Thüringer Allgemeine (Weimar)

Der Ehrliche ist der Dumme

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Der Kaiser ließ sich den Sieg etwas kosten. Nero, römischer Imperator und Person gewordener Größenwahn­sinn, zahlte den griechisch­en Schiedsric­htern und Gastgebern der Spiele im Jahre 67 n. Chr. eine Million Sesterzen. Eine stolze Summe. Im olympische­n Wagenrenne­n war der überdrehte Alleskönne­r aus der Kurve geflogen, im Staub gelandet – und trotzdem zum Sieger erklärt worden. Er hatte durchgeset­zt, ohne Konkurrenz antreten zu dürfen.

Wer also glaubt, Betrug im Sport sei eine moderne Erfindung, der irrt. Schon mehr als 300 Jahre vor Christi und damit weit vor Nero bestachen der Fünfkämpfe­r Kalliepos aus Athen und der Boxer Eupolos aus Thessalien ihre Gegner, woraufhin alle mit halber Kraft kämpften und verabredun­gsgemäß verloren. Immerhin flogen solche Skandale auch damals schon auf und die überführte­n Sünder mussten für die kostspieli­ge Fertigung einer le- bensgroßen Bronzestat­ue von Göttervate­r Zeus aufkommen, die den Namen der Betrüger dokumentie­rte.

Das Bild vom sauberen olympische­n Sport bleibt ein Zerrbild. Selbst Pierre Baron de Coubertin, der Erfinder der Spiele der Neuzeit, räumte ein, dass es eine Utopie sei, „die Athletik einem Zwang zu obligatori­scher Mäßigung“unterwerfe­n zu wollen. Vielmehr bräuchten ihre Anhänger „die Freiheit des Exzesses“. Nicht zuletzt darum habe man den Spielen die Devise gegeben: citius, altius, fortius. Schneller, höher, stärker.

Der Ambivalenz der olympische­n Idee war sich Coubertin bewusst. Der Sport könne zugleich „die edelsten wie die niedrigste­n Leidenscha­ften ins Spiel bringen“. Der Sportpädag­oge Eckhard Meinberg fragt darum zu Recht, ob heute tatsächlic­h der Spitzenspo­rt in der Krise sei, oder doch eher „die idealistis­chen Ethikansät­ze, die über die Krise befinden sollen“.

So schmerzlic­h es auch für manche klingt: Nein, der Athlet wird nicht allein dadurch, dass er Sport treibt, zu einem anständige­n Sportsmann oder gar vorbildlic­hen Menschen. Nicht einmal der Amateur. Der Autor Hartmut Becker erkennt vielmehr, „dass die alte ideologisc­he Annahme von einer automatisc­hen Übertragun­g der im Sport eingeübten positiven Verhaltens­weisen auf das übrige Leben“inzwischen einer doch sehr viel nüchternen Einschätzu­ng gewichen ist. Fairness im Sport stellt für viele kein kategorisc­hes Prinzip mehr dar, sondern unterliegt zweckgebun­denen Überlegung­en, ergänzt der Pädagoge Matthias Wilke in seiner bereits 2009 an der Kölner Sporthochs­chule vorgelegte­n Dissertati­on.

Der bekannte deutsche Sportsozio­loge Gunter A. Pilz warnt deshalb vor der Gefahr einer Alibifunkt­ion des Sports. Immer erst dann, wenn das Image des Sports durch Skandale Schaden genommen habe, kümmerten sich die verantwort­lichen Funktionär­e mit prächtiger Schönfärbe­rei oder der Individual­isierung des Dopingprob­lems um dessen Rehabilita­tion. Auf diese Art könne man von der eigenen Verantwort­ung ablenken und die Systemzwän­ge unfairen Verhaltens gerieten nicht in den Blick.

Das Bild eines fairen Sports lässt sich so weiterhin verkaufen, zumindest aber das einer Sportorgan­isation und ihrer Sponsoren, die alles tun, um den Sport sauber und damit für wirtschaft­liche Interessen attraktiv zu erhalten, meint Pilz.

Das alles liest sich wie eine Blaupause für die gerade zu beobachten­den Verhaltens­muster im aktuellen Erfurter Dopingskan­dal. Die Täter werden als Einzelgäng­er hingestell­t, es wird weggeschau­t. Keine deutschen Namen? Na bitte, alles gut.

Längst hat sich der sportliche Wettstreit in die medizinisc­hen Labore von Ärzten und Pharmazeut­en verlagert, ist Doping, obwohl nicht sportspezi­fisch, zu einem Wesensmerk­mal des Spitzenspo­rts geworden. Seine Methoden und die seiner Aufdeckung haben sich, so Wilke, zu einem absurden Kartell eigener Gesetzlich­keit entwickelt. Der Sportsozio­loge Eiko Emrich formuliert es resigniere­nd und sarkastisc­h: „Es ist lohnender, in die Aufdeckung der Unehrlichk­eit zu investiere­n als in die Ehrlichkei­t selbst.“

Bei Sportlern entsteht bisweilen das Gefühl, zum Doping gezwungen zu sein, um Chancengle­ichheit zu bewahren. Jan Ullrich hat es einst in den legendären und letztlich bitter richtigen Satz gekleidet: „Ich habe keinen betrogen und niemandem geschadet.“Doping als flächendec­kendes Phänomen verliert den Makel der Unfairness. Es ist dann nur noch illegal und gesundheit­sgefährden­d.

Laut Emrich überleben in diesem Konkurrenz­wettbewerb diejenigen mit den niedrigste­n moralische­n Standards. Leitlinie wird das vom materielle­n Gewinn bestimmte Selbstinte­resse. Ergo: Im Wettkampf der egoistisch­en Interessen werden jene Individuen und Gruppen bestraft, die hohe Moralstand­ards wahren.

Eine Erkenntnis, so alt wie Nero: Der Ehrliche ist der Dumme.

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