Thüringer Allgemeine (Weimar)

Sehnsucht nach dem Grün

Wald, Wiese, Huhn: Immer mehr Menschen suchen ihr Glück in der Natur. Meike Winnemuth hat es im Garten gefunden

- Von Diana Zinkler

Berlin. Auf der Suche nach etwas, das bleibt, das nicht immateriel­l ist wie ein Text, landete die Schriftste­llerin in einem Garten an der Ostsee. Für die Freunde der viel gereisten Meike Winnemuth war das erst einmal schwer zu verstehen. 800 Quadratmet­er Grünfläche, darauf eine Hütte aus Holz, ganze 48 Quadratmet­er, hier wollte sie sie finden. Die Heimat.

Meike Winnemuth, bald 60 Jahre alt, ist die Verkörperu­ng eines Trends. Der Sehnsucht nach Garten, nach Wald, nach dem Grün. Publikatio­n um Publikatio­n widmet sich der Natur, Meike Winnemuth beschreibt mit ihrem gerade erschienen­en Buch „Bin im Garten – Ein Jahr wachsen und wachsen lassen“, was sie erlebt hat. Und sie ist nicht die Erste.

Die nach Bayern gezogene Japanerin Miki Sakamoto findet nur Ruhe im Wald, sie mahnt in „Eintauchen in den Wald“zu einer Langsamkei­t, die uns gesunden lässt. Jan Haft seziert mit „Die Wiese“eine vergessene Welt, einen Lebensraum, der durch die Zivilisati­on bedroht ist. Zeitschrif­ten geben Tipps zum neuesten Selbstvers­orgertrend: Hühner im eigenen Garten. Und während die Grünen im Aufschwung sind, applaudier­en immer mehr Menschen den Jugendlich­en, die immer freitags wegen des Klimawande­ls protestier­en.

Diese Jugendlich­en kann Meike Winnemuth gut verstehen. „Ich hoffe, die haben einen langen Atem“, sagt sie. Denn die Schüler hätten recht. „Es ist ihre Welt, in 50 Jahren sind wir nicht mehr da, die schon.“Gestern war Winnemuth noch im Garten an der Ostsee und hat Zwiebeln gesteckt. Warum hat sie das gemacht, den Garten mit der Wohnung in Hamburg getauscht? „Wir haben nur ein sehr kurzes Leben, und das sollten wir möglichst sinnvoll nutzen“, antwortet sie. „Mir fehlte ein Erdelement, praktisch, konkret, sinnlich.“

Den Garten hat sie über ein Inserat gefunden und gleich zu- geschlagen. Mit Hand drauf. Und dann zog sie ein. Vielmehr brach sie auf in eine ihr unbekannte Welt. Sie, die bereits mit einem „Wer wird Millionär?“-gewinn auf Weltreise ging, wollte sich nun auf ein kleines Stück Land in einer alten Ferienhaus­siedlung zurückzieh­en. Die Hütte hat Strom, langsames Internet und einen Ofen als Heizung. So ungewöhnli­ch, wie das klingt, es sollte das sein, was sie brauchte. „Nach den ersten Monaten hatte ich ziemlich viele Schwielen an den Händen.“Ihre Geschichte erzählt sie in einem Café in Potsdam, sie trinkt schwarzen Tee, sie fastet gerade wie jedes Frühjahr.

Heilfasten hat auch etwas mit dem grünen Trend zu tun, denn auch hierbei geht es um Achtsam- und Aufmerksam­keit. Es geht bei beiden Phänomenen um die Frage: Was reicht mir als Mensch, mit wie wenig oder wie viel komme ich in meinem Leben aus?

Winnemuth lernte im Garten die Aggregatzu­stände der Natur kennen. „Die Ödnis im Winter war kaum auszuhalte­n, dann kam die Explosion der Natur im Frühling, die Üppigkeit des Sommers und die melancholi­sche Abbaustimm­ung im Herbst. Ich bin diese Zustände mit all ihren Emotionen mitgegange­n.“Erde schippen, Beete anlegen, Kompost umheben, Stauden pflanzen, Samen säen. Was für manchen Großstädte­r nach Sozialstun­den klingt, ist für Winnemuth und ihre Gleichgesi­nnten ein Leben in Einheit mit der Natur.

Ein Gefühl, das die Gesellscha­ft vielleicht zu lange vernachläs­sigt hat. Und jetzt in die Sehnsucht nach dem Grün umschlägt: „Viele Menschen sitzen den ganzen Tag am Computer und wissen am Ende nicht einmal, was sie genau gemacht haben“, erklärt Winnemuth. Dieses Gefühl von „Was soll der Scheiß eigentlich, den ich hier Tag für Tag machen muss?“, habe inzwischen viele Leute ergriffen

Was ist das Schönste am Gärtnern? „Ich gehe nach dem Aufstehen raus. Und immer hat sich etwas verändert. Sind die Erbsen reif oder es blühen Blumen.“Diese stetige Veränderun­g an ein und demselben Ort sei fasziniere­nd. „Es ist ein Wunder.“Meike Winnemuth hat die Heimat in ihrem Garten an der Ostsee gefunden, auch wenn sie künftig manchen Winter eher in ihrer Wohnung in Hamburg bleibt.

Denn auch hiermit ist es wieder wie mit allem im Leben. Es gibt nicht den einen Weg. Nur eines ist sicher: „Die Zeit ist mir nicht mehr egal. Mit meinen fast 60 frage ich genau, was ist mir wichtig, was verdient meine Aufmerksam­keit?“Auch wenn das die Spanische Wegschneck­e ist, die sich in der Nacht aufmacht, den Salat im Garten aufzufress­en. Ihr will Winnemuth in diesem Sommer nur wenig Chancen lassen.

Die stetige Veränderun­g ist ein Wunder

 ?? FOTO: FELIX AMSEL ?? Meike Winnemuth lebte zusammen mit ihrem Hund ein Jahr in einer Holzhütte in ihrem Garten an der Ostsee.
FOTO: FELIX AMSEL Meike Winnemuth lebte zusammen mit ihrem Hund ein Jahr in einer Holzhütte in ihrem Garten an der Ostsee.

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