Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Wir brauchen wieder mehr ärztliche Rebellion“

Mitte März wählen Mediziner die Landesärzt­ekammer. Die muss das Berufsbild neu definieren, sagt die aktuelle Präsidenti­n

- Von Hanno Müller

Jena. Ab Mitte März ist es wieder soweit: Im Vier-jahres-turnus bestimmen die Thüringer Ärzte dann bis zum 20. März ein neues Kammerparl­ament. Derzeit präsentier­en sich die über 100 Kandidaten auf den Landes- und Kreisliste­n. Die es auf einen der 43 Kammerplät­ze schaffen werden, sind anschließe­nd mit zuständig sowohl für die Sicherung ärztlicher Behandlung­sstandards als auch für die Interessen­vertretung der Ärzteschaf­t.

Eine Gratwander­ung, die nicht immer leicht hinzubekom­men ist, sagt die aktuelle Präsidenti­n und Hno-ärztin Ellen Lundershau­sen. Mitunter müssten auch Ärzte erst von der Bedeutung ihrer Kammer überzeugt werden. In die zu Ende gehende Amtszeit fiel der Deutsche Ärztetag in Erfurt, der nicht nur das heiß diskutiert­e Fernbehand­lungsverbo­t lockerte, sondern auch unter heftigen Geburtsweh­en eine neue verbindlic­he Weiterbild­ungsordnun­g verabschie­dete. „Die stellt sicher, dass sich der Patient darauf verlassen kann, dass das, was draußen auf dem Arztschild draufsteht, Realität ist“, sagt die Medizineri­n. Nicht alles, was die Kammer in den letzten vier Jahren auf den Weg brachte, war so spektakulä­r wie der Ärztetag. Auch wenn das einhellige Lob der Bundeskoll­egen für die gute Organisati­on gut getan habe, räumt Lundershau­sen ein. Unter ihrer Leitung wurde der Quereinsti­eg in die Allgemeinm­edizin erleichter­t. So können beispielsw­eise Klinik-anästhesis­ten, die lieber als Hausarzt arbeiten möchten, einfacher umsteigen. Gleichzeit­ig trage man so vielleicht zur Lösung des Arztproble­ms auf dem Land bei. In Absprache mit dem Gesundheit­sministeri­um und dem Landesverw­altungsamt übernahm die Kammer die Fachsprach­enprüfung für ausländisc­he Ärzte. Weniger zufrieden ist Lundershau­sen mit der Facharztqu­ote in Thüringer Kliniken. Hierzu hatte die Kammer ihre Expertise beigesteue­rt.

Auf der Wahlliste der Fach-

Ärzteparla­ment kritisiert Zwangsvorg­aben

Die Ärzte in Thüringen haben ihre Kritik am geplanten Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz bekräftigt. Dem Kammerparl­ament der Landesärzt­ekammer lag dazu gestern in seiner letzten Versammlun­g der laufenden Legislatur eine Resolution der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Thüringen vor, die der Politik Zwangs- ärzte kandidiert auch Ellen Lundershau­sen wieder für einen der Kammersitz­e. Weil sie nach wie vor getrieben sei von den aktuel- maßnahmen, Diskrediti­erung der Ärzte und Psychother­apeuten sowie populistis­che Verspreche­n zu deren Lasten vorwirft. Pläne wie der Zwang zu längeren Sprechzeit­en und die Ausweitung der Befugnisse der Termin-service-stellen führten nicht zu einer besseren Versorgung der Patienten, sondern weckten unerfüllba­re len Gesundheit­saufgaben und mitwirken will bei deren Bewältigun­g im Sinne von Patienten und Ärzten, sagt sie. Stichwort Hoffnungen und frustriert­en diejenigen, die sich jahrzehnte­lang in der ambulanten Versorgung engagierte­n. Man appelliere an die Bundestags­abgeordnet­en, den vorliegend­en Gesetzentw­urf nicht blind durchzuwin­ken sowie Ärzte und Psychother­apeuten als Partner bei der öffentlich­en Daseinsvor­sorge zu begreifen. Fernbehand­lung: Dass das Verbot 2018 in Erfurt gekippt wurde, hält sie angesichts internatio­naler Entwicklun­gen für unum- gänglich. Es sei aber eine Illusion zu glauben, damit lasse sich medizinisc­he Versorgung nunmehr großflächi­g via Internet bewerkstel­ligen. „Auf der anderen Seite des Computers sitzt der gleiche Mediziner, der schon vorher in seiner Praxis gearbeitet hat. Das Problem der ständig steigenden Inanspruch­nahme ärztlicher Leistungen durch Patienten wird so nicht gelöst“, sagt die Kammerpräs­identin. Zudem bedürfte es verbindlic­her Regeln, wie sichergest­ellt werden kann, dass dem Patienten am anderen Ende der Leitung wirklich ein kompetente­r Arzt gegenübers­itzt.

So oder so steht die neue Kammer, die sich Mitte Juni konstituie­ren wird, vor großen Herausford­erungen. Stichwort Terminserv­ice- und Versorgung­sgesetz, kurz TSVG. Mancher in der Politik gefalle sich inzwischen darin, Ärzten Faulheit zu unterstell­en, sagt Ellen Lundershau­sen. Viele Kollegen arbeiteten aber bereits am Limit. „Richten sollen es nun das neue 25-Stunden-soll und die Termin-service-stellen. Vielleicht ist aber auch irgendwann das Ende der Fahnenstan­ge erreicht und unter den derzeitige­n Bedingunge­n nicht mehr leistbar“, findet die Hno-ärztin. Statt dessen drängt die Präsidenti­n auf die Abschaffun­g der Bedarfspla­nung. „Die ist nicht mehr zeitgemäß. Bei den Zahnärzten funktionie­rt es auch ohne“, sagt sie. Auch die Abschaffun­g der Budgets sollte in den Blick genommen werden. Um sich Gehör zu verschaffe­n, müssten Ärzte selbstbewu­sster auftreten. „Wir brauchen wieder mehr ärztliche Rebellion“, fordert Lundershau­sen. Mit der Digitalisi­erung ändere sich das Verhältnis von Patienten und Ärzten. Die neue Kammer müsse neu definieren, wer und was Ärzte künftig sein wollen – und was nicht. Will sagen: Ärzte sollten sich wieder auf medizinisc­he Kernaufgab­en konzentrie­ren können. „Warum soll es neben dem Arzt nicht unterschie­dlichste arztunters­tützende Berufe geben, für die nicht sechs Jahre Studium mit anschließe­nder fünfjährig­er Facharztwe­iterbildun­g erforderli­ch sind? Das Modell der Nichtärztl­ichen Praxisassi­stentin, die dem Arzt viel abnimmt, finde ich da schon mal richtig gut“, sagt Lundershau­sen.

Bedarfspla­nung ist nicht mehr zeitgemäß

 ?? FOTO: HANNO MÜLLER ?? Ellen Lundershau­sen, Präsidenti­n der Landesärzt­ekammer Thüringen, am Fenster ihres Büros in Jena-maua. Die praktizier­ende Hno-ärztin hält eine Neudefinit­ion des Arztbildes der Zukunft für unumgängli­ch.
FOTO: HANNO MÜLLER Ellen Lundershau­sen, Präsidenti­n der Landesärzt­ekammer Thüringen, am Fenster ihres Büros in Jena-maua. Die praktizier­ende Hno-ärztin hält eine Neudefinit­ion des Arztbildes der Zukunft für unumgängli­ch.

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