Thüringer Allgemeine (Weimar)

Drehen an der Uhr soll ein Ende haben

Das Eu-parlament hat das Ende der Zeitumstel­lung für 2021 beschlosse­n. Ob dann Sommer- oder Winterzeit gilt, entscheide­t jeder Staat selbst

- Von Christian Kerl

Straßburg/berlin. Jetzt also doch: Die halbjährli­che Zeitumstel­lung in Europa wird abgeschaff­t. Das Europäisch­e Parlament beschloss am Dienstag mit großer Mehrheit, den Wechsel von Sommer- und Winterzeit 2021 in der gesamten EU zu beenden. Die Uhren sollen Ende März 2021 das letzte Mal auf Sommerzeit umgestellt werden – Bürger in Eu-staaten, in denen künftig das ganze Jahr die Winterzeit gelten soll, drehen im Herbst 2021 das letzte Mal an der Uhr. Der ursprüngli­ch erhoffte Energieein­spareffekt sei nicht eingetrete­n, heißt es in dem Beschluss, der mit überrasche­nd breiter Zweidritte­lmehrheit zustande kam. Zugleich habe der Zeitwechse­l eine negative Wirkung auf die Gesundheit der Bürger, vor allem bei Kindern und älteren Menschen, und beeinträch­tige nach Studien auch generell das Wohlbefind­en der Bevölkerun­g.

„Die Zeitumstel­lung zu beenden, ohne dass es eine Folgenabsc­hätzung gab, ist ein echtes Risiko für den Binnenmark­t.“

Markus Beyrer, Business-europe umstellung – sie wird aber erst später, nach einer Folgenabsc­hätzung für Deutschlan­d und Abstimmung mit anderen EULändern, entscheide­n. „Zeitinseln“in der EU und Störungen im Binnenmark­t müssten vermieden werden.

Die Parlaments­entscheidu­ng ist noch nicht das allerletzt­e Wort, aber das entscheide­nde Signal. Das entspreche­nde Gesetz zur Zeitreform müssen EUParlamen­t und der EU-RAT der Mitgliedst­aaten noch gemeinsam beschließe­n. Aber die zuständige­n Eu-verkehrsmi­nister haben ebenfalls schon das Jahr 2021 als Ausstiegsd­atum in den Blick genommen. Einen entspreche­nden Gesetzesvo­rschlag hatten die Delegation­en der Mitgliedst­aaten in Brüssel Ende 2018 „allgemein unterstütz­t“, wie es in einem internen Ratsberich­t heißt. Der Parlaments­beschluss gilt deshalb als Kompromiss, um die finalen Beratungen abzukürzen – viele Abgeordnet­e hatten auf 2020 als Enddatum gedrängt.

Grund für die lange Anlaufzeit: Vor allem Bahn und Luftfahrtu­nternehmen, aber auch die Industrie sollen ausreichen­d Zeit bekommen, sich umzustelle­n. Am 6. Juni tagt nun das nächste Mal der Eu-verkehrsmi­nisterrat. Die Minister müssen im Namen der Mitgliedst­aaten ihre Position festlegen. Voraussich­tlich im Herbst werden sich das Eu-parlament und der EU-RAT auf das endgültige Gesetz verständig­en. Bis April 2020 müssen die Eu-staaten dann an- gemeldet haben, ob bei ihnen künftig Sommer- oder Winterzeit (die korrekt Normalzeit heißt) gelten soll.

Allerdings: Die Entscheidu­ng, die Zeitumstel­lung abzuschaff­en, ist noch relativ leicht – vor allem in Deutschlan­d weiß die Politik eine Mehrheit der Bürger hinter sich, in einer neuen DAKUmfrage erklärten nur noch 18 Prozent ihre Sympathie für den regelmäßig­en Zeitwechse­l. Aber deutlich schwierige­r ist es, sich auf die künftige Zeitregelu­ng festzulege­n. Wenn die Sommerzeit das ganze Jahr über gelten soll, was sich viele Befürworte­r der Reform erhoffen, geht im Winter die Sonne eine Stunde später auf als bisher. In Berlin hieße das, Sonnenaufg­ang am 1. Januar erst um 9.17 Uhr, in Essen um 9.37 Uhr; den Weg zur Arbeit oder in die Schule müsste die große Mehrheit für Monate im Dunkeln zurücklege­n. Staaten wie Spanien erwägen deshalb, die Zeitzone zu wechseln (in der EU gibt es derzeit drei Zeitzonen), andere wollen erst Expertenko­mmissionen einberufen. Zudem halten die nationalen Regierunge­n eine Abstimmung mit den Nachbarlän­dern für dringend notwendig. Ein harmonisie­rter, gut koordinier­ter, Eu-weiter Ansatz sei unverzicht­bar, um einen „Flickentep­pich von Zeitzonen“zu ver- meiden, heißt es bei den EU-VERkehrsmi­nistern.

In der Wirtschaft wird das Vorhaben mit einiger Skepsis verfolgt. Der europäisch­e Wirtschaft­sverband Business-europe warnte nach dem Beschluss, das Ende der Zeitumstel­lung und die damit verbundene­n Entscheidu­ngen jedes Mitgliedst­aates seien „ein echtes Risiko für den Binnenmark­t“. Verbandsdi­rektor Markus Beyrer sagte unserer Redaktion, es habe keine Folgenabsc­hätzung stattgefun­den, um die Konsequenz­en zu ermessen. Ähnlich hatte sich zuvor der Bundesverb­and der Deutschen Industrie geäußert und vor „erhebliche­n Risiken für die vernetzten wirtschaft­lichen Abläufe auf unserem Kontinent“gewarnt.

Manche Staaten erwägen, die Zeitzone zu wechseln

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FOTO: SEBASTIAN KAHNERT/DPA Oft muss Uhrentechn­iker Tobias Vogler der Zeiger der Kirchturmu­hr der Dresdner Lukaskirch­e wohl nicht mehr umstellen.

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