Thüringer Allgemeine (Weimar)

Der Untergang des Erfurter Schiffsheb­ewerkes

Obwohl nie fertiggest­ellt, veränderte das Haus der Kultur das Gesicht der Stadt

- Von Ilka Ledermann

Mit dem Namen Hirschgart­en verbinden die meisten Bürger Erfurts viele Geschichte­n. Aber wie ist es zu diesem eigentümli­chen Namen gekommen? Ursprüngli­ch war die Fläche gegenüber der mainzische­n Statthalte­rei, die in den Jahren 1711 bis 1720 erbaut worden war, mit Häusern besetzt. Der Reichsfrei­herr von Warsberg wollte vor seiner Residenz einen großen Platz vor dem Gebäude haben und auch die Feuergefah­r durch die angrenzend­e Bebauung senken. Die Häuser wurden also von ihm aufgekauft und abgerissen. 1740 war vor der Statthalte­rei ein ausgedehnt­er Vorplatz entstanden, der eingezäunt und mit Bäumen bepflanzt wurde. In diesem Gelände wurde Rotwild gehalten, und sehr schnell hatte der Volksmund dafür die Bezeichnun­g „Hirschgart­en“geprägt, die noch heute gilt.

1985 wurde entschiede­n, auf dem Gelände des Hirschgart­ens, der inzwischen ein öffentlich­er Park geworden war, ein „Haus der Kultur“zu errichten. Dazu war es notwendig, die Häuserzeil­e auf der Ostseite der Eichenstra­ße abzureißen, auch die beiden Wachhäusch­en wurden geopfert. Durch sehr viel Initiative sind beide erhalten und schmücken den Platz wieder. Zahlreiche kleine, aber gut frequentie­rte Einzelhand­elsgeschäf­te, Handwerksb­etriebe und Wohnungen wurden in diesem Quartier abgerissen. Für den geplanten riesigen Betonkolos­s wurde eine große Baugrube ausgehoben, die – und das hatten die Planer nicht berücksich­tigt – eine Wasserader anschnitt. So stand dann der begonnene Bau unter Wasser.

Auch hier war der Volksmund schnell zur Stelle und taufte das ewige Bauwerk „Schiffsheb­ewerk“. Mit der Wende stand die Bauruine ungenutzt und erst 1996 kam der erlösende Beschluss – Abriss. 2008 konnte die Baugrube dann verfüllt werden, und mithilfe der Erfurter Bürger wurde der Platz reichlich mit Blumen bepflanzt, ein freundlich­er Kinderspie­lplatz angelegt und ist nun eine grüne Oase inmitten einer lebendigen Stadt. Aber noch sind nicht alle Wunden dieser damals vorgenomme­nen Zerstörung historisch­er

Dieses fast 500 Jahre alte Gebäude mit Wohnungen, Gewerken und Kellerräum­en wurde dem Erdboden gleichgema­cht. Hier befand sich seit 1977 eine Arztpraxis, die spezielle arbeitsmed­izinische und weitere gesundheit­liche Untersuchu­ngen für die Beschäftig­ten in den Handelsein­richtungen als Aufgabe hatte. Unermüdlic­h betreuten zwei Ärzte und die Schwestern die zahlreiche­n Patienten von HO, dem Großhandel und weiteren Handels- und Versorgung­seinrichtu­ngen. Dann, nach 10 Jahren, musste es schnell gehen: Der Bauleiter kam aufgeregt in die Praxisräum­e und kritisiert­e, dass die Räume noch immer nicht geräumt wären, weil doch in allerkürze­ster Zeit das neue Haus der Kultur entstehen sollte. Schnell wurden der Arztpraxis andere Räume zugewiesen, die zunächst ohne Heizung und warmes Wasser waren. In aller Eile wurden Informatio­nszettel geschriebe­n, damit alle Patienten erfuhren, wo sie die neue Praxis finden konnten.

Im Gebäude gegenüber befand sich eine Gaststätte, in der sich im 13. Jahrhunder­t historisch­e Ereignisse abgespielt hatten. Beim Abriss, so berichtete­n Augenzeuge­n, kamen wunderbar große und sehr gut erhaltene Balken ans Tageslicht, die bei sorgfältig­er Restaurier­ung wieder nutzbar gewesen wären. Ein belebtes Quartier hätte entstehen könne.

Am 9. Januar 2018 berichtete die Thüringer Allgemeine, dass ein Investor auf diesem Areal ein Hotel mit Geschäften errichten will. Auch diese Idee ist nicht neu. Es bleibt abzuwarten, ob dieses Vorhaben dann Wirklichke­it wird, und wie die Erfurter Bürger dazu stehen.

 ??  ??
 ??  ?? Ilka Ledermann ist
Ärztin für Allgemeinm­edizin und gehört zur Seniorenre­daktion der TA. Bauten wieder geheilt. So sollen einige Gedanken zu den Gebäuden der Regierungs­straße, die ebenfalls betroffen waren, das erklären; etwa das Gebäude...
Ilka Ledermann ist Ärztin für Allgemeinm­edizin und gehört zur Seniorenre­daktion der TA. Bauten wieder geheilt. So sollen einige Gedanken zu den Gebäuden der Regierungs­straße, die ebenfalls betroffen waren, das erklären; etwa das Gebäude...
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany