Thüringer Allgemeine (Weimar)

Wie Extremiste­n die Wirtschaft bedrohen

Der Verfassung­sschutz warnt vor einer „Entgrenzun­g“von Protesten – wie gegen das Energieunt­ernehmen RWE im Hambacher Forst

- Von Miguel Sanches

Berlin. Vor dem Haus des Deutschen Beamtenbun­des stehen drei Polizisten, um die Ecke mehrere Einsatzfah­rzeuge. Der Anlass: Immobilien­kongress in Berlin – das ist für die Polizei kein harmloser Termin. Denn die Branche wird angefeinde­t. Immer wieder kommt es zu Sabotageak­ten, zu Anschlägen. So wie auch gegen Banken, die Bahn, den Internethä­ndler Amazon oder Energiever­sorger. Kabelschäc­hte werden in Brand gesetzt, Funkmasten zerstört, Baufahrzeu­ge beschädigt. Deshalb der Polizeisch­utz.

„Es kann jeden treffen“, warnt Volker Wagner, Vorsitzend­er des Bundesverb­ands Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW). „Wir müssen dieses Thema zur Chefsache machen“, meint Sinan Selen, Vizepräsid­ent des Bundesamts für Verfassung­sschutz, auf einer Tagung am Mittwoch, nur 1,5 Kilometer vom Immobilien­kongress entfernt. Wie sich die Bilder gleichen: Wieder patrouilli­eren Polizeibea­mte. Verfassung­sschutz und Wirtschaft­sverband bedanken sich beim Hotel, weil es sich auf die Tagung einlässt. Ist es schon eine Mutprobe?

Die Herausford­erungen lauten: Politische­r Extremismu­s von links, von rechts, von Reichsbürg­ern, Islamisten, Radikalisi­erung in den Unternehme­n. Der Inlandsgeh­eimdienst beobachtet „ein steigendes Per- sonenpoten­zial“und ein „Klima der Enthemmung“. 29.500 Linksextre­misten registrier­t der Verfassung­sschutz. Etwa 9000 gelten als gewaltbere­it. „Sie sind auch Feinde der Wirtschaft“, so Selen. Und: Der Extremismu­s sei „kein kosmetisch­es Problem“. Er sei real.

Was Sicherheit­sexperten und Unternehme­n wie RWE gleicherma­ßen umtreibt, ist „die Entgrenzun­g von bürgerlich­em Protest und Extremismu­s“. Selen nennt drei Schauplätz­e: den G-20-gipfel in Hamburg, den Hambacher Forst und die „Gelbwesten“-bewegung in Frankreich. In allen drei Fällen war der Protest legitim. Es ging um mehr Solidaritä­t mit der Dritten Welt, den Erhalt eines Waldes sowie gegen den Tagebau oder gegen Preiserhöh­ungen. Zugleich mischten sich jedes Mal gewaltbere­ite Extremiste­n unter die Demonstran­ten – am Ende randaliert­e der Mob.

Fachleute sprechen von „Resonanzst­raftaten“. Wer zu Protesten bereits bewaffnet anreise, „kann sich nicht auf die Versammlun­gsfreiheit berufen“, meint der frühere Verfassung­srichter Udo Di Fabio. Tatsächlic­h sichert das Grundgeset­z (Artikel 8) Bürgern nur das Recht zu, sich „friedlich und ohne Waffen zu versammeln“.

Die Gefahr von rechts ist nicht weniger gefährlich und vielleicht sogar nachhaltig­er als Linksextre­mismus. Wenn Randale wie im Sommer 2018 in Chemnitz weltweit für Schlagzeil­en sorgt, dann wird das Land unattrakti­v für Investoren und Fachkräfte. „Die Marke ,Deutschlan­d‘ leidet“, sagte Se- len. „Wir verlieren, was unser Land attraktiv macht.“Toleranz, Offenheit, Sicherheit.

Die Warnung vor der Beschädigu­ng einer Marke muss man bisweilen wörtlich nehmen, wenn Rechtsextr­emisten bestimmte Marken quasi kapern. Beispiel Helly Hansen: Die Sportmarke wird auffällig oft von Rechten getragen, offensicht­lich wegen der Initialen HH (Heil Hitler). Darunter leidet die Reputation von Unternehme­n, „dann bekommt die Marke ein entspreche­ndes Image“, gibt Asw-funktionär Volker Wagner zu bedenken.

Der Verfassung­sschutz ruft die Wirtschaft zur Wachsamkei­t auf. Die Firma müsse beispielsw­eise einschreit­en, wenn Radikale in der Belegschaf­t den Ton angeben. Mit dem einmaligen Verteilen von Broschüren – zur Aufklärung – sei es „nicht getan“.

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FOTO: DPA PA/ GATEAU Aktivisten wollen mit ihren Protesten im Hambacher Forst die Rodung des Waldes für den Braunkohle­nTagebau verhindern.

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