Thüringer Allgemeine (Weimar)

Macht und Ohnmacht der Bürgermeis­ter

Wenig Gelder, aber engagierte Menschen: Wie sich die Stadtchefs in Thüringen zwischen Vorschrift­en, Beamten und Umlagen zurechtfin­den müssen

- Von Martin Debes

Erfurt. Er ist einer der Dinosaurie­r der thüringisc­hen Kommunalpo­litik. Seit 1994 amtiert er als Bürgermeis­ter von Bad Langensalz­a, davor war er stellvertr­etender Landrat. Und er gehört der FDP an, die in den Gemeinden und Städten kaum noch existent ist.

Bernhard Schönau hat alles in Thüringen seit dessen Wiedergrün­dung gesehen und getroffen: Ministerpr­äsidenten, Landesverw­altungsche­fs, Landräte, Abgeordnet­e, Beamte. Und er hat in diesen bald drei Jahrzehnte­n lernen müssen: Das Verspreche­n der Entbürokra­tisierung, sagt er, sei „eine Lüge“.

Im Gegenteil: Alles werde immer schlimmer. Früher sei in der Verwaltung noch auf Leute gestoßen, die Lösungen finden wollten. „Jetzt wird immer gesagt, wie etwas nicht geht.“

Schönaus Bilanz steht am Schluss der neuesten Sendung „Am Anger“, die wie gewohnt als Koprodukti­on der Thüringer Allgemeine­n mit Salve TV und dem Internetpo­rtal Thüringen 24 entstand. Sie wird ab heute ausgestrah­lt und ist zudem im Internet abrufbar.

Die Frage im Zentrum dieser Folge: Wie mächtig sind die Bürgermeis­ter in Thüringen? Oder anders: Wie ohnmächtig sind sie? Die Antwort von Christine Zimmer lautet: Ohne ihre „tollen Bürger“wäre sie längst am Ende. Denn die Stadt Artern im Kyffhäuser­kreis, der sie seit gut zwei Jahren als Bürgermeis­terin für die CDU vorsteht, habe „viele Probleme“. Fast zehn Millionen Euro an Schulden lasten auf den gerade 5500 Einwohnern. Jahrelang konnten Fördermitt­el nicht kofinanzie­rt werden, weil der Haushalt fehlte.

Im vergangene­n Jahr, sagt Zimmer, wurde der Etat dann zwar genehmigt – aber nur mit einem langfristi­gen Haushaltss­icherungsk­onzept. Das heiße: Die Stadt müsse mit harten Zahlen nachweisen, dass sie auch noch in zehn Jahren aus eigener Kraft lebensfähi­g sei.

Zwischenze­itlich, sagt sie, habe sie nicht gewusst, ob sie „diesen Kraftakt“bewältigen könne. „Es gab ein Loch von zwei Millionen Euro, das schien mir schier aussichtsl­os.“Schließlic­h musste sie Maßnahmen ergreifen, „die richtig wehgetan haben“. Zuschüsse an Vereine wurden gekürzt und die Friedhofsg­ebühren erhöht. Erst danach wurde der Haushalt von den Behörden abgesegnet.

Dennoch verweist Zimmer auf einen Erfolg: Das Schwimmbad wurde vorerst gerettet, obwohl es die Aufsichtsb­eamten am liebsten zumachen wollten. „Doch wo ist das Leben dann noch lebenswert, wenn wir alles schließen“, sagt die Bürgermeis­terin. „Die Leute hängen an dem, was sie haben, sie sollen noch stolz sein auf die Stadt.“Nur so entstehe Heimatverb­undenheit.

Derartig akute Sorgen plagen Schönau eher weniger. Bad Langensalz­a geht es mit seinen 18 000 Einwohnern im Vergleich zu Artern gut. Die Stadt, die sich Heilbad nennen darf, ist durchsanie­rt. Dennoch ist Schönau oft frustriert, zum Beispiel über das Dauerdefiz­it des Unstrut-hainich-kreises, das Bad Langensalz­a wie alle anderen kreisangeh­örigen Gemeinden ausgleiche­n muss: „Wenn ich nicht eine so hohe Umlage an den Landkreis zahlen müsste, hätte ich eine Million Euro mehr.“Auch über die Gewerbeste­uereinnahm­en, die gerade mit der Konjunktur reichlich fließen, kann sich Schönau nicht richtig freuen.

Denn die Umverteilu­ngslogik sei gnadenlos: Mehr Steuereinn­ahmen, rechnet er vor, bedeuteten in spätestens zwei Jahren eine höhere Kreisumlag­e und geringere Zuschüsse durch das Land.

Aber geht es in der Lokalpolit­ik immer nur um das Geld? Lässt sich das kommunale Leben auch anders gestalten? Das fragt Ta-chefredakt­eur Johannes M. Fischer, der wie immer gemeinsam mit Salve-geschäftsf­ührer Klaus-dieter Böhm die Gesprächsr­unde moderiert.

Nein, sagt Bürgermeis­terin Zimmer, und erzählt wieder von ihren „tollen Bürgern“. Zum Beispiel die Fußgängerb­rücke, die über den alten Solegraben zum Friedhof führte: Sie war baufällig und musste vor einigen Jahren abgerissen werden. Die Stadt hatte kein Geld für einen Neubau, die Besucher mussten

einen langen Umweg nehmen.

Also fanden sich einige Frauen zusammen und sammelten unermüdlic­h Spenden. Nachdem 40 000 Euro zusammen waren, arbeiteten die örtlichen Handwerker unentgeltl­ich, bis alles fertig war.

„Bei einer Ausschreib­ung wäre die Brücke viel teurer geworden“, sagt Christine Zimmer. „Ich bin superstolz.“

Auch Bernhard Schönau hat diese besonderen Erfahrunge­n in seiner fast 24-jährigen Bürgermeis­terzeit gesammelt, die dieses Jahr mit der Pensionier­ung endet. „Es kommt vom Bürger was zurück“, sagt er. So habe die

Stadt um die Jahrhunder­twende eine Spendenakt­ion gestartet. Wer einen Baum bezahlte, konnte ihn ihm Stadtgebie­t anlässlich eine privaten oder gesellscha­ftlichen Anlasses pflanzen lassen, natürlich mit Erinnerung­stafel. Mehrere Hundert, zum Teil durchaus teure Gehölze wachsen nun so in seiner Stadt.

„Ohne das Ehrenamt wäre der soziale Zusammenha­lt in der Gemeinde gar nicht machbar“, sagt Schönau. Dabei handele es die große Politik in Bund und Land oft falsch. Die Minister und Abgeordnet­en würden oft nur einen Scheck überreiche­n

und dann wieder verschwind­en: „Das ist doch keine Vereinsför­derung.“

Der Bürgermeis­ter pflegt ein nüchternes Verhältnis zu seiner Arbeit. „Wir sind Dienstleis­ter“, sagt er. Die wichtigste­n Regeln seien: Als Mensch stark bleiben, sich nicht von Kleingesch­wätz beeindruck­en lassen, Prioritäte­n setzen. Und: Es ließen sich nicht alle Wünsche erfüllen.

Schönau weiß selbst, dass er oft in die Kategorie Alleinherr­scher einsortier­t wird. Doch das ficht ihn nicht an. Am Ende gehe es ihm um eines: „Das Vermögen meiner Kommune zu erhalten und zu mehren.“

Aber das ist eben Bad Langensalz­a. In Artern wartet Christine Zimmer noch darauf, dass ihr der Haushalt für dieses Jahr genehmigt wird. Und sie wartet auf den Ministerpr­äsidenten.

Auf die Bittbriefe, die sie an das Innenminis­terium, das Landesverw­altungsamt und die Staatskanz­lei schrieb, antwortete allein die Regierungs­zentrale. Am 15. Februar will der Linke Bodo Ramelow zu ihr ins Rathaus kommen, um sich die Lage erklären zu lassen. Vielleicht sagt sie, könne er ja etwas tun.

Und warum auch nicht? Immerhin war mal Artern im Fernsehen die „Stadt der Träume“.

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Folge  „Am Anger“mit Christine Zimmer (Bürgermeis­terin Artern) und Bernhard Schönau (Bürgermeis­ter Bad Langensalz­a, . von rechts) wird moderiert von Salve Tv-geschäftsf­ührer Klaus-dieter Böhm (links) und Ta-chefredakt­eur Johannes M. Fischer. Foto:...
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