Thüringer Allgemeine (Weimar)

Aschenbröd­els Büstenhalt­er

Veit Helmer erzählt ohne Worte die köstliche Kinokomödi­e „Vom Lokführer, der die Liebe suchte...“

- Von Wolfgang Hirsch

Erfurt. Ein Büstenhalt­er ist auch bloß ein Kleidungss­tück und muss ab und zu in die Wäsche. Und wenn das Textil empfindlic­h, weil aufwendig mit blauer Spitze besetzt ist, am besten in die Handwäsche. Unterdesse­n macht Nurlan, der Lokführer, sich mit seinem Güterzug durch die Weiten Aserbaidsc­hans auf den Weg nach Baku. Alles Routine, selbst am letzten Arbeitstag vor der Rente. Als er die Vororte erreicht, sieht er gerade noch eine Wäschelein­e, die fahrlässig über die Gleise gespannt ist – zu spät. Also begibt Nurlan, der ja nun Zeit hat, sich auf die Suche nach der Besitzerin des Kleidungss­tücks.

Der vielfach preisgekrö­nte Regisseur Veit Helmer bringt heute seine Filmkomödi­e „Vom , der die Liebe suchte...“in die deutschen Kinos. Man mag das für eine Geschichte wie im Märchen vom Aschenbröd­el halten; bloß geht’s nicht um Schuhe, sondern die Angelegenh­eit ist viel delikater und Aserbaidsc­han ein traditions­reiches, sittenstre­nges Gebiet.

So karg wie die Landschaft scheint das Leben Nurlans (Miki Manojlovic) zu sein. Auf seinen einsamen Zugfahrten spricht er keine Silbe und zu Hause, in einem Bergdorf, wo er allein eine Hütte bewohnt, auch nicht. Überhaupt kommt Helmers Film ohne großartige Dialoge aus. Sogar ganz ohne Worte. Fahle Lichtstimm­ungen und die Filmmusik erzählen von Melancholi­e, das ziemlich lebendige Mienenspie­l Nurlans jedoch von Gelassenhe­it über sein Schicksal und von seiner unstillbar­en Neugierde aufs Leben.

Der Kerl hat eine Sehnsucht, aber seine Brautwerbu­ng im Dorf schei- tert. So nimmt die Suche nach der rechtmäßig­en Bh-besitzerin Dimensione­n an, mindestens die einer fixen Idee. Folglich lässt in diesem köstlich skurrilen Film die Komik nicht auf sich warten. Sie schimmert etwa unter Nurlans überrascht hochgezoge­nen Augenbraue­n während einer Anprobe hervor, wenn ein voluminös geglaubter Busen die mitgebrach­te Hohlform bei Weitem nicht füllt – ohne Schaumstof­feinlagen. Für eine zweite Kandidatin wird die Begegnung mit dem ihr arg engen Stück zur kniffligen Tortur, die sich im Ächzen der elastische­n Bänder artikulier­t, bis Haken und Ösen unter genüsslich­em Schmatzen nachgeben.

Nurlan bleibt unverdross­en, denn irgendwie ist es ihm, dem späten, allerdings pensionsbe­rechtigten Freier geglückt, die klassische Bewerbungs­situation auf den Kopf zu stellen. Achselzuck­end erteilt er Absage um Absage und riskiert im Gegenzug den einen oder anderen unsanften Rausschmis­s.

Regisseur Veit Helmer erzählt linear, virtuos und originell, und er mobilisier­t für seine Pointen mitunter sogar die Slapstick-mechanisme­n der Stummfilmz­eit, ohne dass man sein augenzwink­erndes Sittengemä­lde für angestaubt halten müsste. Und Nurlan? – Ihm trägt die Manie seines mammologis­chen Screenings den handfesten Zorn sämtlicher Männer aus Bakus Vorstädten ein. Doch am Ende reift die Erkenntnis: Mancher Büstenhalt­er wird mitsamt dem Gegenstück für die unteren Körperpart­ien zur Garnitur. Und mancher bleibt vielleicht Single.

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FOTO: MM FILMPRESSE Unter den Frauen der Vorstadt Bakus gibt es in Veit Helmers Aschenbröd­elgeschich­te viele Bewerberin­nen. Doch das fragliche Corpus delicti will keiner passen.

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