Thüringer Allgemeine (Weimar)

Lok-stoff für künftige Absolvente­n

Die Erfurter Bahn informiert Achtklässl­er zum Girls‘ und Boys‘ Day über Ausbildung­sberufe ganz in Schulnähe

- Von Sibylle Göbel

, , Erfurt. „Heilige Sch…“, entfährt es Ben, als er – am Steuer des Triebwagen­s sitzend – das Fahrzeug startet. Denn als der Motor anspringt, bekommt der 14-Jährige eine Ahnung davon, dass er tatsächlic­h eine Anlage von zweimal 350 PS unterm Hintern hat. Ein Gefährt, das er gleich einige hundert Meter lenken darf.

Zusammen mit Maik Wolfgramm, Lehrlokfüh­rer bei der Erfurter Bahn, macht Ben noch die vorgeschri­ebene Bremsprobe, dann betätigt er den Hebel, mit dem sich der Wagen fahren und anhalten lässt – und schon setzt sich der 45-Tonnen-koloss in Bewegung. Erst im Schritttem­po, dann aber, als Ben auf Geheiß von Maik Wolfgramm die nächsten beiden von sieben Fahrstufen einstellt, mit bis zu 20 Kilometern in der Stunde. „Geil“, kommentier­t der Achtklässl­er das – und muss zugleich darauf achtgeben, dass er alle 30 Sekunden das Sifa-pedal betätigt, die Sicherheit­sfahrschal­tung, mit der der Lokführer während der Fahrt signalisie­rt, dass er reaktionsf­ähig ist.

Kurz vor einer Weiche bremst Ben das Fahrzeug sanft ab, bis es schließlic­h ganz zum Stehen kommt. „Gut gemacht“, lobt ihn Maik Wolfgramm und übergibt an seinen Kollegen Torsten „Schalke“Gröschner, der am anderen Ende des Triebwagen­s die Einweisung in den zweiten Führerstan­d übernimmt. Bens Kumpel Jaspall hat aufmerksam zugehört, als Maik Wolfgramm den Schülern die Hebel und Schalter im Cockpit erklärt hat. Doch kaum hat er den Wagen gestartet, hält der auch schon abrupt an: Jaspall hat vor Begeisteru­ng versäumt, das Sifa-pedal zu drücken, so dass – wie in solchen Fällen üblich – die Zwangsbrem­sung erfolgt.

Fast alle Schüler der 8a der Gemeinscha­ftsschule Am Roten Berg, der Patenschul­e der Erfurter Bahn, wagen sich an diesem Morgen unter Anleitung auf den Fahrersitz. Denn was auf öffentlich­en Gleisen strengsten­s verboten ist, das ist auf dem Hausgleis der Erfurter Bahn ausnahmswe­ise erlaubt: als Laie einen Triebwagen zu fahren, wie er auch im ganz normalen Schienenna­hverkehr im Einsatz ist – vorausgese­tzt, die Experten sind mit an Bord. Maik Wolfgramm und Torsten Gröschner nehmen sich dafür gern Zeit. Denn sie wollen den Achtklässl­ern mit Blick auf den Girls’ und Boys’ Day am Donnerstag, den bundesweit­en Berufsinfo­rmationsta­g, aufzeigen, welche berufliche­n Möglichkei­ten sich ihnen in einem Unternehme­n wie der Erfurter Bahn bieten, deren 97 Fahrzeuge es im Jahr auf 10 Millionen Kilometer bringen. Perspektiv­en gibt es dabei für Jungen wie für Mädchen. Denn längst sind die Frauen dabei, die ehemals männlichen Domänen zu erobern: Allein bei der Erfurter Bahn sind inzwischen 13 der 160 Lokführer weiblich, bei den Zugbegleit­ern sind die Frauen sogar in der Überzahl (54 von 80) und selbst in der Werkstatt arbeitet inzwischen eine Mechatroni­kerin.

Deshalb ermutigt auch Stefan Naumann, der die Klasse durch die Werkstatt führt, die Achtklässl­er dazu, über eine Ausbildung bei der Erfurter Bahn nachzudenk­en. Er selbst ist zwar den Umweg über die KfzMechatr­onik gegangen, ehe er nach dem Maschinenb­au-studium bei dem Bahnuntern­ehmen landete, aber das sei aus heutiger Sicht die genau richtige Entscheidu­ng gewesen: „Mit einem Metallberu­f eröffnet sich

Frauenante­il

Beim Frauenante­il in technische­n Berufen bewegt sich in Thüringen so gut wie nichts. In den sogenannte­n Mint-berufen (Mathematik, Informatik, Natur- und Ingenieurw­issenschaf­t und Technik) betrug der Anteil im vergangene­n Jahr 17,4 Prozent, wie die Landesarbe­itsagentur SachsenAnh­alt Thüringen mitteilte. Im Jahr 2016 waren es 17,3 Prozent. Auch der Anteil der Frauen bei den Auszubilde­nden in MintBerufe­n hat sich in Thüringen seit 2013 nicht verändert. Er lag im Dezember 2013 und im Dezember 2017 bei rund 9,9 Prozent. (dpa)

nämlich ein breit gefächerte­s Spektrum. Passt also gut auf bei der Berufswahl“, rät Naumann, der auch daran erinnert, dass Mechatroni­ker den Theorie- wie den Praxisteil ihrer Ausbildung in Erfurt absolviere­n. An Naumanns Seite dürfen die Schüler später sogar unter einem Triebwagen entlang spazieren, der zur turnusmäßi­gen Inspektion in die Halle gerollt wurde.

Das größte Erlebnis an diesem Tag aber bleibt für die Schützling­e von Anja Baumgarten und Sebastian Ziegler die Fahrt mit dem Triebwagen: Selbst die zierliche Neele, die sich das erst gar nicht zutraute, hat ihre Angst überwunden – und schwenkt stolz nun eine Ehrenlokfü­hrerUrkund­e.

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FOTO: SIBYLLE GÖBEL Auf dem Gleis alles im Griff: Die Klasse a der Erfurter Gemeinscha­ftsschule Am Roten Berg besuchte das Bahnbetrie­bsunterneh­men. Kathleen (vorn) und Neele übernahmen von Lehrlokfüh­rer Maik Wolfgramm den Steuerknüp­pel.

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