Thüringer Allgemeine (Weimar)

Aus Scheu wird Neugier

Michael Engel und André Bienek von den Thuringia Bulls über Dominanz, Inklusion und die Genesung von Mitspieler Matt Scott

- Von Thomas Rudolph

Erfurt. Die gute Laune ist bei Trainer Michael Engel und Nationalsp­ieler André Bienek alltäglich. Das kommt nicht von ungefähr. Mit den Thuringia Bulls feiert das Duo im Rollstuhlb­asketball große Erfolge. Erstmalig schlossen die in Elxleben beheimatet­en Bullen die Hauptrunde der Bundesliga ohne Niederlage ab. Aber auch in der Champions League hat man die Endrunde im Blick. Gemeinsam standen sie den Moderatore­n Marco Alles und Gerald Müller beim Sporttalk „Im Steigerwal­dstadion“in Erfurt Rede und Antwort.

KONSTANZ

Engel: Konstant gewinnen, ist das Schwierigs­te auf der Welt. Wir wissen, was dahinterst­eckt. Für uns ist es das erste Mal gewesen. Wir sind die letzten vier Jahre immer Hauptrunde­nsieger gewesen, aber nie ungeschlag­en. Wir freuen uns darüber. Aber wir spielen jetzt die Playoffs, also kann man sich dafür nichts kaufen. Wir haben nur den Heimvortei­l.

DOMINANZ

Engel: Da gibt es vier Punkte. Erstens haben wir eine sehr talentiert­e Mannschaft zusammenge­stellt. Das ist das Ergebnis jahrelange­r Arbeit. 2011 haben wir angefangen, vier Spieler davon sind dann 2016 deutscher Meister geworden. Das ist unser Fundament. Punkt Nummer zwei ist die Einstellun­g. Wir arbeiten jeden Tag und opfern uns auf. Wir bereiten uns auf jeden Gegner akribisch vor. Drittens ist der Charakter ganz wichtig. Bei uns gibt es verschiede­ne Rollen, am Ende kann nur einer den Ball in den Korb schmeißen. Der vierte Punkt ist die innovative Spielidee. Da sind wir anderen voraus, auch wenn sie versuchen, in die gleiche Richtung zu gehen. Das ist ein Vorsprung, der nicht zu unterschät­zen ist. Wir fragen uns immer, wie man die Sportart nach vorne bringen kann.

ERFOLGSGEH­EIMNIS Bienek: Alles rundherum läuft sehr profession­ell ab. Wir sind ein super Team, wollen jeden Tag arbeiten. Das habe ich in anderen Mannschaft­en anders erlebt. Dort war ab und zu der Schlendria­n drin. Das gibt es hier nicht. Hier ist das Training mitunter anstrengen­der als die Spiele am Wochenende. Der Zu- sammenhalt ist besser als in anderen Teams.

LETZTE NIEDERLAGE Bienek: Das weiß ich noch ganz genau. Das war die HalbfinalN­iederlage im Pokal gegen LahnDill. Das war sehr bitter, weil wir in dem Jahr das Triple holen wollten. Das wollen wir natürlich dieses Jahr anders machen.

LUTZ LESSMANN

Engel: Lutz ist der Uli Hoeneß des Rollstuhlb­asketballs. Das passt, er ist glühender FC BayernFan. Er hat eine verrückte Idee gehabt, was aus meiner Sicht zu einer der inspiriere­nden Sportgesch­ichten Deutschlan­ds geführt hat. Sein Geheimnis ist, dass er uns vertraut. Er ist ein Sportbeklo­ppter, der sich den ganzen Tag mit dem Sport auseinande­rsetzt. Wir tauschen uns über viele Dinge aus. Dass das Vereinsleb­en so funktionie­rt, ist sein Verdienst.

PARALLELEN

Bienek: Ich habe leider nie „Fußgänger-basketball“gespielt. Ich denke aber, dass es viele Parallelen gibt. Wir müssen genauso hart an uns arbeiten. Die acht Einheiten pro Woche sind gut und liefern die Grundlage. Alles, was darüber hinaus geschieht, dafür sind wir selbst verantwort­lich. Wir arbeiten eng mit unseren Personal-trainern zusammen, um uns zu verbessern. Man muss in der Woche viele Würfe nehmen, damit man am Wochenende trifft. Was man am Wochenende sieht, ist nur die Spitze des Eisberges, was man die Zeit zuvor gemacht hat. Da steckt sehr viel Arbeit dahinter.

AUSLANDSER­FAHRUNG Bienek: In Italien ist der Stellenwer­t ähnlich wie in Deutschlan­d. Es ist eine Randsporta­rt, die aber viele Zuschauer hat. Ich habe in Cantu gespielt, wir hatten viele Zuschauer, die nur wegen des Basketball­s in die Halle gekommen sind. In Amerika war das anders. Da war es mehr Behinderte­nsport. Die Behinderun­g stand an erster Stelle, man konnte kaum Sponsoren gewinnen und es waren nur wenig Leute in der Halle.

EHRGEIZ

Bienek: Ich will mich immer noch verbessern. Ich bin sehr kritisch, mit mir selbst am meisten. Auf dem Basketball­feld gibt es immer noch Sachen, die mir nicht gefallen. Das treibt mich an.

VERLETZUNG­SGEFAHR Bienek: Verletzung­en passieren, aber die Rollstühle sind eigentlich so gebaut, dass sie den Kontakt aufnehmen und uns schützen. Das ist das zweischnei­dige Schwert. Natürlich passieren immer wieder Unfälle und man tut sich weh. Aber im Grundsatz kann man sagen: Wir sind öfter beim Schwei- ßer, weil die Rollstühle kaputt gehen, als beim Doktor.

ENGEL ÜBER BIENEK

Engel: Über ihn könnte ich ein Buch schreiben. Er ist ein ganz wichtiger Teil unserer Mannschaft. Als wir 2016 erstmals deutscher Meister geworden sind, ist er MVP, also wertvollst­er Spieler, geworden. Im Anschluss waren die Paralympic­s in Rio, und danach hat sein Körper nach über 200 Länderspie­len mal gesagt, er braucht eine Pause. André wollte das nicht einsehen, trotzdem haben wir ihm gesagt, wir nehmen dich mal für ein paar Wochen raus. Aus Eigenantri­eb ist er aber dann wieder zurückgeko­mmen. Jetzt ist es so, dass André kein „Starting-five“-spieler mehr ist. Seine Rolle ist eine andere und er kommt von der Bank. Sich diese Rolle einzugeste­hen und sich sagen: „Hey, ich komme jetzt von der Bank und gebe da Vollgas“, das macht ihn so unverzicht­bar. Solche Typen in der Mannschaft zu haben, schadet nicht. Aber er nimmt auch abseits des Platzes viele Sachen wahr.

BIENEK ÜBER ENGEL Bienek: Er ist ein Top-coach. Was er uns an technische­n Fertigkeit­en beibringt, immer wieder Innovation­en hat, ist einma- lig. Er geht immer mit guter Laune ins Training. Er verströmt eine Ruhe, die auf uns wirkt. Wir spielen dadurch das Spiel ruhiger.

EINKOMMEN

Engel: Wir sind alle keine Profisport­ler, jeder geht einer Arbeit nach. Ich weiß nicht, wie es in anderen Vereinen gehandhabt wird. Es ist aber nicht so, dass die Sportler nach ihrer Karriere ausgesorgt haben. Alle Spieler müssen nach ihrer Karriere noch aktiv arbeiten.

CHAMPIONS LEAGUE

Engel: Wir haben uns gut vorbereite­t. Aber auf dem Level ist auch die Tagesform entscheide­nd. Am Ende des Tages musst du abliefern. Wir sind heiß wie Frittenfet­t. Alle Leute, die vorbeikomm­en, werden SpitzenRol­lstuhlbask­etball erleben. Bienek: Der Heimvortei­l ist ein Plus. Nicht reisen zu müssen, ist ein großer Vorteil. Cantu und Albacete sind Top-teams, wir haben sie mehrfach über die sozialen Netzwerke beobachtet.

BUNTE MISCHUNG

Bienek: Unser Team ist gelebte Integratio­n. Nationen kommen zusammen, Menschen mit und ohne Behinderun­g, um gemeinsam Sport zu machen. Viel besser kann das die Uno oder Deutschlan­d auch nicht auf das Papier bringen. Was von der Politik gefordert wird – Integratio­n und Inklusion – machen wir.

SCHOOL-TOUR

Bienek: Wir versuchen, den Schülern, die nicht behindert sind und kaum Kontakt mit Rollstuhlf­ahrern haben, an Schulen zu vermitteln, was es heißt, anders zu sein. Wenn ich im Rollstuhl sitze, falle ich erst mal auf. Wie geht man mit dem Anderssein um? Wir bieten Rollstuhlb­asketball und Rugby an. Die Schüler sehen den Rollstuhl als Sportgerät, was cool ist und Spaß macht. Wir haben sehr interessan­te Gespräche mit den Kindern. Am Anfang überwiegt die Scheu, dann kommt die Neugier und am Ende ist es immer ein riesiger Erfolg.

MATT SCOTT

Bienek: Ich hoffe, dass wir ihn wieder auf dem Parkett sehen. Er freut sich sehr, dass er bald das Krankenhau­s verlassen kann. Er ist einer der größten Kämpfer und Menschen, die ich kenne. Als er im Krankenhau­s war, haben wir uns alle gesagt: jetzt erst recht. Engel: Was die Ärzte geleistet haben, da kann man nur ein großes Dankeschön sagen. Die Krankenpfl­eger in Bad Berka haben einen kleinen Korb gebaut, damit er sein Wurfgefühl nicht verliert. Er ist da sehr kreativ. Von der Korbanlage gibt es sogar Videos. Egal in welcher Position, er hat nichts verlernt.

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FOTO: SASCHA FROMM Gut gelaunt beim Talk: Michael Engel (stehend) und André Bienek.
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