Wie Extremisten die Wirtschaft bedrohen
Der Verfassungsschutz warnt vor einer „Entgrenzung“von Protesten – wie gegen das Energieunternehmen RWE im Hambacher Forst
Berlin. Vor dem Haus des Deutschen Beamtenbundes stehen drei Polizisten, um die Ecke mehrere Einsatzfahrzeuge. Der Anlass: Immobilienkongress in Berlin – das ist für die Polizei kein harmloser Termin. Denn die Branche wird angefeindet. Immer wieder kommt es zu Sabotageakten, zu Anschlägen. So wie auch gegen Banken, die Bahn, den Internethändler Amazon oder Energieversorger. Kabelschächte werden in Brand gesetzt, Funkmasten zerstört, Baufahrzeuge beschädigt. Deshalb der Polizeischutz.
„Es kann jeden treffen“, warnt Volker Wagner, Vorsitzender des Bundesverbands Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW). „Wir müssen dieses Thema zur Chefsache machen“, meint Sinan Selen, Vizepräsident des Bundesamts für Verfassungsschutz, auf einer Tagung am Mittwoch, nur 1,5 Kilometer vom Immobilienkongress entfernt. Wie sich die Bilder gleichen: Wieder patrouillieren Polizeibeamte. Verfassungsschutz und Wirtschaftsverband bedanken sich beim Hotel, weil es sich auf die Tagung einlässt. Ist es schon eine Mutprobe?
Die Herausforderungen lauten: Politischer Extremismus von links, von rechts, von Reichsbürgern, Islamisten, Radikalisierung in den Unternehmen. Der Inlandsgeheimdienst beobachtet „ein steigendes Per- sonenpotenzial“und ein „Klima der Enthemmung“. 29.500 Linksextremisten registriert der Verfassungsschutz. Etwa 9000 gelten als gewaltbereit. „Sie sind auch Feinde der Wirtschaft“, so Selen. Und: Der Extremismus sei „kein kosmetisches Problem“. Er sei real.
Was Sicherheitsexperten und Unternehmen wie RWE gleichermaßen umtreibt, ist „die Entgrenzung von bürgerlichem Protest und Extremismus“. Selen nennt drei Schauplätze: den G-20-gipfel in Hamburg, den Hambacher Forst und die „Gelbwesten“-bewegung in Frankreich. In allen drei Fällen war der Protest legitim. Es ging um mehr Solidarität mit der Dritten Welt, den Erhalt eines Waldes sowie gegen den Tagebau oder gegen Preiserhöhungen. Zugleich mischten sich jedes Mal gewaltbereite Extremisten unter die Demonstranten – am Ende randalierte der Mob.
Fachleute sprechen von „Resonanzstraftaten“. Wer zu Protesten bereits bewaffnet anreise, „kann sich nicht auf die Versammlungsfreiheit berufen“, meint der frühere Verfassungsrichter Udo Di Fabio. Tatsächlich sichert das Grundgesetz (Artikel 8) Bürgern nur das Recht zu, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln“.
Die Gefahr von rechts ist nicht weniger gefährlich und vielleicht sogar nachhaltiger als Linksextremismus. Wenn Randale wie im Sommer 2018 in Chemnitz weltweit für Schlagzeilen sorgt, dann wird das Land unattraktiv für Investoren und Fachkräfte. „Die Marke ,Deutschland‘ leidet“, sagte Se- len. „Wir verlieren, was unser Land attraktiv macht.“Toleranz, Offenheit, Sicherheit.
Die Warnung vor der Beschädigung einer Marke muss man bisweilen wörtlich nehmen, wenn Rechtsextremisten bestimmte Marken quasi kapern. Beispiel Helly Hansen: Die Sportmarke wird auffällig oft von Rechten getragen, offensichtlich wegen der Initialen HH (Heil Hitler). Darunter leidet die Reputation von Unternehmen, „dann bekommt die Marke ein entsprechendes Image“, gibt Asw-funktionär Volker Wagner zu bedenken.
Der Verfassungsschutz ruft die Wirtschaft zur Wachsamkeit auf. Die Firma müsse beispielsweise einschreiten, wenn Radikale in der Belegschaft den Ton angeben. Mit dem einmaligen Verteilen von Broschüren – zur Aufklärung – sei es „nicht getan“.