Macht und Ohnmacht der Bürgermeister
Wenig Gelder, aber engagierte Menschen: Wie sich die Stadtchefs in Thüringen zwischen Vorschriften, Beamten und Umlagen zurechtfinden müssen
Erfurt. Er ist einer der Dinosaurier der thüringischen Kommunalpolitik. Seit 1994 amtiert er als Bürgermeister von Bad Langensalza, davor war er stellvertretender Landrat. Und er gehört der FDP an, die in den Gemeinden und Städten kaum noch existent ist.
Bernhard Schönau hat alles in Thüringen seit dessen Wiedergründung gesehen und getroffen: Ministerpräsidenten, Landesverwaltungschefs, Landräte, Abgeordnete, Beamte. Und er hat in diesen bald drei Jahrzehnten lernen müssen: Das Versprechen der Entbürokratisierung, sagt er, sei „eine Lüge“.
Im Gegenteil: Alles werde immer schlimmer. Früher sei in der Verwaltung noch auf Leute gestoßen, die Lösungen finden wollten. „Jetzt wird immer gesagt, wie etwas nicht geht.“
Schönaus Bilanz steht am Schluss der neuesten Sendung „Am Anger“, die wie gewohnt als Koproduktion der Thüringer Allgemeinen mit Salve TV und dem Internetportal Thüringen 24 entstand. Sie wird ab heute ausgestrahlt und ist zudem im Internet abrufbar.
Die Frage im Zentrum dieser Folge: Wie mächtig sind die Bürgermeister in Thüringen? Oder anders: Wie ohnmächtig sind sie? Die Antwort von Christine Zimmer lautet: Ohne ihre „tollen Bürger“wäre sie längst am Ende. Denn die Stadt Artern im Kyffhäuserkreis, der sie seit gut zwei Jahren als Bürgermeisterin für die CDU vorsteht, habe „viele Probleme“. Fast zehn Millionen Euro an Schulden lasten auf den gerade 5500 Einwohnern. Jahrelang konnten Fördermittel nicht kofinanziert werden, weil der Haushalt fehlte.
Im vergangenen Jahr, sagt Zimmer, wurde der Etat dann zwar genehmigt – aber nur mit einem langfristigen Haushaltssicherungskonzept. Das heiße: Die Stadt müsse mit harten Zahlen nachweisen, dass sie auch noch in zehn Jahren aus eigener Kraft lebensfähig sei.
Zwischenzeitlich, sagt sie, habe sie nicht gewusst, ob sie „diesen Kraftakt“bewältigen könne. „Es gab ein Loch von zwei Millionen Euro, das schien mir schier aussichtslos.“Schließlich musste sie Maßnahmen ergreifen, „die richtig wehgetan haben“. Zuschüsse an Vereine wurden gekürzt und die Friedhofsgebühren erhöht. Erst danach wurde der Haushalt von den Behörden abgesegnet.
Dennoch verweist Zimmer auf einen Erfolg: Das Schwimmbad wurde vorerst gerettet, obwohl es die Aufsichtsbeamten am liebsten zumachen wollten. „Doch wo ist das Leben dann noch lebenswert, wenn wir alles schließen“, sagt die Bürgermeisterin. „Die Leute hängen an dem, was sie haben, sie sollen noch stolz sein auf die Stadt.“Nur so entstehe Heimatverbundenheit.
Derartig akute Sorgen plagen Schönau eher weniger. Bad Langensalza geht es mit seinen 18 000 Einwohnern im Vergleich zu Artern gut. Die Stadt, die sich Heilbad nennen darf, ist durchsaniert. Dennoch ist Schönau oft frustriert, zum Beispiel über das Dauerdefizit des Unstrut-hainich-kreises, das Bad Langensalza wie alle anderen kreisangehörigen Gemeinden ausgleichen muss: „Wenn ich nicht eine so hohe Umlage an den Landkreis zahlen müsste, hätte ich eine Million Euro mehr.“Auch über die Gewerbesteuereinnahmen, die gerade mit der Konjunktur reichlich fließen, kann sich Schönau nicht richtig freuen.
Denn die Umverteilungslogik sei gnadenlos: Mehr Steuereinnahmen, rechnet er vor, bedeuteten in spätestens zwei Jahren eine höhere Kreisumlage und geringere Zuschüsse durch das Land.
Aber geht es in der Lokalpolitik immer nur um das Geld? Lässt sich das kommunale Leben auch anders gestalten? Das fragt Ta-chefredakteur Johannes M. Fischer, der wie immer gemeinsam mit Salve-geschäftsführer Klaus-dieter Böhm die Gesprächsrunde moderiert.
Nein, sagt Bürgermeisterin Zimmer, und erzählt wieder von ihren „tollen Bürgern“. Zum Beispiel die Fußgängerbrücke, die über den alten Solegraben zum Friedhof führte: Sie war baufällig und musste vor einigen Jahren abgerissen werden. Die Stadt hatte kein Geld für einen Neubau, die Besucher mussten
einen langen Umweg nehmen.
Also fanden sich einige Frauen zusammen und sammelten unermüdlich Spenden. Nachdem 40 000 Euro zusammen waren, arbeiteten die örtlichen Handwerker unentgeltlich, bis alles fertig war.
„Bei einer Ausschreibung wäre die Brücke viel teurer geworden“, sagt Christine Zimmer. „Ich bin superstolz.“
Auch Bernhard Schönau hat diese besonderen Erfahrungen in seiner fast 24-jährigen Bürgermeisterzeit gesammelt, die dieses Jahr mit der Pensionierung endet. „Es kommt vom Bürger was zurück“, sagt er. So habe die
Stadt um die Jahrhundertwende eine Spendenaktion gestartet. Wer einen Baum bezahlte, konnte ihn ihm Stadtgebiet anlässlich eine privaten oder gesellschaftlichen Anlasses pflanzen lassen, natürlich mit Erinnerungstafel. Mehrere Hundert, zum Teil durchaus teure Gehölze wachsen nun so in seiner Stadt.
„Ohne das Ehrenamt wäre der soziale Zusammenhalt in der Gemeinde gar nicht machbar“, sagt Schönau. Dabei handele es die große Politik in Bund und Land oft falsch. Die Minister und Abgeordneten würden oft nur einen Scheck überreichen
und dann wieder verschwinden: „Das ist doch keine Vereinsförderung.“
Der Bürgermeister pflegt ein nüchternes Verhältnis zu seiner Arbeit. „Wir sind Dienstleister“, sagt er. Die wichtigsten Regeln seien: Als Mensch stark bleiben, sich nicht von Kleingeschwätz beeindrucken lassen, Prioritäten setzen. Und: Es ließen sich nicht alle Wünsche erfüllen.
Schönau weiß selbst, dass er oft in die Kategorie Alleinherrscher einsortiert wird. Doch das ficht ihn nicht an. Am Ende gehe es ihm um eines: „Das Vermögen meiner Kommune zu erhalten und zu mehren.“
Aber das ist eben Bad Langensalza. In Artern wartet Christine Zimmer noch darauf, dass ihr der Haushalt für dieses Jahr genehmigt wird. Und sie wartet auf den Ministerpräsidenten.
Auf die Bittbriefe, die sie an das Innenministerium, das Landesverwaltungsamt und die Staatskanzlei schrieb, antwortete allein die Regierungszentrale. Am 15. Februar will der Linke Bodo Ramelow zu ihr ins Rathaus kommen, um sich die Lage erklären zu lassen. Vielleicht sagt sie, könne er ja etwas tun.
Und warum auch nicht? Immerhin war mal Artern im Fernsehen die „Stadt der Träume“.