Teures Spiel mit der Gesundheit
Hunderttausende Jugendliche haben laut einer Studie einen riskanten Umgang mit Computerspielen. Forscher machen die Entwickler verantwortlich
Berlin. Der Markt für Computerspiele ist milliardenschwer, finanziert auch von Millionen Kindern und Jugendlichen in Deutschland, die mindestens einmal in der Woche in die virtuellen Welten von „Fortnite“oder „Minecraft“abtauchen – mit gesundheitlichen Auswirkungen, wie eine am Dienstag von der Dak-gesundheit und dem Zentrum für Suchtfragen des Uniklinikums Hamburg-eppendorf (UKE) veröffentlichte Studie zeigt. Erstmals haben die Forscher dabei auch untersucht, welche Rolle im Spiel versteckte Kosten bei der Entwicklung einer Gaming-sucht spielen. Antworten auf die wichtigsten Fragen.
Wie viele junge Menschen haben ein problematisches Spielverhalten?
Die Forscher haben ermittelt, dass in Deutschland drei Millionen Kinder und Jugendliche zwischen zwölf und 17 Jahren mindestens einmal in der Woche am Computer spielen. Das sind 72,5 Prozent der jungen Leute. Bei rund zwölf Prozent von ihnen ermittelten die Forscher ein riskantes, bei drei Prozent sogar ein pathologisches, also krankhaftes Spielverhalten – das sind rund 465.000 aller Kinder und Jugendlichen in dieser Altersgruppe. Dabei gab es die meisten Risiko-spieler bei dem derzeit unter Jugendlichen beliebtesten Spiel „Fortnite“, bei dem Teams ums Überleben auf einer Insel kämpfen. Auf Platz zwei und drei folgen „Fifa“und „Minecraft“.
Warum können Computerspiele süchtig machen?
Neben Spaß und Ablenkung ge- he es den jungen Spielern um den Wettbewerb, sagt Professor Rainer Thomasius vom Zentrum für Suchtfragen am UKE und Leiter der Studie. „Sie wollen miteinander ringen und siegen.“Neurobiologisch führe dann ein Sieg zur Aktivierung des Belohnungssystems. „Dieses System reagiert auch auf Alkohol, Zigaretten oder Kokain“, sagt Thomasius. Der Sieg rufe ein Gefühl von Selbstbestätigung und Macht hervor, „was manche Kinder im realen Leben so nicht empfinden, weil sie zum Beispiel sehr schüchtern sind“.
Wie zeigt sich riskantes Verhalten? Als abhängig galt den Autoren der Studie ein Verhalten, wenn mindestens fünf von neun Kriterien erfüllt sind, die der amerikanische Diagnosekatalog für psychische Störungen auflistet. Muss etwa ein Spieler immerzu an das Spiel denken; erlebt er Entzugssymptome wie Gereiztheit, Traurigkeit oder Konzentrationsstörungen, wenn er nicht spielen kann; muss er immer mehr Zeit vor dem Spiel verbringen, kann er diese Zeit auch nicht mehr selbst regulieren; verliert er das Interesse an früheren Hobbys, vernachlässigt er die Schule; belügt er die Familie und verliert durch sein Verhalten Freunde und andere Kontak- te, sprechen Experten von abhängigem Spielverhalten.
Dr. Iren Schulz, Mediencoach bei der Initiative „Schau hin!“warnt jedoch vor Alarmismus: „Wenn sich ein Kind oder Jugendlicher für ein neues Computerspiel begeistert und mal ein, zwei Wochen ununterbrochen daddelt, ist das erst mal kein Drama.“
Welche Rolle spielt die Gestaltung der Spiele bei der Entwicklung einer Abhängigkeit? Eine ganz entscheidende, sagen Experten. „Die Spiele werden immer mehr als Open-end-spiele gestaltet“, sagt Thomasius, „so werden die Jugendlichen dauer- haft im Spiel gehalten.“Auch Pausen seien oft nicht vorgesehen, weil sonst Punkte verloren gehen könnten. „Den Spielern wird außerdem der Eindruck vermittelt, eine wichtige Rolle und Verantwortung in der Weiterentwicklung einer populären Welt zu haben“, sagt Thomasius. Mediencoach Schulz stimmt zu: „Die Spieler können ihre Spielfigur individualisieren und entwickeln entsprechend eine hohe Identifikation mit ihr.“
Hinzu komme eine soziale Verpflichtung, die durch die Spiele erzeugt werden könne, sagt Thomasius, „weil zum Beispiel der Ausstieg des Einzelnen aus einem Team Konsequenzen für die ganze Gruppe haben kann“.
Welche Rolle spielt dabei das Geld?
Geld spielt eine immer größere Rolle in Computerspielen. So hat mehr als die Hälfte der regelmäßigen Spieler in der Studie angegeben, in den sechs Monaten vor der Befragung Geld für die Anschaffung von Spielen oder für Extras ausgegeben zu haben. Im Schnitt rund 110 Euro pro Spieler, wobei die Streuung laut den Wissenschaftlern sehr breit war: Sie reichte von nur wenigen Euro bis hin zu 1000 Euro.
„Der Einsatz von Geld ist ein essenzielles Mittel für die Intensivierung von Spielerlebnissen geworden“, sagt Thomasius. So seien bestimmte Funktionen nur im Eintausch gegen Geld zu erlangen, sogenannte In-gameKäufe. „Und da reales Geld häufig in virtuelle Währung transferiert wird, kann das Maß zur tatsächlichen Ausgabe schnell verloren gehen.“Gleichzeitig führten Geldausgaben laut Thomasius zu einer erhöhten Nutzung, weil der Spieler das Bedürfnis hat, genügend spielen zu müssen, um auf seine Kosten zu kommen.
Besonders kritisch sehen Experten sogenannte Lootboxen, die eine zufällige Kombination aus nützlichen oder nutzlosen Spielgegenständen enthalten und entweder Belohnung sind für erfolgreiches oder ausdauerndes Spiel oder direkt gekauft werden können. „Nutzer werden hierdurch an die suchtgefährdenden Mechanismen des klassischen Glücksspiels herangeführt“, kritisiert Thomasius. Er und die Dak-gesundheit fordern deswegen auch ein Verbot dieser Boxen wie es schon in Belgien und in den Niederlanden existiert. Mediencoach Schulz sieht die Nähe zum Glückspiel auch kritisch, spricht sich jedoch gegen ein Verbot aus: „Mit Verboten lernt man keinen Umgang.“Stattdessen müssten etwa Schulen Medienbildung anbieten.
Was sagen Spielehersteller? Der Branchenverband Game lehne ein Verbot von Lootboxen weiter ab, sagte Geschäftsführer Felix Falk. Entscheidende Unterschiede zu Glücksspielen würden in der Debatte übersehen. So enthielten die Boxen einen vorher genannten Umfang an virtuellen Gegenständen und Zusatzinhalten, lediglich die exakten Inhalte seien nicht bekannt. „So wie auch bei Überraschungseiern“, sagte Falk. Der Spieler erhalte immer einen Gegenwert in Form virtueller Inhalte.