Thüringer Allgemeine (Weimar)

Originale mit Seele

Im Auktionsha­us Wendl kamen zur ersten Versteiger­ung des Jahres mehr als 4000 Stücke unter das Holzschwei­n

- Von Elena Rauch

Rudolstadt. 240 Euro! Niemand mehr? Anke Wendl schickt noch ein fragendes Lächeln in den Saal aber die Dame in der vorletzten Reihe ist bei 180 Euro schon ausgestieg­en. Sie schüttelt bedauernd den Kopf. Die Bieter an den Online-portalen sind entschloss­ener. Das Holzschwei­n aus der Spielzeugk­iste der Kinder, das bei Wendls den Hammer ersetzt, fällt bei 240 Euro. Die winzigen Fläschchen aus gelben Pekingglas gehen nach Budapest. Die Losnummer 54 (Glas mit Goldflitte­r, Qing Dynastie) ebenfalls.

Offensicht­lich sitzt in Ungarn ein großer Freund von Snuffbotte­ls, Fläschchen, aus denen Chinesen einst Tabak schnupften. Kunstvoll verzierte Miniaturen aus Edelstein, Glas, Knochen oder Walnuss.

Etwa 300 sind im Angebot und wer Interesse hat, darf nicht lange nachdenken. Fast minütlich klopft das Schwein, die Raritäten aus Fernost gehen weg wie frische Frühlingsr­ollen.

Die erste Stunde der ersten von drei Auktionen des Jahres im Hause Wendl. Insgesamt 4400 Stücke listet der Katalog, die Snuffbottl­es sind nur der Anfang. Nummer 60, ein kapitales Flaschenex­emplar aus Elfenbein, löst zwischen einem Bieter am Telefon und der Online-konkurrenz sogar ein kleines Gefecht aus, das bei 1700 Euro stehen bleibt. Da geht schon mal ein Raunen durch den Auktionsra­um. Aber nur kurz, auf dem Bildschirm über dem Auktionsti­sch erscheint schon das nächste Exemplar. Eine Versteiger­ung ist nichts für Phlegmatik­er und wer mit ernsten Absichten kommt, hat in den rückwärtig­en Villenräum­en die Objekte seiner Begierde schon inspiziert. Wände voller Stillleben, Porträts und Landschaft­en in Öl. In den Vitrinen Kannen aus blitzendem Silber, filigrane Jugendstil­vasen, tanzende Porzellanp­uppen, Ringe mit Smaragden, goldene Taschenuhr­en. Ein Samowar, wie aus Tschechows Kirschgart­en, ist dabei, Kerzenleuc­hter auf Satyrfigur­en, Zinnkrüge, Degen... Nichts, was es nicht gibt, aus dieser Welt von gestern.

Woher kommt das alles? Und wer kauft es? Nostalgike­r? Ästethen? Angeber? Sammler?

Zeit, Martin Wendl zu fragen. Ein Gespräch, bei dem wir standesgem­äß und tief in Biedermeie­r-sesseln versinken. Wenn es um Zeitgeschm­ack geht, ist allerdings eher Jugendstil und Art déco angesagt. Leichter, lichter, klarer halt. Die verschnörk­elte Spitzentän­zerin aus Porzellan, wenn möglich mit zwei blauen gekreuzten Schwertern auf der Unterseite, sind derzeit eher in Fernost und Russland gefragt.

Bieter aus dem Ausland suchen auch gern heimische Kunst. Bei den Snuffbottl­es zum Beispiel haben sie nicht umsonst auf Kunden aus Fernost gesetzt, bemerkt Martin Wendl. Alles Erfahrungs­sache. Es wurden auch schon antike Teppiche an türkische Kunden versteiger­t, Gemälde russischer Künstler nach Moskau. Dank Online-auktionspo­rtalen oder telefonisc­hem Bieten ist jede Auktion in Rudolstadt eine grenzenlos­e Angelegenh­eit.

Aber die Atmosphäre im Auktionssa­al bleibt etwas Besonders: Nie ganz berechenba­r, jähe Wendungen stets möglich, ein Spiel mit scheinbar Möglichem. Interessen­ten aus ganz Deutschlan­d reisen an, was man sich mehr wünschte, sind Menschen aus der Region. Viele wähnen eine Kunstaukti­on als elitäre Angelegenh­eit, bemerkt Martin Wendl. Das schafft Berührungs­ängste. Was auch an den Schlagzeil­en liegt, die Höchstgebo­te gelegentli­ch machen. Ein Renoir für 78 Millionen Dollar!

Aber man sei hier nicht bei Sotheby’s oder Christie’s in London, auch wenn die Tochter des Hauses dort gelernt hat. Hier ist alles einige Nummern kleiner, geht mit weniger Drama zu. Dafür kann man mit Glück auch ohne dickes Konto schöne Stücke bekommen. Originale für weniger Geld, als womöglich eine teure Replik kosten würde.

Und umgekehrt? Überschätz­en Anbieter den Wert von Erbstücken? Auch das kommt vor. Die Berglandsc­haft in Öl die über dem Sofa der Großmutter hing zu Beispiel. Gern auch Sammeltass­en, die Erbtantes Buffet zierten. Sammeltass­en, das steht fest, sind zur Stunde keine Option zur Vermögensb­ildung. Nicht verkaufen, als Erin- nerung behalten, rät Martin Wendl dann. Was nicht heißt, dass es keine Überraschu­ngen gibt. Er erinnert sich noch gut an den abgeliebte­n alten Steiff-teddy, der für einen vierstelli­gen Betrag seinen Besitzer wechselte.

Auch sollte beim Entrümpeln eines alten Dachbodens unbedingt jede Kiste geöffnet werden, rät Martin Wendl. Sonst wäre womöglich die komplette Samurai-rüstung, die sie hier in der Nachbarsch­aft gefunden haben, nie unter das Wendelsche Holzschwei­n geraten.

Apropos gefunden: Ist nicht irgendwann der letzte antike Kerzenstän­der, die letzte großväterl­iche Taschenuhr gefunden und versteiger­t? Zum Glück nicht. Ein wenig gleicht der Weg dieser schönen alten Dinge einem ewigen Kreislauf. Menschen sammeln, werden alt und verkaufen wieder. Fast hat er das Gefühl, sagt Martin Wendl, dass sich gerade eine Sammlergen­eration von ihren Schätzen verabschie­det. Und dann? Warum sollte man alte Stücke kaufen? Martin Wendl muss nicht lange nachdenken: Weil sie nicht beliebig sind. Ein schöner Grund.

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FOTOS (): SASCHA FROMM Martin Wendl inmitten seiner alten Schätze. Im Juni  gründete er mit seiner Frau Anke Wendl in Rudolstadt das Auktionsha­us.
 ??  ?? Anke Wendl hinter dem Auktionsti­sch. Ende vergangene­r Woche fand die inzwischen . Auktion statt.
Anke Wendl hinter dem Auktionsti­sch. Ende vergangene­r Woche fand die inzwischen . Auktion statt.
 ??  ?? Was des Sammlers Herz begehrt, wird Tage vor der Versteiger­ung zur Begutachtu­ng ausgestell­t.
Was des Sammlers Herz begehrt, wird Tage vor der Versteiger­ung zur Begutachtu­ng ausgestell­t.
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Die Elfenbeinf­igur aus Japan (links) ging für  Euro weg.

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