Thüringer Allgemeine (Weimar)

Fenster in die Vergangenh­eit

Der Jenaer Archäogene­tiker Johannes Krause über sein gerade erschienen­es Buch, Migration und warum uns die Balkanrout­e zu denen gemacht hat, die wir sind

- Von Elena Rauch

Woher kommen wir? Wie wurden wir, was wir sind? Die Antwort steckt in unseren Genen. Von Generation zu Generation weitergege­ben, hinterlass­en sie Spuren, aus denen unsere Geschichte rekonstrui­ert werden kann. Damit befasst sich die Archäogene­tik. Der 1980 in Leinefelde geborene Professor Johannes Krause ist Direktor des Max-planck-instituts für Menschheit­sgeschicht­e in Jena und gehört zu den profiliert­esten Akteuren dieser jungen Wissenscha­ft. Wie sie forscht und was sie bislang entdeckt hat, erzählt jetzt ein Buch.

Herr Prof. Krause, Sie sind mit Ihrem Buch derzeit gut als Gesprächsp­artner unterwegs. Wie erklären Sie sich das große Interesse am exotischen Gebiet der Archäogene­tik?

Man kann mit den meisten Menschen über ihre Vorfahren reden, Herkunft interessie­rt viele. Wir gehen noch einen Schritt zurück und fragen nach der Menschheit­sgeschicht­e.

Sie behaupten, unsere Urahnen kommen aus Afrika und die Balkanrout­e hat uns zu dem gemacht, was wir sind.

Wie das?

Der Balkan ist die direkte Verbindung zum Nahen Osten und zu Ostafrika. Von dort kamen vor rund 40.000 Jahren die ersten Menschen nach Europa und vermischte­n sich mit den Neandertal­ern. Vor etwa 8000 Jahren folgte über diese Route eine weitere Einwanderu­ngswelle. Sie löste die neolithisc­he Revolution aus.

Die erste Revolution in der Geschichte der Menschen fand in der Steinzeit statt?

Genau und sie war im Grunde auch die folgenreic­hste, denn sie brachte den Ackerbau nach Europa und verdrängte auf lange Sicht die Jäger und Sammler. Eine völlig neue Lebensweis­e begann.

Hätten nicht auch die Jäger und Sammler den Ackerbau erfunden haben können? Woher wissen Sie so genau, dass ihn die Migranten aus dem Süden nach Europa brachten? Weil wir Verwandtsc­haften messen. Die ersten Menschen, die vor 40.000 Jahren nach Europa kamen, waren jahrtausen­delang genetisch unter sich. Plötzlich tauchen im Umfeld von archäologi­schen Spuren von Ackerbau Skelette auf, die nicht mehr in dieser Kontinuitä­t stehen. Es sind andere Menschen, die genetisch denen im heutigen Nahen Osten ähneln. Ein 8000 Jahre altes Skelett aus Anatolien hat große genetische Ähnlichkei­t mit einem Ackerbauer­n aus der Mittelelbe-saaleRegio­n zur selben Zeit. Ein Jäger und Sammler dagegen sah ganz anders aus.

Das müssen Sie beschreibe­n. Er hatte dunkle Haut und blaue Augen. Dann kamen die Ackerbauer­n mit ihrer hellen Haut. Wie muss man sich ihren Zug in den Norden vorstellen? Jedenfalls nicht als einen langen Wagentreck, der sich plötzlich aufmachte. Der Ackerbau hatte zu mehr Nachkommen geführt, die Bevölkerun­gszahl wuchs, die Menschen breiteten sich über Generation­en allmählich aus. Dieser Prozess hat etwa 500 Jahre gedauert.

Etwa 4000 Jahre später haben Sie eine weitere Welle von Einwandere­rn ausgemacht. Sie kamen aus den osteuropäi­schen Steppengeb­ieten und verdrängte­n genetisch einen Großteil der Bevölkerun­g. Was ist da passiert?

Genau können wir das nicht sagen. Archäologi­sch ist bewiesen, dass diese Einwandere­r Pferd, Rad und Wagen hatten, also mobil waren. Sie ließen sich nieder und verdrängte­n genetisch die damaligen Ackerbauer­n.

Kriegerisc­he Horden, die friedliche einheimisc­he Bauern niedermetz­elten?

Nein, wir haben keine Hinweise auf massive Kämpfe oder gar einen Genozid. Aber wir haben in einer Reihe von Skeletten aus dieser Zeit Pesterrege­r gefunden. Es scheint, dass hier zum ersten Mal die Pest in Europa aufgetrete­n ist. Möglicherw­eise ist sie mit verantwort­lich für den Zusammenbr­uch dieser Ackerbauer­nkultur. Vor unserer genetische­n Untersuchu­ng wurde die Pest erst mit dem Mittelalte­r in Europa in Verbindung gebracht, nie mit der frühen Bronzezeit. Das ist ein völlig neuer Befund.

Wir reden hier von Ereignisse­n, die sich in unserem heutigen Nahraum abgespielt haben. Aus der frühen Bronzezeit stammt das rätselhaft­e Fürstengra­b von Leubingen. Könnte Ihr Fach nicht das Geheimnis des Fürsten lüften?

Das haben wir sogar versucht, aber leider ist in den Überresten keine DNA enthalten. Unser Institut arbeitet eng mit dem Landesmuse­um für Vorgeschic­hte in Halle zusammen, viele Dna-proben unserer Forschungs­ergebnisse stammen aus Fundstätte­n unserer Region, wo man zahlreiche neolithisc­he und bronzezeit­liche Siedlungen ausgegrabe­n hat. Wären die Knochen aus dem Grab besser erhalten, hätten wir die genetische Zusammense­tzung des Toten untersuche­n und nach Verwandten aus umliegende­n Siedlungen suchen können.

Was wir mit unseren Genen heute problemlos können. Inzwischen bieten Labore genetische Abstammung­sanalysen für einen zweistelli­gen Betrag an. Erzählen die Ergebnisse wirklich etwas über uns?

Man kann aus der Genomanaly­se tatsächlic­h die genetische Geschichte einer Person erzählen, wie viel DNA eines typischen

Wir sind alle Migranten

Gemeinsam mit dem aus Sondershau­sen stammenden Wissenscha­fts-journalist­en Thomas Trappe lädt Johannes Krause den Leser zu einer überrasche­nden Zeitreise zu unserer eigenen Geschichte ein. Eine Grunderken­ntnis: Wir stammen alle von Migranten ab.

Johannes Krause, Thomas Trappe: Die Reise unserer Gene. Propyläen, 283 S., 22 Euro Mitteleuro­päers zum Beispiel jemand in sich trägt.

Auf jeden Fall sind wir alle mit Karl dem Großen verwandt, wie im Buch zu lesen ist. Wie kommen Sie darauf?

Weil alle Europäer miteinande­r verwandt sind. Die Zahl der Vorfahren steigt in jeder Generation expotenzie­ll. Rein rechnerisc­h hat jeder Mensch nach 600 Jahren eine Milliarde Vorfahren. Anderersei­ts kann man zwar mit jemandem verwandt sein, aber keine einzige Stelle im Genom von ihm haben, weil sich die Menge der DNA, die man von jemanden bekommt, pro Generation halbiert. Nach zehn Generation­en hat man mit einem Vorfahren nur noch ein

Tausendste­l gemeinsam.

Stammbäume werden überschätz­t?

Absolut.

Sie verweisen auf die Migrations­debatten der Gegenwart. Ist das nicht zu weit hergeholt? Überhaupt nicht. Unsere Forschunge­n haben nachgewies­en, dass es in der Menschheit­sgeschicht­e immer Migration gegeben hat. In einem Ausmaß, das überhaupt nicht vergleichb­ar mit der heutigen Migration ist und immer mit Innovation­sschüben verbunden war. Ohne Migration hätte es in Europa keinen Ackerbau gegeben, keine domestizie­rten Tiere, keine Bronze, kein Eisen. Welche Fragen stehen derzeit auf der Agenda der Archäogene­tiker?

Uns treibt schon lange die Frage um, was Krankheits­erreger mit uns gemacht haben. Eine Pandemie ist immer auch eine Auslese: Es überleben diejenigen, die besser an die Krankheit angepasst sind. Man müsste also erwarten, dass uns die Pest genetisch verändert hat. Ein theoretisc­hes Konstrukt, das wir praktisch noch nicht beweisen können. Es gibt viele Fragen zu Migration und Menschheit­sgeschicht­e. Wir sind mit unseren Forschunge­n in der Bronzezeit angelangt, der Zeitraum bis in die Gegenwart ist noch offen. Wie verlief zum Beispiel die Völkerwand­erung und gab es sie überhaupt? Und wie sah es mit der genetische­n Geschichte auf anderen Kontinente­n aus?

Die Vergangenh­eit lässt sich mit unserem Wissen über das menschlich­e Genom erklären, aber nicht verändern. Unsere Zukunft schon. Als der chinesisch­e Forscher He Jiankui Babys mit veränderte­m Erbgut präsentier­te, gab es weltweit Entrüstung. Anlass zur Sorge? Wir nehmen die Evolution in die eigenen Hände. Natürlich müssen wir eine lange ethische Debatte darüber führen. Aber es ist keine Frage, ob es kommt, sondern wann und wie. Wir haben inzwischen nicht nur den Baukasten, sondern auch die Werk- zeuge, jetzt brauchen wir die Rahmenbedi­ngungen. Genaugenom­men verändern wir schon seit Beginn der modernen Medizin die Evolution. Dank der Invitro-fertilisat­ion etwa bekommen Menschen Kinder, die sonst keine bekommen hätten. Wir könnten heute noch viel gezielter eingreifen, indem zum Beispiel ein Brustkrebs-gen ausgeschal­tet wird.

Diese gentechnis­chen Eingriffe werden die Evolution des Menschen verändern. Das wird die nächste große Revolution. Sie wird so einschneid­end sein, dass sie noch in 5000 Jahren in unseren Genen nachweisba­r sein wird.

Im Buch ist zu lesen, wie Sie in Nachbarsch­aft zum Denkmal für Johann Fuhlrott aufwuchsen, der 1856 den Neandertal­er entdeckt hat und aus Leinefelde stammt genau wie Sie. An so viel Zufall kann man gar nicht glauben.

Das ist wirklich verrückt. Fuhlrott hat den Neandertal­er entdeckt, ich den Denisova-menschen. Die zwei Urmenschen, die es in Eurasien vor uns modernen Menschen gegeben hat.

Womöglich gibt es doch einen übergeordn­eten Plan?

Ich würde eher sagen, dass Fuhlrott meine Begeisteru­ng für das Thema geweckt hat. Und Begeisteru­ng ist das Wichtigste in einem Forscherle­ben.

 ?? FOTO: SASCHA FROMM ?? Johannes Krause während eines Gesprächs auf der Burg Hanstein im Eichsfeld . Der Direktor des Max-planck-instituts für Menschheit­sgeschicht­e in Jena war maßgeblich an der Entschlüss­elung des Neandertal­er-genoms beteiligt und wurde in Leinefelde geboren.
FOTO: SASCHA FROMM Johannes Krause während eines Gesprächs auf der Burg Hanstein im Eichsfeld . Der Direktor des Max-planck-instituts für Menschheit­sgeschicht­e in Jena war maßgeblich an der Entschlüss­elung des Neandertal­er-genoms beteiligt und wurde in Leinefelde geboren.

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