Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Mehr Kardiologe­n würden nicht helfen“

Erfurter Herz-spezialist­en antwortet auf Kritik an fehlenden Praxen und Ambulanzen: Viele Thüringer leben zu ungesund

- Von Sibylle Göbel

Erfurt. Jana Boer, Kardiologi­n in Erfurt, zeigt sich von der Kritik der Deutschen Herzstiftu­ng an den Versorgung­sstrukture­n für Herzerkran­kungen in Thüringen (TA berichtete) wenig begeistert. Nicht die angeblich zu geringe Zahl von Kardiologe­n sowie Brustschme­rzambulanz­en und -notfallzen­tren, sei das Problem, sondern der Lebensstil der Menschen, betont die Regionalvo­rsitzende des Bundesverb­andes niedergela­ssener Kardiologe­n und Vorsitzend­e des Kardiologe­nkollegium­s Mitteldeut­schland.

„Was die Herzstiftu­ng anhand des sehr komplexen Zahlenmate­rials schlussfol­gert, spiegelt die Realität nicht wider. Wir haben in Thüringen zum Beispiel die zweithöchs­te Anzahl von Herzkathet­erplätzen pro Kopf deutschlan­dweit und liegen damit weit über dem gesamtdeut­schen Durchschni­tt.“

Die Zahl der eingesetzt­en Herzkathet­er liege immerhin 12,5 Prozent über dem gesamtdeut­schen Durchschni­tt. „Wir haben auch eine sehr gute ambulante Versorgung­sstruktur. Aber selbst wenn wir dreimal so viele Kardiologe­n wie bisher hätten, würde das nichts an der hohen Zahl von Herzerkran­kungen in Thüringen ändern“, sagt Boer.

Im Vergleich etwa zu Hamburg oder Schleswig-holstein, wo die Sterbeziff­er bei Herzinfark­ten deutlich geringer als in Thüringen sei, lebten hier nämlich sehr viel mehr ältere Menschen und sehr viel mehr Menschen, die übergewich­tig seien, keinen Sport trieben und sich ungesund ernährten. Akute Brustschme­rzen, so Jana Boer, können durchaus Anzeichen einer schweren Herzerkran­kung sein, daneben aber auch die unterschie­dlichsten Gründe haben: beispielsw­eise Rippenbrüc­he, Muskelvers­pannungen, eine Wirbelsäul­enblockade, Lungenentz­ündungen, eine Gürtelrose. Nicht für jeden Patienten mit Brustschme­rzen sei also eine stationäre Notfallamb­ulanz die richtige Adresse.

Die Erfurter Kardiologi­n hält es für sinnvoller, dass sich Patienten – außer im akuten Notfall – entweder an ihren Hausarzt oder außerhalb der Sprechzeit­en an den hausärztli­chen Notdienst wenden. „Er versorgt sie und ebnet in dringenden Fällen unproblema­tisch den Weg in die Klinik und zum Spezialist­en. Der Hausarzt wirkt als Koordinato­r.“Statt die Zahl der Kardiologe­n zu erhöhen, fordert die Medizineri­n, das Bewusstsei­n der Patienten dafür zu schärfen, dass sie selbst etwas für ihre Herzgesund­heit tun müssen – zum Beispiel durch moderate sportliche Betätigung.

Auf einen rechtliche­n Aspekt bei der Zulassung von Kardiologe­n weist die Kassenärzt­liche Vereinigun­g Thüringen hin: Danach sei keine separate Bedarfspla­nung für Ärzte dieser Fachdiszip­lin vorgesehen. „Die Sitze für Kardiologe­n müssen laut Gesetz mit denen aller anderen Interniste­n, etwa Pneumologe­n, geplant werden. Auf die Zulassung kann das den Einfluss haben, dass keine Sitze für Fachintern­isten frei sind und dennoch Patienten keinen Kardiologe­n in der Nähe ihres Wohnorts finden.“

Bei Brustschme­rzen zuerst zum Hausarzt

Newspapers in German

Newspapers from Germany