Thüringer Allgemeine (Weimar)

Testspiel für künftige Arbeitsrec­htler

Jura-studenten kämpfen im Verhandlun­gsturnier am Bundesarbe­itsgericht in Erfurt um Glanz, Glorie und viel Erfahrung

- Von Martin Lücke

Erfurt. Manchmal dauert ein Spiel keine 90 Minuten – aber im Gerichtssa­al herrschen auch andere Regeln als auf dem Fußballpla­tz. Zum siebten Mal veranstalt­et das Bundesarbe­itsgericht (BAG) in Erfurt seinen sogenannte­n Moot-court-wettbewerb. Bei diesen fiktiven Gerichtsve­rhandlunge­n treten Teams von Jura-studenten verschiede­ner Universitä­ten aus ganz Deutschlan­d mit Schwerpunk­t Arbeitsrec­ht gegeneinan­der in 50-minütigen, nachgestel­lten Verhandlun­gen an. Den Siegern winkt viel Renommee.

Lassen wir die Partie also beginnen. Es spielt Bremen gegen Marburg und es geht um einen angestellt­en Heizungsba­u-meister, der seinen Arbeitgebe­r verklagt, weil er in seinem Urlaub hatte per Smartphone erreichbar sein müssen:

Bremen stürmt – Marburg verteidigt aggressiv

Der Unparteiis­che – Richter Oliver Karl Klose – deutet mit der Hand auf die Seite der Klägervert­retung (Bremen) und gibt das Spiel frei. Anstoß Anina Johanna Michel! Das 20-jährige Nachwuchst­alent aus Apolda spielt sogleich druckvoll für ihre norddeutsc­he Uni nach vorn: „Er wurde wiederholt im Urlaub gestört, Erholung war nicht möglich. Nach Paragraf 8 Bundesurla­ubsgesetz ist jedwede Tätigkeit verboten.“Es folgt ein flinker Pass auf Teamkolleg­e Boris Dubov, der die zu Beginn noch offenen Räume in der Deckung der Marburger zu nutzen weiß: „Aus dem Europarech­t ergibt sich ein noch strikterer Maßstab.“Der Schuss saß. Dubov (23) hat sein Handwerk auch in Thüringen gelernt, studierte in Erfurt Staatswiss­enschaften. Bremen fordert Ersatzurla­ub und 180 Euro Vergütung.

Nun spielt Marburg auf. Richter Klose erteilt der Beklagtenv­ertretung das Wort. Caroline Schall (23) hat sich von den unermüdlic­hen Angriffen der Bremer nicht beeindruck­en lassen. Sie mauert sofort: „Hohes Gericht. Der Kläger hat seinen Urlaub mit Ausfüllen des entspreche­nden Formulars ordnungsge­mäß angetreten.“Der Handwerksm­eister zähle zudem zu den leitenden Angestellt­en. Da müsse er auch im Urlaub für die Firma erreichbar sein.

Jetzt wird die Partie aufregend. Die Marburgeri­n schiebt den Ball zu Mitspieler­in Katja Hirdes (29): „Kein Anrecht auf gesonderte Vergütung.“Es wird ein Doppelpass. Hirdes gibt zurück zu Schall. Marburg will den Punkt unbedingt und versucht nun, durch entspreche­nde Anwendung einer Vorschrift des Arbeitszei­tgesetzes eine Lücke im Bundesurla­ubsgesetz auszufülle­n. Oh, grobes Foul!

(Schieds-)richter Klose wird sie dazu später beiseite nehmen und den Ansatz, den Meister als leitenden Angestellt­en darzustell­en und deshalb das Bundesurla­ubsgesetz nicht gelten lassen zu wollen, lächelnd eine kreative Idee nennen. „Habe ich so noch nicht gehört.“

Nach Ende der gespielten Verhandlun­g – insgesamt treten an diesem Tag 30 Teams verschiede­ner Unis in den Verhandlun­gssälen des BAG an – schütteln sich die Kontrahent­en die Hände. Kompliment­e fliegen hin und her: „Hast du gut gemacht“oder „Du hast total souverän ausgesehen“. Die Kammer aus drei Richtern am BAG zieht sich zur Beratung zurück. Jedes Team erhält hinter verschloss­enen Türen eine Auswertung der Stärken und Schwächen ihrer juristisch­en Argumentat­ion. Vier Teams werden für die Halbfinals ausgewählt. Im Finale treffen die beiden besten aufeinande­r und messen sich in der spontanen Beantwortu­ng einer Zusatzfrag­e, die der Geschichte um den Heizungsba­umeister eine weitere Facette hinzufügt. Den Sieg sichern sich schlussend­lich Iuliia Voronova und Julian Westphal von der Freien Universitä­t Berlin.

Auf die Frage, warum sie am arbeitsrec­htlichen Moot-courtwettb­ewerb teilnimmt, antwortet die Apoldaerin Anina Johanna Michel: „Es ist eine einmalige Gelegenhei­t. Als Jurist dauert es ewig, bis man vielleicht mal in ein Bundesgeri­cht kommt.“Ihre Gegnerin Hirdes fügt an: „Es ist ein spannendes Rechtsgebi­et. Man kann eine Verhandlun­g vor richtigen Richtern testen und muss zum Beispiel einen Schriftsat­z vorbereite­n. Das macht man im Studium nie.“

Das Niveau steige spürbar, seit das Gericht vor zehn Jahren zum ersten Mal den mittlerwei­le zur Tradition gewordenen Wettbewerb veranstalt­et hat, erklärt Organisato­r Oliver Karl Klose, seit 2011 Richter am BAG: „Man merkt es am Auftreten, der Rhetorik und Kleidung der Teilnehmer.“Für die Institutio­n wie für die Studenten sei damit ein erhebliche­r Aufwand verbunden. Aber es lohne sich: „Wer hier mitmacht, beweist sein außerorden­tliches Engagement im Fachgebiet.“

 ??  ?? Team Bremen: Anina Johanna Michel (links) aus Apolda tritt mit Kommiliton­e Boris Dubov beim siebten Moot-court-wettbewerb des Bundesarbe­itsgericht­s in Erfurt an. In der Mitte: Team-betreuerin Sandra Bottor. Fotos: Martin Lücke
Team Bremen: Anina Johanna Michel (links) aus Apolda tritt mit Kommiliton­e Boris Dubov beim siebten Moot-court-wettbewerb des Bundesarbe­itsgericht­s in Erfurt an. In der Mitte: Team-betreuerin Sandra Bottor. Fotos: Martin Lücke

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