Aschenbrödels Büstenhalter
Veit Helmer erzählt ohne Worte die köstliche Kinokomödie „Vom Lokführer, der die Liebe suchte...“
Erfurt. Ein Büstenhalter ist auch bloß ein Kleidungsstück und muss ab und zu in die Wäsche. Und wenn das Textil empfindlich, weil aufwendig mit blauer Spitze besetzt ist, am besten in die Handwäsche. Unterdessen macht Nurlan, der Lokführer, sich mit seinem Güterzug durch die Weiten Aserbaidschans auf den Weg nach Baku. Alles Routine, selbst am letzten Arbeitstag vor der Rente. Als er die Vororte erreicht, sieht er gerade noch eine Wäscheleine, die fahrlässig über die Gleise gespannt ist – zu spät. Also begibt Nurlan, der ja nun Zeit hat, sich auf die Suche nach der Besitzerin des Kleidungsstücks.
Der vielfach preisgekrönte Regisseur Veit Helmer bringt heute seine Filmkomödie „Vom , der die Liebe suchte...“in die deutschen Kinos. Man mag das für eine Geschichte wie im Märchen vom Aschenbrödel halten; bloß geht’s nicht um Schuhe, sondern die Angelegenheit ist viel delikater und Aserbaidschan ein traditionsreiches, sittenstrenges Gebiet.
So karg wie die Landschaft scheint das Leben Nurlans (Miki Manojlovic) zu sein. Auf seinen einsamen Zugfahrten spricht er keine Silbe und zu Hause, in einem Bergdorf, wo er allein eine Hütte bewohnt, auch nicht. Überhaupt kommt Helmers Film ohne großartige Dialoge aus. Sogar ganz ohne Worte. Fahle Lichtstimmungen und die Filmmusik erzählen von Melancholie, das ziemlich lebendige Mienenspiel Nurlans jedoch von Gelassenheit über sein Schicksal und von seiner unstillbaren Neugierde aufs Leben.
Der Kerl hat eine Sehnsucht, aber seine Brautwerbung im Dorf schei- tert. So nimmt die Suche nach der rechtmäßigen Bh-besitzerin Dimensionen an, mindestens die einer fixen Idee. Folglich lässt in diesem köstlich skurrilen Film die Komik nicht auf sich warten. Sie schimmert etwa unter Nurlans überrascht hochgezogenen Augenbrauen während einer Anprobe hervor, wenn ein voluminös geglaubter Busen die mitgebrachte Hohlform bei Weitem nicht füllt – ohne Schaumstoffeinlagen. Für eine zweite Kandidatin wird die Begegnung mit dem ihr arg engen Stück zur kniffligen Tortur, die sich im Ächzen der elastischen Bänder artikuliert, bis Haken und Ösen unter genüsslichem Schmatzen nachgeben.
Nurlan bleibt unverdrossen, denn irgendwie ist es ihm, dem späten, allerdings pensionsberechtigten Freier geglückt, die klassische Bewerbungssituation auf den Kopf zu stellen. Achselzuckend erteilt er Absage um Absage und riskiert im Gegenzug den einen oder anderen unsanften Rausschmiss.
Regisseur Veit Helmer erzählt linear, virtuos und originell, und er mobilisiert für seine Pointen mitunter sogar die Slapstick-mechanismen der Stummfilmzeit, ohne dass man sein augenzwinkerndes Sittengemälde für angestaubt halten müsste. Und Nurlan? – Ihm trägt die Manie seines mammologischen Screenings den handfesten Zorn sämtlicher Männer aus Bakus Vorstädten ein. Doch am Ende reift die Erkenntnis: Mancher Büstenhalter wird mitsamt dem Gegenstück für die unteren Körperpartien zur Garnitur. Und mancher bleibt vielleicht Single.