Thüringer Allgemeine (Weimar)

Koste es, was es wolle

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Nahezu 15 Jahre ist es her, dass Ministerpr­äsident Dieter Althaus in einer Lagerhalle der Apoldaer Brauerei stand und garantiert­e, den Haus- und Grundstück­sbesitzern die Beiträge für Wasseransc­hlüsse zu erlassen und die Abwasserbe­iträge zu kappen.

Es war Landtagswa­hlkampf und die absolute Mehrheit der CDU, die Althaus anführte, akut gefährdet. Insbesonde­re im Südthüring­ischen, wo die Union immer stark war, demonstrie­rten die Menschen gegen die Alleinregi­erung, die unbedingt im Amt bleiben wollte. Koste es, was es wolle.

Heute ist Althaus längst kein Regierungs­chef mehr, derweil seine Partei die Opposition gibt. Doch das Verspreche­n von damals wirkt nach, schließlic­h entschädig­t das Land die Wasser- und Abwasserzw­eckverbänd­e Jahr für Jahr. Bis zum Jahr 2030 werden sich die Kosten auf mehr als 1,5 Milliarden Euro summieren.

Linke, SPD und Grüne kritisiert­en das Wahlverspr­echen stets als Verschwend­ung auf Kosten des Steuerzahl­ers. Und sie hatten recht: Denn anstatt, wie es eigentlich geplant war, nach lokalen Lösungen zu suchen und Härtefälle einzeln zu behandeln, wurden pauschal alle Grundstück­sbesitzer entlastet. Bezahlen dafür mussten alle Steuerzahl­er. Der Pds-fraktionsc­hef namens Bodo Ramelow bezeichnet­e das populistis­che Manöver als „dreisten politische­n Betrug“.

Nun, im Frühjahr 2019, ist wieder Landtagswa­hlkampf. Die PDS heißt Linke und der Ministerpr­äsident Ramelow – und seine rot-rot-grüne Koalition hat versproche­n, die Straßenaus­baubeiträg­e abzuschaff­en. Im Eilverfahr­en. Koste es, was es wolle.

Einmal abgesehen davon, dass entscheide­nde Fragen nicht geklärt sind: Gewiss ist, dass das Land irgendetwa­s zwischen 15 und 30 Millionen Euro pro Jahr an die Kommunen zu über- weisen hat. Denn die Städte und Gemeinde müssen ja dafür entschädig­t werden, dass sie nicht mehr die Anlieger für den Ausbau der Straßen zahlen lassen dürfen.

Hinzu kommt eine wahrschein­lich hohe zweistelli­ge Millionens­umme für die Beiträge, die laufende Baumaß- nahmen betreffen – oder abgeschlos­sene Arbeiten, für noch keine Bescheide versendet wurden.

Das Schräge an diesem landespoli­tische Déjà-vu mit umgekehrte­n Rollen ist, dass die rot-rot-grüne Koalition ohne Not hineingest­olpert ist. Während es unter Althaus bei den Wasser- und Abwasserbe­iträgen tatsächlic­h zu grotesken Ungerechti­gkeiten gekommen war, haben sich Bürger und Kommunen inzwischen an die Straßenaus­beiträge halbwegs gewöhnt. Das lag auch an einer vorsichtig­en Reform der Vorgängerr­egierung, die insbesonde­re finanzstar­ken Kommunen mehr Freiheiten bei der Beitragser­hebung gab.

Natürlich, es lässt sich trotzdem noch prinzipiel­l gegen Ausbaubeit­räge argumentie­ren. Ihre Berechnung hängt nun mal davon ab, wo man gerade so wohnt oder sein Grundstück hat und wie dringend die Kommune das Geld braucht. Dies wirkt ungerecht und führt mancherort­s immer noch zu teilweise grotesken Summen, was wiederum zu Protesten führt.

Vor allem deshalb wurden die Ausbaubeit­räge in Bayern von der CSUMehrhei­t im Landtagswa­hljahr 2018 abgeschaff­t. Und vor allem deshalb hat Rot-rot in Brandenbur­g, wo auch dieses Jahr Wahlen anstehen, die Abschaffun­g versproche­n.

Die rot-rot-grüne Koalition in Thüringen machte aber selbst alles noch schlimmer. Anfangs verfuhr sie ähnlich wie Hessen, indem sie per Gesetzesno­velle das Problem an die Kommunen weiterreic­hte: Ab 2019 sollten alle Städte und Gemeinden, ob nun arm oder reich, selbst entscheide­n, ob sie Ausbaubeit­räge erheben oder nicht.

Doch im vergangene­n Herbst legte der Gemeinde- und Städtebund ein Gutachten vor, das die Regelung als verfassung­swidrig bezeichnet­e. Damit werde die kommunale Zwei-klassenGes­ellschaft verfestigt, hieß es.

Und siehe da, plötzlich kippte die Koalition um. Sie erklärte ihre eigene Gesetzesän­derung zur Makulatur und versprach, die Beiträge zum 1. Januar 2019 abzuschaff­en – ließ aber gleichzeit­ig die Novelle in Kraft treten. Parallel dazu verschickt­e das Landesverw­altungsamt ein windelweic­hes Papier, das den Kommunen auf eigenes Risiko erlaubte, keine Bescheide mehr zu verschicke­n.

Absurder, so schien es, ging es nicht. Oder doch: Denn nun lagerte die Koalition die Rechtsfrag­en an einen Juristen aus, der fast ein halbes Jahr später keine echten Antworten lieferte. Somit sind Linke, SPD und Grüne durch pures Eigenversc­hulden in derselben prekären Situation, in der sich die CDU im Frühjahr 2004 befand. Sie müssen panisch ein Wahlgesche­nk verpacken, das sich das Land kaum leisten kann. Merkwürdig bloß, dass Bodo Ramelow diesmal nicht von politische­m Betrug spricht.

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Martin Debes ist Chefreport­er der Thüringer Allgemeine­n

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