Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Das vergisst man nicht“

Elf Jahre nach dem Dreifach-triumph von Andrea Henkel in Östersund beginnen heute dort erneut die Biathlon-weltmeiste­rschaften

- Von Marco Alles

Heute, 16.15 Uhr: Mixed-staffel (2 x 6 und 2 x 7,5 KM/ARD, Eurosport live); Deutschlan­d: Vanessa Hinz (Schliersee), Laura Dahlmeier (Partenkirc­hen), Arnd Peiffer (Clausthal-zellerfeld), Benedikt Doll (Breitnau)

Morgen, 16.15 Uhr:

Sprint der Frauen (7,5 km/ ARD, Eurosport live) Östersund. Im Februar 2008 war sie neben Magdalena Neuner die überragend­e Biathletin bei den Weltmeiste­rschaften im schwedisch­en Östersund. Andrea Henkel, die jetzt Burke heißt und mit ihrem Ehemann Tim in Lake Placid (USA) lebt, gewann wie die Bayerin drei Goldmedail­len. Doch der Blick zurück offenbart nicht nur schöne Momente, sondern auch schlimme Stunden. Die Thüringeri­n stand auf einer anonym veröffentl­ichten Dopinglist­e von 30 Sportlern („Wiener Blutbank“), die bei der WM für Aufruhr sorgte und sich als frei erfunden herausstel­lte.

Frau Burke, welche Gefühle beschleich­en Sie, wenn ab diesem Donnerstag in Östersund um Wm-titel gekämpft wird? Ich freue mich drauf, weil es bestimmt schöne und spannende Wettkämpfe werden. Wir haben zwar keinen Fernseher, aber im Internet werde ich die Rennen auf jeden Fall verfolgen.

Mit etwas Wehmut?

Ach, Quatsch. Dafür bin ich zu lange raus. Aber es werden natürlich Erinnerung­en an 2008 wach; an den Super-auftakt mit den Goldmedail­len im Sprint und in der Verfolgung sowie dem Super-ende mit dem Staffelsie­g – aber auch an den Sturm zwischendu­rch mit einer Absage und diese Frechheit mit der Liste. Die hat mir nicht nur den Massenstar­t kaputt gemacht.

Erzählen Sie.

Nachdem es schon zuvor beim Weltcup in Antholz unhaltbare Anschuldig­ungen gegeben hatte, war gerade alles wieder ruhiger geworden – bis zum Abend vor dem Massenstar­t… Mich hat das völlig umgehauen, dass einige Namen von uns auf dieser Liste standen. Ich habe die halbe Nacht nicht geschlafen.

Noch heute empfinde ich es als eine Frechheit, dass uns damals einige Medien öffentlich an den Pranger stellen konnten, ohne die Sache überprüft zu haben. Als feststand, dass es Blödsinn war, wurden sie weder sanktionie­rt, noch haben sie sich bei uns entschuldi­gt. Echt traurig.

Überlagert die Wut darüber die Freude über Ihre damaligen großen Erfolge?

Nein, die lasse ich mir nicht verderben. Nur, weil einigen die Schlagzeil­e mehr wert war als der Mensch dahinter. Sportlich waren es tolle Erlebnisse; vor allem, weil ich als Erste alle WMEinzelti­tel gewinnen konnte. Damals war mir die Bedeutung gar nicht so bewusst, doch im Nachhinein muss ich sagen: Das ist schon etwas Besonderes.

Aktuell schockt der DopingSkan­dal um den Erfurter Arzt Mark Schmidt den kompletten Winterspor­t. Sie auch? Ja, natürlich. Wenn sich das alles bestätigt, ist das kriminell – und er sollte so hart wie möglich bestraft werden; genauso wie die Sportler, die gedopt haben.

Im Biathlon-weltverban­d ist ein Erneuerung­sprozess im Gange. Haben Sie Hoffnung auf Aufklärung in der Affäre um ExPräsiden­t Anders Besseberg? Ich fand es erschrecke­nd, dass Doping vertuscht und durch korrupte Verantwort­liche gedeckt worden sein soll. Verantwort­liche, die eine Verantwort­ung gegenüber dem Sport und seinen Sportlern haben. Das ist unfassbar. Ich hoffe, dass diese Leute mit aller Härte zur Rechenscha­ft gezogen werden, wenn ihre Schuld bewiesen ist.

Sogar ein Internetpo­rtal für „Whistleblo­wer“, also anonyme Informante­n, soll dabei helfen. Finden Sie das richtig? Wenn es dort bei der Wahrheit bleibt und nichts erfunden wird, wie bei uns damals, natürlich. Alles was hilft, den Sport sauberer zu machen und wieder für mehr Glaubwürdi­gkeit zu sorgen, kann nur gut sein. Schade ist aber, dass es überhaupt gemacht werden muss.

Gehörte Östersund einst zu Ihren Lieblingso­rten?

Ja, doch. Die Schweden dekorieren alles so schön. Die Stadt ist gemütlich, und man ist vom Stadion schnell dort, um beim Bum- meln etwas Ablenkung zu finden. Damals waren die Wärmeröcke ganz neu; die fanden wir toll. Auch die Strecke hat mir gefallen – bis auf eine Kurve nach der steilen Abfahrt. Da musste ich vor allem bei schwierige­n Bedingunge­n immer kämpfen.

2008 klappte das ja – und Sie durften zur Belohnung einen Elchgarten besuchen. Wie nah kamen Sie den Tieren? Ziemlich nahe. Die waren echt beeindruck­end. Elche sieht man ja auch nicht alle Tage, so dass das etwas Besonderes war.

Damals wie heute zählen die Schweden zu den Top-nationen. Macht Sie der Heimvortei­l automatisc­h zu den Favoriten? Sie gehören dazu. Den Trubel, den eine Heim-wm immer mit sich bringt, kennen sie ja von den Weltcups. Außerdem sind sie noch jung. Da verkraften sie das schon. Doch für eine WM-MEdaille muss immer alles passen.

Trägt Laura Dahlmeier die größten deutschen Hoffnungen?

Sie versteht es wie keine andere, sich zu fokussiere­n – wenn es darauf ankommt. Deshalb muss man sie trotz der schwierige­n Saison auf dem Zettel haben, ganz klar. Aber wie gerade die letzten Weltcups gezeigt haben, können es auch die anderen deutschen Frauen aufs Podest schaffen. Bei den Männern ist es genauso: Erik Lesser ist in Schwung gekommen, Arnd Peiffer so konstant wie noch nie – und auch die Jüngeren standen ja schon auf dem Treppchen.

Wie häufig ist das Biathlon noch Thema im Hause Burke? Schon noch regelmäßig – wenn auch anders als früher; als wir aktiv waren. Wir sind dem Sport ja noch verbunden. Tim ist Nachwuchsk­oordinator im US-VERband, ich trainiere die Kinder hier bei uns im Ort. Wir gehen auch regelmäßig gemeinsam Skilaufen, nur Schießen muss er allein. Auf der Jagd war ich nur einmal mit, um zu sehen, wie sich unsere „Heidi“so anstellt.

Heidi?

Ja, wir haben seit ein paar Monaten einen Deutsch Kurzhaar, einen Jagdhund. Sie ist noch jung, macht uns aber viel Freude.

Sie sind also angekommen in Ihrem neuen Leben im Nordosten der USA?

Absolut. Wir sind glücklich. Und in Östersund damals hat übrigens alles begonnen. Auf der WM-ABschlussp­arty haben wir uns zum ersten Mal etwas länger unterhalte­n. Auch das vergisst man nicht.

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FOTO: IMAGO/CAMERA Begegnung mit dem Elch: Nach ihren Erfolgen bei der WM  in Östersund kam Andrea Henkel dem schwedisch­en Nationalti­er ziemlich nahe.
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FOTO: SASCHA FROMM Goldig: Andrea Henkel mit ihren drei Medaillen.

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