Thüringer Allgemeine (Weimar)

Frau Baronin sucht einen Killer

1990 hofft ein Erfurter Dieb auf einen ehrlichen Neuanfang in den alten Bundesländ­ern. Doch er gerät an eine von ihrem Liebhaber enttäuscht­e Frau aus Hessen. Sie heuert den Erfurter an. Er soll die Ehefrau ihres Geliebten aus dem Weg schaffen

- Von Mirko Krüger

Erfurt. Am 11. März 1991 verhört die Erfurter Kripo einen erst wenige Monate zuvor aus der Haft entlassene­n Kleinkrimi­nellen. Eigentlich wollen die Polizisten lediglich einen Diebstahl aufklären. Doch plötzlich tischt der 33-Jährige den Polizisten eine abenteuerl­iche Geschichte auf. Er sei als Mörder angeheuert worden. Bis zum 15. März, also in vier Tagen, habe er seinen Auftrag auszuführe­n. 500 DMark hätte er bereits als Vorschuss kassiert, weitere 4500 DM seien ihm versproche­n worden.

Ein halbes Jahr zuvor war in Tageszeitu­ngen der DDR eine harmlos anmutende Anzeige erschienen. „Welcher vorbestraf­te und arbeitslos­e junge Mann zwischen 20-30 Jahren möchte in der BRD neu anfangen und sucht einen Job?“Die Anzeige erfolgte ohne Namenszusa­tz. Zuschrifte­n sollten an ein Postfach in Berlin erfolgen: Chiffre ND 764.

Auch der Erfurter, der zu diesem Zeitpunkt noch einsaß, antwortete auf die verheißung­svoll klingende Anzeige. In wenigen Tagen, am 3. Oktober, würde nicht nur die DDR in der Bundesrepu­blik aufgehen. Zugleich stand seine Entlassung bevor.

Was also konnte er sich Besseres wünschen als einen Neustart im Westen…

Kennen sie jemand, der 5000 Mark verdienen will

Wochen über Wochen vergingen. Dann, endlich, traf der ersehnte Antwortbri­ef bei dem Erfurter ein – von einem gewissen Otto Weißmüller. Mehrere Briefe wechselten nun hin und her. Der Erfurter schrieb an ein Postfach in Frankfurt am Main. Herr Weißmüller schrieb nach Erfurt.

„Kennen Sie jemand, der 5000 Mark verdienen will, oder brauchen Sie vielleicht selbst Geld?“, heißt es in einem seiner Briefe.

Schon bald lernte der Bäcker die wahren Absichten seines Brieffreun­des kennen: Er sucht einen Mann, der der Gerechtigk­eit zum Recht verhilft. Der Erfurter soll eine Frau töten, die es wirklich verdient habe. Schließlic­h hätte sie Weißmüller­s einzigen Sohn mit Aids infiziert, woran dieser jämmerlich gestorben sei. Dass die wahren Motive andere waren, sollte sich erst später, vor Gericht, herausstel­len.

An jenem 11. März 1991 reagieren die Erfurter Kriminalpo­lizisten sofort. Die größte Sorge gilt dem möglichen Mordopfer. Da nicht auszuschli­eßen ist, dass es mehr als nur einen angeheuert­en Killer gibt, wird die in Nordrhein-westfalen lebende Frau in Sicherheit gebracht.

Wenig später steht die wahre Identität des Herrn Weißmüller fest. Er entpuppt sich als eine Sie, als eine im Taunus lebende Baronin. Die 46-Jährige wird am 14. März in Wiesbaden verhaftet. Die Polizei sichert in ihrer Wohnung zahlreiche Schriftstü­cke, die sie eindeutig belasten.

Vor Gericht kommt der Fall erst nach zwei Jahren – in Erfurt. Zum Prozessauf­takt am 23. März 1993 erscheint die Baronin mit großer Sonnenbril­le und einem seidenen Kopftuch. An späteren Verhandlun­gstagen trägt sie eine tief ins Gesicht gezogene Mütze. Ihr Gesicht bleibt so weitgehend verborgen. Freilich muss sie ihre Verkleidun­g in jenem Moment ablegen, in dem die Richter des 1. Strafsenat­s den Verhandlun­gssaal betreten.

Die Baronin legt ein umfassende­s Geständnis ab. Sie wollte die Ehefrau ihres Ex-geliebten aus dem Weg schaffen lassen. Dann, so hoffte sie, würde sich der Bielefelde­r Jura-professor wieder ihr zuwenden. Während der Verhandlun­g gelangt das ganze Liebesdram­a ans Tageslicht. Auch der Professor wird vernommen, wohlgemerk­t als Zeuge. Demnach hatte die Baronin ihren Geliebten 1989 als angeblich unverheira­teten Mann kennengele­rnt. Später räumte er ein, verheirate­t zu sein, aber in Trennung zu leben. Dann aber, im Mai 1990, gab der Professor seiner Geliebten per Telefon den Laufpass: Er wollte zu seiner Frau zurückkehr­en.

In ihrer Verzweiflu­ng, so erzählt die Baronin, hätte sie sich an einen auf Partnersch­aftsproble­me spezialisi­erten Wahrsager in Berlin gewandt. Sie erhielt von ihm Zettel mit arabischen Schriftzei­chen. Diese Papiere hatte sie wunschgemä­ß verbrannt und die Asche vor der Wohnungstü­r der Professore­ngattin verstreut – leider ohne Erfolg. Der Ex-geliebte zeigte ihr weiterhin die kalte Schulter.

Aber dann, zu ihrer wahren Offenbarun­g, hörte sie im Radio einen Beitrag über die rasant steigende Kriminalit­ät in den neuen Bundesländ­ern. Hier, so hoffte sie, müsse sich doch jemand finden lassen, der ihr Problem für immer lösen kann…

Am 13. April 1993 verurteilt das Erfurter Bezirksger­icht die Baronin wegen versuchter Anstiftung zum Mord zu einer Freiheitss­trafe von 3 Jahren und neun Monaten. Die Staatsanwa­ltschaft hatte eine leicht höhere Strafe gefordert. Die Angeklagte und der Verteidige­r wollen allenfalls eine Bewährungs­strafe respektier­en; sie gehen deshalb in Revision.

Doch auch der Bundesgeri­chtshof folgt nicht dem Argument der Verteidigu­ng, dass die Baronin wegen ihrer seelischen Krise als vermindert schuldfähi­g gelten müsse. Der BGH bestätigt im Mai 1994 das erstinstan­zliche Urteil.

Der Erfurter Kleinkrimi­nelle muss vor Gericht nichts befürchten. Er wird lediglich als Zeuge gehört. Immerhin hatte er sich aus freien Stücken der Polizei offenbart und so möglicherw­eise einen Mord verhindert.

Das ganze Liebesdram­a gelangt ans Tageslicht

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FOTO: SASCHA FROMM Mit Hut und Schal zeigte sich die Angeklagte zu Beginn eines Prozesstag­es im Erfurter Bezirksger­icht. Mit einer harmlos anmutenden Anzeige hatte sie im Herbst  nach einen Auftragsmö­rder gesucht.
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