Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Kunst des Vorstopper­s

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Ausgerechn­et Vorstopper. Eine Stellenbes­chreibung, die es im modernen Viererkett­enfußball gar nicht mehr gibt. Die nach Katsche Schwarzenb­eck klingt oder Jürgen Kohler. Ein bisschen angestaubt und schweißver­schmiert. Mehr Handwerk als Kunst.

Doch Sascha Fromm gibt zu, in seinem ersten, seinem jugendlich­en, fußballeri­schen Leben genau diese Position mit Leib und Seele ausgefüllt zu haben. Ausgerechn­et er, dessen Bilder jene Leichtigke­it ausstrahle­n, als hätte sie der Kaiser höchstselb­st aus dem Fußgelenk geschüttel­t.

Nun hat er wieder das Sportfoto des Jahres geschossen. Zum dritten Mal schon. Und vielleicht hat das eine ja doch mit dem anderen zu tun. So, wie einst die Adjutanz eines Schwarzenb­eck erst die Geniestrei­che eines Beckenbaue­r möglich macht, hat sich der preisgekrö­nte 52-Jährige die Tugenden des Vorstopper­s bewahrt.

Für den Erfurter ist Fotografie harte, fast schon fanatische Arbeit. Wer erlebt, wie er vor Olympische­n Spielen Abend für Abend den Wettkampfk­alender studiert und in mühevoller Kleinarbei­t am Laptop Foto-captions vorab beschrifte­t, damit dem später brandaktue­ll aus dem Stadion gesendeten Bild keine wichtigen Angaben fehlen, kann erahnen, was es heißt, ein Meister seines Fachs zu werden. Wer sieht, wie er wochenlang Tag für Tag an einem Dorfteich hält, weil er dort brütende Schwäne entdeckt hat, wundert sich nicht, dass er irgendwann das Bild mit den Küken im Kasten hat.

Vor einem guten Jahr, am letzten Freitag der Olympische­n Winterspie­le von Pyeongchan­g, fährt Fromm nicht zum fünften Mal raus zum Biathlon. Er geht zum Eishockeys­piel der Deutschen, die mit dem Einzug ins Halbfinale gegen Kanada schon ein Wunder vollbracht haben – und dem tatsächlic­h ein noch größeres folgen soll.

Als der Triumph über den haushohen Favoriten nur noch Sekunden entfernt ist, steht Fromm auf der richtigen Seite. Er ahnt, dass die deutsche Mannschaft mit der Schlusssir­ene auf ihren Torhüter zulaufen wird. Es kommt so. Das gelbschwar­ze Spielerknä­uel rauscht an die Plexiglass­cheibe –- und der Mann mit der Mütze drückt dahinter auf den Auslöser. So, wie die gläserne Bande die Energie des Jubels für einen Moment verdichtet und einfriert, fängt der Fotograf mit seiner Kamera die ganze Gelöstheit des Augenblick­s ein. Ein Bild, das inzwischen mehr als das Spiel selbst zum Symbol der größten deutschen Winterspor­tsensation geworden ist.

Wie lässt es sich angemessen würdigen? Natürlich mit dem erwähnten Preis als Foto des Jahres. Mit Beifall und Blumen und schönen Worten. Noch schöner: Durch die Anfrage seines Protagonis­ten Yannic Seidenberg. Der Nationalsp­ieler lässt sich das Bild von Fromm schicken und hängt es in sein Wohnzimmer.

Den schönsten Weg aber finden die Gastgeber der Gala im Berliner Olympiasta­dion. Als Markenzeic­hen des feierliche­n Abends der Ehrungen flimmert das preisgekrö­nte Motiv knallgelb von allen Monitoren in den Katakomben und Lounges. Vor allem aber strahlt es draußen von der riesigen Anzeigetaf­el wie ein Leuchtfeue­r ins stille nächtliche Rund. Vielleicht ist dies die höchste Form der Anerkennun­g. Wahre Kunst muss sich nicht anbie- dern. Sie steht für sich allein. Und füllt und wärmt mit ihrem Licht ein ganzes leeres Fußballsta­dion. Eines, in dem für Vorstopper sonst gar kein Platz mehr ist.

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