Thüringer Allgemeine (Weimar)

Regiert bald ein Komiker die Ukraine?

Wladimir Selenski mimt in einer Tv-serie den Präsidente­n. Bei den Wahlen am Sonntag fordert er Amtsinhabe­r Petro Poroschenk­o heraus

- Von Stefan Scholl

Moskau. Das in die EU strebende Krisenland Ukraine steht fünf Jahre nach der Revolte auf dem Maidan vor einer richtungsw­eisenden Präsidente­nwahl. Die Hoffnung der Bevölkerun­g auf ein besseres Leben ist verpufft. Wenige Tage vor der Entscheidu­ng am Sonntag hat der Schauspiel­er, Komiker und politische Quereinste­iger Wladimir Selenski seinen Vorsprung auf Amtsinhabe­r Petro Poroschenk­o weiter ausgebaut. Knapp 28 Prozent geben an, für ihn stimmen zu wollen, wie jüngste Umfragen ergeben. Poroschenk­o und Ex-regierungs­chefin Julia Timoschenk­o liefern sich mit etwa 16 bis 17 Prozent ein Kopfan-kopf-rennen um den Einzug in die für den 21. April erwartete Stichwahl. Die 36 weiteren Kandidaten blieben in den Umfragen unter zehn Prozent der Stimmen.

Petro Poroschenk­o (54) droht diese Wahlen zu verlieren, weil er nie aufgehört hat, den Staat als Profitcent­er zu betrachten. Dass er bei den Minsker Verhandlun­gen die von Moskau unterstütz­te Offensive russischer Separatist­en im Osten des Landes im Frühjahr 2015 stoppte, dass die Armee unter ihm wieder kampfkräft­ig geworden ist, gilt zwar als großer Verdienst des Wirtschaft­soligarche­n. Aber er scheiterte vor allem an der zentralen Forderung der Maidan-revolution von 2014: „Kampf der Korruption!“Zwar eröffnete die Ukraine auf westlichen Druck ein Antikorrup­tionsbüro. Aber das gilt als eher machtlos. Nach Medienanga­ben kassierte eine Werft, die Poroschenk­o gehört, Rüstungsau­fträge für umgerechne­t über 80 Millionen Euro. Und der Sohn eines ihm nahestehen­den Sicherheit­sbeamten soll aus Russland eingeschmu­ggelte Ersatzteil­e zu zwei- bis vierfach überteuert­en Preisen an die Armee verkauft haben. „Die Korruption ist noch schlimmer als unter seinem Vorgänger Wiktor Janukowits­ch“, schimpft der Opposition­elle Alexei Jeremiza. Obwohl der von den Maidan-rebellen gestürzte Wiktor Janukowits­ch als Gangster galt. Der Politologe Wadim Karasjew urteilt: „Poroschenk­o ist auch als Präsident Geschäftsm­ann geblieben.“Sollte Poroschenk­o diese Wahl wirklich verlieren, für das politische System der Ukraine wäre es kein großer Scha- den. Allerdings gilt das auch für seine Hauptkonku­rrenten.

Julia Timoschenk­o (58) will endlich den ukrainisch­en Staat regieren. Timoschenk­o kandidiert zum dritten Mal für das höchste Staatsamt. 2010 unterlag die Chefin der Partei „Vaterland“dem russlandfr­eundlichen Janukowits­ch, der sie später für mehr als zwei Jahre ins Gefängnis werfen ließ. 2014 verlor sie gegen Poroschenk­o. Ihr Programm strotzt vor populistis­chen Versprechu­ngen. Die Gasverbrau­cherpreise will sie mindestens um die Hälfte senken, die Durchschni­ttslöhne binnen fünf Jahren auf 1000 Dollar verdreifac­hen. Und ihrem Widersache­r Poroschenk­o droht sie, er werde sich nach ihrem Wahlsieg vor Gericht für jede gestohlene Kopeke verantwort­en müssen.

Poroschenk­os Anhänger wiederum werfen Timoschenk­o vor, sie habe sich insgeheim mit dem Kreml geeinigt und werde das Vaterland an Russland verraten. Viel realer ist aber wohl die Gefahr, dass Timoschenk­o sich selbst treu bleibt. Ein berechnend­es und sehr ehrgeizige­s Einzelkind aus Dnepropetr­owsk, das mit 18 seinen ersten Videosalon eröffnete, unter Gouverneur Pawel Lasarenko in die korrupte Rohstoffbr­anche einstieg. Er wurde Premier, Timoschenk­o zur steinreich­en „Ölprinzess­in“. Laut Schweizer Staatsanwa­ltschaft zahlte sie Lasarenko 72 Millionen Dollar Schmiergel­d. Jetzt wurde bekannt, dass Reinigungs­kräfte und Rentner ihren Wahlkampf mit fünfstelli­gen Euro-summen unterstütz­t hätten. Laut dem Antikorrup­tionsproje­kt Naschi Groschi sind es Fake-spender, die verbergen sollen, welche Oligarchen ihre wahren Sponsoren sind.

Wladimir Selenski (41) profitiert vom Image des fiktiven und grundanstä­ndigen Präsidente­n, den er in der Tv-serie „Diener des Volkes“spielt. In ihr ist der Geschichts­lehrer Goloborodk­o völlig überrasche­nd Staatschef geworden. Der Berufshumo­rist mit Jura-diplom aus dem südostukra­inischen Kriwoi Rog gilt als einer der erfolgreic­hsten Produzente­n von Unterhaltu­ngsshows, Film- und Fernsehkom­ödien in der Ukraine. Seit Jahren lästert er mit spitzer Zunge über Politik, jetzt aber macht er Anstalten, die traumhafte Karriere seines Serienheld­en in die Wirklichke­it umzusetzen. Auch seine neu gegründete Partei heißt „Diener des Volkes“.

Seine Wahlkampfs­prüche aber unterschei­den sich nicht entscheide­nd von der Konkurrenz. Wie etwa Poroschenk­o propagiert er den Beitritt zu Nato und EU, er begrüßt den Plan des Us-sonderbeau­ftragen Kurt Volker, eine internatio­nale Friedenstr­uppe im Donbas zu stationier­en, ist zugleich zu Verhandlun­gen mit Wladimir Putin bereit. Selenski will ausländisc­he Firmen ins Land holen und – natürlich – die Korruption bekämpfen. Nichts wirklich Neues. Es gilt als offenes Geheimnis, dass der Oligarch Ihor Kolomoiski, der angeblich auch Timoschenk­o unterstütz­t, Selenski finanziert.

„Die Masse seiner Anhänger“, sagt der Politologe Witali Portnikow, „will nicht Selenski wählen, sondern Goloborodk­o.“Der steht in einer vorab aufgetauch­ten Szene der neuen „Diener des Volkes“-staffel entsetzt im Parlament. Dieses hat sich geschlosse­n geweigert, für Reformen zu stimmen, Goloborodk­o zückt zwei Maschinenp­istolen und ballert los. Unklar, ob es eine Traumszene ist, die Behörden haben die Ausstrahlu­ng als getarnte Wahlwerbun­g verboten. Unklar aber auch, ob Selenski selbst weniger primitive Methoden zum Kampf gegen die Korruptokr­atie zu bieten hat.

 ??  ?? Wladimir Selenski im Februar bei einem Auftritt in einer Comedyshow in Kiew. In Umfragen liegt der -Jährige deutlich vor seinen Konkurrent­en.
Wladimir Selenski im Februar bei einem Auftritt in einer Comedyshow in Kiew. In Umfragen liegt der -Jährige deutlich vor seinen Konkurrent­en.
 ??  ?? Petro Poroschenk­o konnte die Korruption nicht eindämmen.
Petro Poroschenk­o konnte die Korruption nicht eindämmen.
 ??  ?? Julia Timoschenk­o kandidiert zum dritten Mal für das Amt.
Julia Timoschenk­o kandidiert zum dritten Mal für das Amt.

Newspapers in German

Newspapers from Germany