist, kam es noch nie zu einer wirklich kritischen Situation für die Musiker.
Hat sich durch den Wegfall der Wehrpflicht die Rolle des Musikkorps
als musikalische Botschafter verändert?
Definitiv. Dadurch hat die Bundeswehr den direkten Kontakt in die Familien verloren. Nun kommt den Musikkorps als Bindeglied zur Bevölkerung eine noch größere Bedeutung zu. Der Anteil der Militärorchester an der Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr hat spürbar an Bedeutung gewonnen.
Luftwaffe, Heer, Gebirgsjäger, Marine – wodurch unterscheiden sich die dazugehörigen Musikkorps?
Eigentlich nur durch die Uniformen. Sie gehören ja nicht mehr zu den jeweiligen Teilstreitkräften oder Großverbänden, sondern zum Organisationsbereich Streitkräftebasis – unter dem Dach des Zentrums Militärmusik. Wir repräsentieren aber weiterhin die gesamte Bundeswehr und treten deswegen in unterschiedlichen Uniformen auf. Aber natürlich hat das Marinemusikkorps in Kiel – nicht zuletzt regional bedingt – einige andere Stücke im Programm als das Gebirgsmusikkorps in Garmisch-partenkirchen. Alle unsere Musiker sind vor allem Soldaten – und fühlen sich der Bundeswehr innerlich verbunden. Das ist nicht in allen Militärmusikdiensten dieser Welt so.
Das ausgerechnet in Erfurt ein Luftwaffenmusikkorps beheimatet ist, sorgt immer noch für ein gewisses Schmunzeln... Eigentlich sollte das damalige Wehrbereichsmusikkorps III ja aufgelöst werden. Dann wurde aber klar, dass der östliche Teil unserer Republik nicht mehr zuverlässig abgedeckt werden kann. Als es darum ging, wer dafür aufkommt, etwa die Dienstposten zur Verfügung stellt, hat die Luftwaffe die Hand gehoben.
Ist das Erfurter Musikkorps jetzt sicher?
Nach jetzigem Stand – ohne Zweifel ja.
Gibt es Vorgaben für die Konzertprogramme der einzelnen Musikkorps?
Nicht schriftlich, aber wir erwarten einen hohen künstlerischen wie professionellen Anspruch. Und das Programm muss beim Publikum gut ankommen. Es bringt nichts, wenn das Orchester unglaublich anspruchsvolle Stücke einstudiert, die dann keiner hören will. Aber unsere Musiker sind absolute Fachleute, die sich viele Gedanken über die Programmgestaltung machen. Bislang musste ich noch keinen Titel verändern. Wir spielen ja nicht zum Selbstzweck, sondern fühlen uns unserem Publikum verpflichtet.
Das Publikum erwartet hauptsächlich Märsche, das Orchester will zeigen, was es alles kann. Ein gefährlicher Spagat?
Die große Kunst unserer Leiter besteht genau darin, eine Dramaturgie in die Programme einzubauen und diese Sachen gekonnt miteinander zu verbinden. Es spricht überhaupt nichts gegen ein anspruchsvolles, großes sinfonisches Werk, dass das Orchester und vielleicht auch so manchen Zuhörer an seine Grenze bringt, wenn dann ein Marsch das Publikum wieder versöhnt.
Es gibt unglaublich schöne Märsche, nicht nur deutsche, sondern auch internationale Stücke, die sehr anspruchsvoll zu spielen sind, nicht nur Humptata mit dicken Backen. Auch aus und über Thüringen gibt es viele bedeutende Märsche. „Hoch Heidecksburg“ist eines der bekanntesten Stücke, Komponist Hermann Ludwig Blankenburg aus Thamsbrück für viele Märsche bekannt. Die Pflege der Marschmusik ist eine unserer vornehmsten Aufgaben.
Wie wird man Militärmusiker?
Wenn man ein Instrument für ein sinfonisches Blasorchester, dazu gehören neben allen traditionellen Blasinstrumenten etwa auch Schlagwerk, Keyboards und Kontrabass, sehr gut beherrscht, wird man – wenn alle anderen Punkte der Bewerbung auch passen – nach der abgeschlossenen Schulausbildung zu einer Eignungsprüfung beim Ausbildungsmusikkorps eingeladen. Später findet ein weiterer Test an der Robert-schumannhochschule Düsseldorf statt, an der seit über 41 Jahren unsere Musiker studieren. Die Ausbildung dauert vier Jahre und endet mit der Feldwebel-fachprüfung und der Versetzung in ein Musikkorps.
Das Einstiegsgehalt liegt bei rund 1800 Euro netto. Dafür verpflichten sich die jungen Menschen auf 12 Jahre. Abzüglich der Ausbildung hat man also automatisch ein Vertrag für acht Jahre in der Tasche, den man bis zu 25 Jahre verlängern kann. Zudem können wir viele Musiker als Berufssoldaten übernehmen, also fest anstellen. Pensioniert werden die Musiker derzeit mit 54plus.
Mit 55 in Pension, während die Politik für die zivile Gesellschaft über die Rente mit 70
diskutiert – ist das noch vermittelbar?
Die Gründe dafür liegen in der Gleichbehandlung der Soldaten – und die Musiker sind Soldaten, wie die Kameraden an der Waffe auch. Die Altersgrenzen verschieben sich aber auch bei der Bundeswehr stetig nach oben. Die Musikstabsoffiziere dienen bereits wesentlich länger.
Wie groß ist der Anteil der Frauen in den Musikkorps?
Steigend. Mittlerweile bewegt er sich in Richtung 20 Prozent.
Wie groß ist das Interesse an einer musikalischen Karriere bei der Bundeswehr?
Wir sind zufrieden, können Stellen besetzen – müssen uns aber steigern. Sie können ja auch als Seiteneinsteiger zu uns kommen, haben Musik studiert, vielleicht schon eine Stelle in einem Orchester und wollen wechseln. Auch einem solchen Personenkreis können wir attraktive Pakete anbieten, nicht zuletzt was die Vielseitigkeit der musikalischen Aufgaben angeht.
Die Musikeinheiten haben eine große musikalische Bandbreite, die von sinfonischen Werken bis zu Rock und Pop reicht. Aber: Wir sind kein Orchester wie jedes andere. Wir haben einen hoheitlichen Auftrag: Für uns ist zum Beispiel die Nationalhymne keine beliebige Komposition von Joseph Haydn.
Egal zum wievielten Male wir die Hymne spielen: Es ist immer etwas Besonderes.