Thüringer Allgemeine (Weimar)

Was bringt Apples Ekg-funktion?

Das Unternehme­n hat für seine smarte Uhr Funktionen freigescha­ltet, die Herzrhythm­usstörunge­n erkennen sollen. Was Experten sagen

- Von Laura réthy

Berlin. Der Körper und seine Gesundheit sind längst nicht mehr allein Sache des Arztes. Die Menschen messen mithilfe von Apps und Fitnessarm­bändern ihren Puls, sie protokolli­eren ihren Schlaf, sie zählen ihre Schritte und die Tage bis zum nächsten Eisprung – und sie beobachten ihren Herzrhythm­us, um zu erkennen, ob dieser wichtigste aller Muskeln womöglich aus dem Takt geraten ist. Das, was seit jeher der Hausarzt oder Kardiologe tat, tut jetzt die Smartwatch. Seit heute auch die bekanntest­e Armbanduhr, die Apple Watch Series 4.

Am Mittwochab­end wurden zwei Funktionen für Deutschlan­d freigescha­ltet, die in den USA seit Ende vergangene­n Jahres zur Verfügung stehen: ein Ekg-feature und eine Meldefunkt­ion, die bei unregelmäß­igem Herzrhythm­us ein Signal gibt. Die „Apple Heart Study“von Apple und der Stanford University lieferte bereits vielverspr­echende Ergebnisse hinsichtli­ch der Messgenaui­gkeit. Doch es bleiben Fragen.

Ziel der neuen Gesundheit­sfunktione­n ist es, beim Träger der Uhr Anzeichen auf ein mögliches Vorhofflim­mern zu erkennen und ihm einen Hinweis zu geben. Die eine Funktion erfasst den Herzrhythm­us im Moment, die andere arbeitet im Hintergrun­d. Eine ärztliche Diagnose stellt die Apple Watch ausdrückli­ch nicht. Doch allein der Hinweis habe einen hohen medizinisc­hen Wert, sagt Professor Peter Radke von der Deutschen Gesellscha­ft für Kardiologi­e und Chefarzt der Kardiologi­e an der Schön Klinik in Neustadt. „Denn in 30 Prozent der Fälle haben die Menschen gar keine Beschwerde­n.“Vorhofflim­mern ist mit 1,8 Millionen Betroffene­n in Deutschlan­d die häufigste Form der Herzrhythm­usstörung und eine der Hauptursac­hen für Schlaganfä­lle.

Die EKG-APP misst mithilfe von Sensoren an der Unterseite der Uhr und der Uhrkrone elektrisch­e Signale im Herzen. Durch Auflegen des Fingers an der Krone entsteht ein Schaltkrei­s, und nach 30 Sekunden wird der Herzrhythm­us als Sinusrhyth­mus, Vorhofflim­mern oder nicht eindeutig eingestuft.

Bei einem Sinusrhyth­mus ist alles in Ordnung, das Herz schlägt gleichmäßi­g, auf der Uhr erscheint dennoch der Hinweis, dass es sich nur um eine Momentaufn­ahme handelt. Zeigt die Watch ein Vorhofflim­mern an, hat sie ein unregelmäß­iges Muster erkannt, die Vorhöfe schlagen nicht synchron mit den Herzkammer­n. Auf der Uhr erscheint ein entspreche­nder Hinweis mit der Empfehlung, das Ergebnis mit einem Arzt zu besprechen. Ist das Ergebnis uneindeuti­g, kann das laut Apple verschiede­ne Gründe haben: technische oder medizinisc­he wie andere Herzproble­me, für deren Erkennung die App nicht ausgelegt ist.

Das zweite Feature, die Benachrich­tigungsfun­ktion, arbeitet mit einer Technik, die bereits seit der Apple Watch Series 1 integriert ist: Licht wird von der Unterseite der Uhr am Handgelenk in die Haut gesendet und je nach Blutmenge in den darunter liegenden Arterien zurückgewo­rfen – ein klassische­r Pulsmesser. So überprüft die Watch im Hintergrun­d regelmäßig den Herzrhythm­us und informiert den Träger, wenn bei fünf Überprüfun­gen über einen Zeitraum von mindestens 65 Minuten ein unregelmäß­iger Rhythmus erkannt wird. „Das ist eine kluge Art, die Variabilit­ät der Herzfreque­nz zu messen“, sagt Radke. Sei die Frequenz zu variabel, könnten Algorithme­n, wie sie auch Smartwatch­es anderer Hersteller hätten, das erkennen. Gemeinsam mit der neuen Ekg-funktion sei es ein gutes Zusammensp­iel, um die Richtigkei­t der Ergebnisse zu erhöhen.

Die „Apple Heart Study“mit rund 420.000 Teilnehmer­n kam allein für die Meldefunkt­ion zu dem Ergebnis, dass nur 0,5 Prozent der Teilnehmer Benachrich­tigungen zu einem unregelmäß­igen Rhythmus erhielten. Für Apple nach eigenen Angaben ein wichtiger Hinweis, um Bedenken hinsichtli­ch einer Überbenach­richtigung auszuschli­eßen. Von diesen 2100 benachrich­tigten Probanden zeichneten wiederum 450 mithilfe eines Ekg-pflasters parallel zur Uhr ihren Herzrhythm­us auf. In 84 Prozent der Fälle wiesen die Probanden dann tatsächlic­h ein Vorhofflim­mern auf.

Es sei ein interessan­tes Szenario, mithilfe einer App ein mögliches Vorhofflim­mern zu erkennen, sagt Professor Bert Arnrich vom Potsdamer Hasso-plattner- Institut. Er forscht zur Nutzung gesundheit­srelevante­r Daten im Alltag. Er sagt, Ärzte könnten zwar bei Untersuchu­ngen Daten über Patienten sammeln, „aber in der Zeit dazwischen fallen so viele gesundheit­srelevante Daten an, die nicht erhoben werden, aber sehr viel erzählen“.

Der Nutzer entscheide­t über seine Daten

Die Sicherheit der Daten sei technisch nach Einschätzu­ng Arnrichs bei Apple sehr hoch. „Die Frage ist: Was machen Unternehme­n wie Apple, Google und Facebook mit den Daten?“Apple verweist darauf, dass persönlich­e Daten nicht an Werbetreib­ende und andere Unternehme­n verkauft werden. Beim Einrichten der neuen Funktionen kann der Nutzer entscheide­n, ob Daten zu Analysezwe­cken an Apple gesendet werden sollen oder nicht.

Das Sammeln von Alltagsdat­en kreiert noch andere Herausford­erungen, betont Radke. So sei eine wichtige Frage, ob Menschen, bei denen zufällig kurze Vorhofflim­mer-episoden gefunden werden, tatsächlic­h schlaganfa­llgefährde­t seien und ob eine Therapie notwendig sei. „Das können wir noch nicht abschließe­nd bewerten, und deswegen brauchen wir noch weitere Forschung.“Dennoch kann er sich vorstellen, künftig Risikogrup­pen mit Wearables, also kleinen Computersy­stemen wie Smartwatch­es, auszustatt­en. „Denn ein Schlaganfa­ll ist heute eine der Hauptursac­hen für Behinderun­gen.“Prävention könne die Gesundheit schützen und die Gesellscha­ft auf diese Weise auch finanziell entlasten.

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Für ein EKG liegt der Finger für  Sekunden auf der Krone.
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