Musik zwischen Tragik und Triumph
Die Staatskapelle Weimar spielt das 7. Sinfoniekonzert unter der Leitung des Gastdirigenten Imre Palló
Weimar. Wer kommt nach Kirill Karabits? Diese Frage stellte sich nach dem 7. Sinfoniekonzert der Staatskapelle Weimar am Sonntag mit plötzlicher Dringlichkeit. Denn selbst das beste Thüringer Orchester ist offenbar nicht davor gefeit, sich von einem gut gelaunten Gaukler verführen zu lassen. Zwar präsentierte sich der 78jährige Gastdirigent Imre Palló tiefenentspannt, mit der Würde seiner Jahre und einem steten Scherzchen auf den Lippen in der Konzerteinführung. Und auch aus der Staatskapelle war zu hören, dass in den Proben die Chemie stimmte. Sympathisch, keine Frage!
So erklang das Vorspiel samt Nachtstück aus der Oper „Der Ferne Klang“von Franz Schreker dann auch noch ganz cremig. Die rund 90- köpfige Staatskapelle, flankiert von einer Celesta und zwei Harfen, ließ den üppigen Jugend-stil des gebürtigen Monegassen Schreker mit mysteriösen Streichertremoli, satten Bläserchorälen und orientalisch glissandierendem Holz durch die nahezu ausverkaufte Weimarhalle flimmern. Doch schon hier erwachte der Verdacht, dass die beidarmigen Ruderschläge des Dirigenten das Orchester in seiner spätromantischen Trance eher irritierten.
In Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert in Es-dur KV 449 gesellte sich dann zu Pallós weißer Fliege die handgebundene rote des brasilianischen Pianisten Fabio Martino. Obschon in schlanker Mozart-besetzung auf der Bühne, reanimierte die Staatskapelle den sämigen Sound der 1960er-jahre – von historisch informierter Aufführungspraxis und transparenter Klangrede blieb das Dirigat Pallós weitgehend unberührt. Und auch Fabio Martino am Konzertflügel verwechselte phasenweise Mozart mit Moszkowski, deckte dabei das Orchester vor allem im 3. Satz mit seinem zünftigen Kolorit völlig zu und benahm sich – allegorisch ausgedrückt – wie Bolsonaro im Regenwald.
In den Zugaben offenbarte Martino dann, wo seine Stärken liegen: nämlich im Effekt und in der technischen Virtuosität. Da war es recht vergnüglich, dem jungen Heißsporn in Alberto Ginasteras sprühendem „Danza del gaucho matrero“oder in Marc-andré Hamelins virtuoser Bearbeitung von „Tico-tico no fubá“zu lauschen.
Die erhoffte Konzertkrönung nach der Pause fiel leider aus, denn Maestro Imre Palló hatte auch in Peter Tschaikowskys 5. Sinfonie in e-moll seinen Kompass vergessen. Weder sein recht überschaubares Repertoire an Dirigiergesten noch die mangelhafte Strukturierung der sinfonischen Großform halfen der irregeführten Weimarer Staatskapelle dabei, die Schicksalssinfonie aus schwerer Seenot zu retten.
Das großartige Werk zerfiel in zahllose unverbundene Motive und Themen. Weitgehend ungestaltet verformten sich dröhnende Tuttipassagen zu Klangklumpen, und die auf Bitten Pallós doppelt besetzten Holzbläser verstärkten unglücklicherweise noch das Dauer-fortissimo, zu dem sich der ungarische Dirigent von Beginn an hinreißen ließ. Und so blieb die „meistbesuchte Touristenattraktion der russischen Musik“(Glenn Gould über Tschaikowsky) einen Abend lang geschlossen.