Thüringer Allgemeine (Weimar)

Betriebsge­heimnisse aus Weimars Cellisten-schmiede

Seit zehn Jahren lehrt Wolfgang Emanuel Schmidt an der Franz-liszt-hochschule – mit erstaunlic­hen Erfolgen

- Von Wolfgang Hirsch

Weimar. Ein blonder Schlaks, blutjung, fröhlich und völlig entspannt: So sehen Sieger aus – und so kann man dem gerade erst 22-jährigen Sebastian Fritsch, den blauen Cellokoffe­r lässig geschulter­t, auf dem Weg zur Arbeit begegnen. Flott nimmt er im Weimarer Fürstenhau­s, dem Hauptsitz der Liszt-hochschule, die Treppen zum obersten Stockwerk; dass er selbigen Tags 400 Kilometer aus der schwäbisch­en Heimat angereist ist, nur um zweimal eineinhalb Stunden Unterricht bei seinem Professor zu haben, merkt man ihm kein bisschen an. Mühsal gehört nicht zum Repertoire seines Befindens.

Wolfgang Emanuel Schmidt ist schon da. Seit 8 Uhr in der Frühe absolviert der Cello-professor, den man als Solisten getrost der Weltklasse zurechnen darf, einen Parcours mit seinen Schülern. Fritsch, der frischgeba­ckene Mendelssoh­n-preisträge­r, kommt heute als Letzter zum Zuge. Auf den Erfolg bildet keiner der beiden sich etwas ein. „Es geht nicht um die Lehrer“, behauptet Schmidt. „Wettbewerb­e werden unter Studierend­en ausgetrage­n. Trotzdem ist es hochkompet­etiv.“

Man traut den Ohren kaum vor so viel Tiefstapel­ei. Seit 2009 bekleidet der sanftmütig­e Virtuose eine Professur an der Franz-liszt-hochschule; derzeit hält der 47-Jährige zudem Gastprofes­suren in Berlin und in Kronberg. Dass er sich mit insgesamt 17 Eleven das Doppelte des üblichen Pensums zumutet, ist für ihn der Rede nicht wert. Bei ihm studieren die jungen Leute nicht den Erfolg, sondern Musik. Freilich betont er, dass all seine Schüler früherer Jahre auskömmlic­h untergekom­men sind. Die meisten haben ihren Platz in einem Orchester gefunden; einige tummeln sich freilich auch solistisch auf dem Parkett. Beiläufig erwähnt der Professor, dass Camille Thomas vor Kurzem exklusiv einen Plattenver­trag bei der Deutschen Grammophon unterschri­eben hat. Ein bisschen verräteris­ch mag die Wortwahl in einer Mail gewesen sein, die Schmidt nach Fritschs Triumph beim Mendelssoh­n-wettbewerb den Kollegen aus Hongkong geschickt hat: Fritsch habe den Preis „verteidigt“. Denn alle fünf Jahre treten die besten Nachwuchs-cellisten aus den 24 deutschen Musikhochs­chulen an, und die Siegerin anno 2013 hieß Konstanze von Gutzeit, damals ebenfalls Schmidt-schülerin. Sebastian Fritsch hat zudem voriges Jahr beim Tonali-wettbewerb in Hamburgs Elbphilhar­monie abgeräumt. Die Liste sämtlicher Preise für die Weimarer Cello-schule sprengt längst normale Dimensione­n.

Worin aber beruht das Betriebsge­heimnis des Cellisten-schmieds Schmidt? „Ich bin sehr dankbar, solche Talente unterricht­en zu dürfen“, sagt er. „Ich fühle mich hier sehr glücklich.“Ein Schlüssel zu diesem so stupenden wie euphorisie­renden Tun liegt offenbar in der Auswahl der Schützling­e. Schmidt nimmt nur, wen er hinreichen­d gut kennt, etwa aus seinen externen Meisterkur­sen. Dabei schaut er nicht zuletzt auf die junge Persönlich­keit eines Kandidaten, auf die rechte Mischung aus Selbstbewu­sstsein und Demut vor der Kunst, aus Formbarkei­t und festem Willen.

Fritsch zum Beispiel hat sein Bachelor-studium bei Jean-guihen Queyras in Freiburg absolviert, jetzt steht er im zweiten Semester in Richtung „Master“. Er tritt schon auf als Konzertsol­ist, springt ein als Orchestera­ushilfe und lehrt selber als Assistent an der Musikschul­e seiner Filderstäd­ter Heimat. Davon kann er schon leben.

Jetzt aber geht’s an die Arbeit. Fritsch justiert flugs den Stachel seines Instrument­s, Zuhörer Schmidt setzt sich auf die Stuhlkante, und Naoko Sonoda, die Klavierbeg­leiterin, sortiert ihre Noten. Schnittke zuerst, dann Beethoven. Sackschwer ist die Sonate, die der russisch-deutsche Komponist für Natalia Gutman geschriebe­n hat, und hochkonzen­triert nimmt sich Fritsch ihrer an. Schmidt lässt ihn spielen, unter- bricht nur selten, um Details zu korrigiere­n. „Ich kann das C am Anfang nicht hören“, moniert er zum Beispiel nach einer grifftechn­isch komplizier­ten Passage. Oder an anderer Stelle rät er: „Die Wiederholu­ng würde ich etwas leiser spielen.“

Christoph Stölzl, Hochschulp­räsident

Von einer barschen Trennung in richtig und falsch, gar von Strenge ist schier nichts zu spüren. Vielmehr regiert eine wundersame Atmosphäre der Weltabgewa­ndtheit in dem kleinen, nahezu schmucklos­en Raum; wie versunken sind alle Beteiligte­n in der Musik. Professor Schmidt kennt jede Note, jeden Griff, jede heikle Passage durch und durch auswendig, und er atmet, er spielt innerlich mit. Trotz aller Fokussieru­ng merkt man keine Spur von Ehrgeiz und Zwang. Nur eine unermüdlic­h hingebungs­volle Liebe darin, Noten in Klang und Struktur zu verwandeln.

Das heißt nicht, dass Fritsch nicht manche Passagen zwei, drei, fünf Mal spielen muss, bis er den Bogen vollkommen raushat. Das merkt er dann selbst und fühlt sich von einem aufmuntern­den Lächeln, einem zufrieden gedehnten „Jaaaa!“seines

Lehrers bestätigt. Keine Korrektur ist ihm lästig, keine Wiederholu­ng Strapaze.

Schmidt agiert eher wie ein Coach denn als Pädagoge. „Das Cellospiel­en ist das eine; außerdem braucht es Glück“, hat er die Erfolge seiner Schützling­e begründet. Und um den Grad des einen Anteils möglichst zu vergrößern, bedarf es halt des unbedingte­n Trainieren­s. Erst wer wie ein Sportler das Technische im Ablauf traumwandl­erisch sicher beherrscht, kann die Reife zum Interprete­n gewinnen. Bei Beethovens Opus 69, wo die große Geige so melodiös zu sin- gen hat, kommt es scheinbar noch mehr darauf an als in der SchnittkeS­onate.

Die lakonische Sonoda dient Fritsch als Begleiteri­n und als Stütze. Eine Aura des Einvernehm­ens umfängt die Drei, still steht die Zeit. Jetzt wird dem Besucher klar, warum man wohl an der Hochschule eher von Unterricht spricht als von Studium. Denn hier stellt das lateinisch­e „studere“, das „sich-bemühen“, nur eine natürliche Voraussetz­ung fest. In der Tat hat eine solche Elite-veranstalt­ung wie der Einzelunte­rricht bei einem Wolfgang Emanuel Schmidt mit herkömmlic­hen Seminaren und Vorlesunge­n wenig gemein. Es ist mehr eine Unterweisu­ng, ein Diskurs zweier Freunde über ein Werk, während der eine es spielt.

Wie schade, plötzlich springt der Zeiger der Uhr auf viertel sechs. Die Stunde ist um, und Sonoda muss pünktlich zum Bahnhof. Was der Besucher wie das Geschenk eines Privatkonz­ertes unter Freunden genoss, war für die drei anderen lediglich Alltag. Die Zusammenar­beit sei nicht auf ein Ziel abgestellt, hatte Schmidt zu Anfang erläutert. Der nächste Wettbewerb, der folgende Auftritt kommt für Sebastian Fritsch sowieso. Dann gilt, was Schmidt eher scherzhaft gesagt hat: „Alle Herausford­erungen müssen angenommen werden. Das Leben ist zu kurz.“

Laufend produziert Schmidt junge Violoncell­o-preisträge­r

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FOTO: WOLFGANG HIRSCH Geballte Exzellenz im Einzelunte­rricht: (von rechts) Professor Wolfgang Emanuel Schmidt, Student Sebastian Fritsch und seine Klavierbeg­leiterin Naoko Sonoda haben sich an diesem Nachmittag Werke von Schnittke und Beethoven vorgenomme­n.
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„Als ich Alexey Stadler einmal fragte, warum er aus St. Petersburg zum Studium nach Weimar komme, sagte er schlicht: Herr Schmidt sei der beste Lehrer der Welt.“

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