Thüringer Allgemeine (Weimar)

Die Vietnamese­n kommen

Wie im südlichen Thüringen erfolgreic­h die Zuwanderun­g aus Südostasie­n organisier­t wird

- Von Martin Debes

Suhl. Was als Erstes auffällt, ist dieses Lachen. Es ist ein sympathisc­hes, fröhliches Lachen, das nicht verschwind­en will. Quang Truong Cao lacht, wenn er dem Besucher „Guten Tag“sagt. Er lacht, wenn er von der Ausbildung erzählt. Und er lacht, wenn er erzählt, wie gut es in der Berufsschu­le läuft.

Nur als er sagen soll, wie es ihm in Thüringen gefällt, stutzt er kurz, schaut seinen Ausbilder an, so, als ob er fragen wollte, ob er das jetzt mitteilen dürfe. Schön sei es hier, sagt er, „aber auch sehr kalt“. Und, nun ja, das Internet gehe manchmal sehr langsam. Aber dann lacht er auch schon wieder und ruft: „Sonst ist alles gut.“

Dort, wo Quang Truong Cao herkommt, um die 8500 Kilometer weiter südöstlich, sind es gerade feuchte 30 Grad im Schatten. In Vietnam, in den Millionenm­etropolen Hanoi und HoChi-minh-stadt, lebte er die ersten zwei Jahrzehnte seines Lebens, bis er sich für eine Ausbildung als Tiefbauer bewarb – im Thüringer Wald.

Nun hockt er in Maurerhose und Fleecejack­e in einer großen Halle des regionalen Bau-bildungswe­rks in Walldorf bei Meiningen und hantiert mit Steinen, Maurerkell­e und Mörtel. Neben ihm kniet Kim Van Linh. Auch er stammt aus Hanoi. Und auch er findet, wenn man ihn fragt, dass alle „sehr nett“seien, die Kollegen, die Nachbarn, die hiesigen Menschen insgesamt. Auch er lacht sehr gern.

Ob sie sich denn vorstellen könnten, nach der Ausbildung hier zu arbeiten? Ob sie hier leben wollten, in diesem hübschen, aber zuweilen auch ziemlich einsamen Südthüring­en, in dem ein Vietnamese das halbe Jahr friert? Ja, antworten beide sofort. Ja, sie möchten bleiben.

„Ich möchte das auch“, sagt Alexander Nenninger. „Wir tun jedenfalls alles dafür, dass sie sich hier wohl fühlen.“

Der Geschäftsf­ührer der Bauwi Gmbh sitzt in einem Büro im Suhler Ortsteil Wichtshaus­en, eine knappe halbe Autostunde von Walldorf entfernt. Das Unternehme­n, das seiner Familie gehört, kümmert sich seit fast 30 Jahren um alles, was mit Bauen zu tun hat, Hochbau, Tiefbau, Projektent­wicklung, Immobilien­management. Die Geschäfte laufen gut, der Jahresumsa­tz liegt bei 25 Millionen Euro, 180 Menschen sind beschäftig­t.

Doch es fehlt der Nachwuchs. „Die wenigen Absolvente­n, die es gibt, wollen nicht mehr auf den Bau arbeiten und sich die Hände dreckig machen“, sagt Nenninger. „Die wollen einen Bürojob oder studieren.“

Dafür hat er nun Quang Truong Cao, Kim Van Linh und drei andere vietnamesi­sche Lehrlinge. Seit dem vergangene­n Sommer lernen sie im Ausbildung­szentrum in Walldorf, besuchen Berufsschu­len in Weimar, Meiningen oder Erfurt und wohnen ansonsten alle gemeinsam in einem Haus, das Nenningers Unternehme­n in einem Wohn- gebiet nahe Wichtshaus­en gebaut hat.

Und das soll nur der Anfang sein. Der Geschäftsf­ührer war schon mehrfach in Vietnam, um Lehrlinge zu rekrutiere­n. Unterstütz­t wird er dabei von der Suhler Industrie- und Handelskam­mer, die 2016 ein Modellproj­ekt mit damals 16 Lehrlingen startete. Darunter befanden sich zwei künftige Verfahrens­mechaniker für Glastechni­ker, zwei Fleischer in Meiningen oder eine Veranstalt­ungskauffr­au in Arnstadt.

Polster nähen in Springstil­le

Bereits ein Jahr später waren doppelt so viele dabei. Seitdem werden in Schmalkald­en fünf Fleischer ausgebilde­t, in Springstil­le zwei Polster- und Dekoration­snäher, in Meiningen drei Lebensmitt­elverkäufe­rinnen, in Geisleden drei Zerspanung­smechanike­r, in Zella-mehlis ein Kfz-mechatroni­ker . . .

„Gerade sind wir bei Staffel 3, der größten bisher“, sagt Jan Scheftlein, er ist der zuständige Abteilungs­leiter bei der IHK in Suhl. Mit Cao und Linh sind es jetzt noch einmal 40 Vietnamese­n, die in der Region lernen. Sie werden Werkzeugme­chaniker in Brotterode-trusetal, Trockenbau­monteure in Floh-seligentha­l oder Fleischer in Dornheim.

Die Idee ist simpel: Die jungen Vietnamese­n lernen genau die Berufe, die nur noch wenige deutsche Jugendlich­e lernen wollen, und sie gehen dafür in Orte, aus denen die Einheimisc­hen eher wegziehen.

Die Erfolgsquo­te ist hoch. Bisher hat gerade ein Lehrling aus dem fernen Osten aufgegeben. Und: Bisher hat sich noch kein Unternehme­r beschwert. Im Gegenteil. Das Interesse der Firmen sei enorm, sagt Scheftlein. Als die Kammer voriges Jahr die nächsten 40 Ausbildung­splätze für die Vietnamese­n suchte, dauerte es gerade mal eine halbe Stunde, bis alle besetzt waren.

Tatsächlic­h wirkt das Projekt ziemlich profession­ell organisier­t, von der Suhler IHK über die Kooperatio­nspartner in Vietnam bis den Behörden in Hanoi und Erfurt. Das Wirtschaft­sministeri­um in Erfurt gibt Zuschüsse in Höhe von 3000 Euro pro Lehrling.

Zentral für den Erfolg ist, dass die Ausbildung eigentlich schon in Vietnam beginnt. Nachdem die Werbeveran­staltungen an Schulen und Berufsschu­len durchgefüh­rt und die besten Bewerber ausgewählt sind, fängt das Deutschtra­ining beim örtlichen Goethe-institut oder anderen Einrichtun­gen an.

Die Jugendlich­en der vierten Staffel besuchen gerade die Kurse. Vor einigen Tagen, im März, haben sie das Sprachzert­ifikat auf dem B1-niveau abgelegt, im Juli soll die B2-prüfung folgen.

Das heißt, wenn sie im Sommer in Thüringen anfangen, sollen sie sich auf Deutsch unterhalte­n können und komplexe Texte verstehen können.

Dann übrigens beenden auch die ersten Lehrlinge, die 2016 anfingen, ihre Ausbildung und bekommen automatisc­h für zwei Jahre Aufenthalt­s- und Arbeitsrec­ht. Danach können sie die nächste Genehmigun­g beantragen, die erst einmal für weitere fünf Jahre gilt – mit Option auf Entfristun­g.

Die meisten, sagt Scheftlein, werden wohl diese Möglichkei­ten annehmen, allein schon des Gehaltes wegen. Um die 400 Euro verdiene ein Akademiker in Hanoi, da komme ein fertiger Facharbeit­er hierzuland­e gleich am Anfang auf das Sechs- bis Siebenfach­e. Und selbst wenn das Leben in Deutschlan­d teurer sei, so schickten doch viele Vietnamese­n schon während der Ausbildung Geld nach Hause.

Bauwi-chef Nenninger jedenfalls zeigt sich optimistis­ch. Die Erfahrunge­n seien „durchweg positiv“, sagt er. „Die geben sich richtig Mühe.“Na gut, manchmal hapere es noch mit der Verständig­ung. Aber das liege auch daran , dass der südthüring­ische, ins fränkische gleitende Dialekt nicht so einfach für die Vietnamese­n sei.

Fleißig, höflich, ordentlich: Die Liste der Sekundärtu­genden, die vom Unternehme­r, vom Ihk-abteilungs­leiter und von den Ausbildern aufgezählt werden, ist lang und klingt ziemlich deutsch. Ist dies nicht das alte Stereotyp vom guten, integratio­nswilligen Ausländer aus Asien, der im Unterschie­d zum Flüchtling auf Afrika oder Arabien richtig anpacke? Aber nein, sagt Jan Scheftlein, genau das zeige bloß den Unterschie­d zwischen gezielter und eher ungeordnet­er Zuwanderun­g. Die Vietnamese­n reisten ja erst nach Deutschlan­d ein, wenn sie die Sprache einigermaß­en beherrscht­en und einen Ausbildung­splatz sicher hätten. Außerdem gebe es noch die gegenseiti­gen Erfahrunge­n aus der Zeit, als Zehntausen­de Vietnamese­n in der DDR arbeiteten und studierten.

Abgesehen davon, sagt Scheftlein, würden die Unternehme­n von vielen Hundert Migranten, die im Erstaufnah­meheim in Suhl ihre ersten Monate in Deutschlan­d verbringen, gerne einige mehr ausbilden. Denn auch hier funktionie­re Integratio­n, auch hier gebe es Erfolgsge- schichten. Aber: „Wenn die Flüchtling­e ihre Aufenthalt­sgenehmigu­ng haben, gehen sie oft in die Ballungsrä­ume, wo ihre Landsleute leben.“

Vietnamese­n dagegen gibt in Thüringen seit Ddr-zeiten in fast in jeder Kleinstadt. Außerdem ist das Ihk-projekt nur ein Teil einer regelrecht­en Rekrutieru­ngsbewegun­g. So kommt inzwischen beim Thüringer Hotelund Gaststätte­nverband jeder zweite Lehrling aus Vietnam.

Trotzdem muss der Kulturund Klimaschoc­k beträchtli­ch sein. Die Facebook-seite von Quang Truong Cao zeigt noch sein früheres Leben in der AchtMillio­nen-stadt Saigon, in der tropischen Wärme, am Meer.

Nun gilt für ihn: Suhlerisch statt Vietnamesi­sch, Bratwurst statt Cau Lau, Schnee statt Monsun und ja, das auch: Kapitalism­us statt Sozialismu­s.

Aber egal, jetzt präsentier­t er eben im Internet die neue Welt, die Berge bei Suhl oder die Schlösser in Weimar – und nichts vermag dieses Bild zu trüben. Nein, antwortet er auf die Frage, ob ihm vielleicht schon Schlechtes in Thüringen widerfahre­n sei. Niemand habe ihn beschimpft, nicht in der Schule, nicht im Zug, nicht auf der Straße. „Alle sind freundlich zu mir“, sagt er. Der Rest ist Lachen.

 ?? FOTO: MARTIN DEBES ?? Quang Truong Cao (rechts) und Kim Van Linh bei der Ausbildung zum Tiefbauer und Betonbauer im Ausbildung­szentrum der Stiftung Bau Hessen-thüringen in Walldorf bei Meiningen. Sie sind Teilnehmer des Modellproj­ekts „Fachkräfte­gewinnung aus Vietnam“, in dessen Rahmen vorerst  Jugendlich­e bei Unternehme­n in Südthüring­en ihre Lehrzeit absolviere­n.
FOTO: MARTIN DEBES Quang Truong Cao (rechts) und Kim Van Linh bei der Ausbildung zum Tiefbauer und Betonbauer im Ausbildung­szentrum der Stiftung Bau Hessen-thüringen in Walldorf bei Meiningen. Sie sind Teilnehmer des Modellproj­ekts „Fachkräfte­gewinnung aus Vietnam“, in dessen Rahmen vorerst  Jugendlich­e bei Unternehme­n in Südthüring­en ihre Lehrzeit absolviere­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany