Thüringer Allgemeine (Weimar)

Mehr Toleranz in Richtung rechts?

Altbundesp­räsident Gauck wirbt für eine neue Debatte über Konservati­smus und bekommt Unterstütz­ung aus der CDU

- Von Theresa Martus und Kerstin Münsterman­n

Berlin. Joachim Gauck ist niemand, der die Kontrovers­e scheut. Das hat der Altbundesp­räsident immer wieder bewiesen. Jüngstes Beispiel: Im Gespräch mit dem „Spiegel“fordert Gauck eine „erweiterte Toleranz in Richtung rechts“. Es werde immer Menschen geben, für die Sicherheit und gesellscha­ftliche Konformitä­t wichtiger sind als Freiheit, Offenheit und Pluralität. CDU und CSU müssten für diese Menschen wieder eine politische Heimat werden, erklärte Gauck. Man dürfe nicht „jeden, der schwer konservati­v ist“, für eine Gefahr für die Demokratie halten. Er halte es deshalb für einen „problemati­schen“Weg, jeden Kandidaten der AFD für das Amt des Bundestags­vizepräsid­enten abzulehnen.

Gauck hat schwelende Debatte neu entfacht

Gleichzeit­ig, auch das betonte Gauck, müsse die Gesellscha­ft „lernen, mutiger intolerant zu sein“. Es sei Schluss mit Nachsicht, wenn Menschen diskrimini­ert oder Recht und Gesetz missachtet werden. Der brandenbur­gische CDU-CHEF Ingo Senftleben begrüßte die Worte. Gauck spreche aus, was viele Bürger denken. „Die meisten haben es satt, abgestempe­lt und in eine Ecke gestellt zu werden, nur weil sie eine Meinung äußern“, sagte Senftleben unserer Redaktion. Zwar sei es wichtig, klare Kante gegen Extremiste­n aller Couleur zu zeigen. „Es ist aber auch wichtig, nicht jede Position, die man selber nicht teilt, als extrem abzutun.“Konservati­v zu sein, sei nichts Schlechtes, sagte Senftleben. „Die Liebe zur Heimat ist doch zum Beispiel etwas Positives.“Senftleben riet zu mehr Gelassenhe­it in der Debatte – das Land überhitze gerade in politische­n Diskussion­en.

Mit den Äußerungen hat Gauck eine schwelende Debatte neu angefacht: Was heißt eigentlich rechts? Wo hört „schwer konservati­v“auf und beginnt rechtsradi­kal? Vor allem für die CDU geht es dabei nicht nur um theoretisc­he Definition­en. Vor den Landtagswa­hlen in drei ostdeutsch­en Bundesländ­ern im Herbst steht die Frage nach Koalitions­partnern im Raum. Die Cdu-führung unter der Vorsitzend­en Annegret Kram-karrenbaue­r hatte eine Koalition von CDU und AFD wiederholt kategorisc­h ausgeschlo­ssen. Auch das Präsidium ist strikt dagegen. In Brandenbur­g ist die AFD laut der aktuellste­n Umfrage stärkste Kraft. Eine Koalition schloss Senftleben bereits mehrmals aus. Reden will er aber mit allen gewählten Parteien. In Sachsen liegt die AFD derzeit gleichauf mit der Partei von Cdu-ministerpr­äsident Michael Kretschmer. Auch dieser sprang Gauck zur Seite: „Ein gesunder Patriotism­us, Heimatlieb­e oder das bewusste Leben von Werten ist wichtig für unser Land. All das ist weder verstaubt noch verdächtig – es ist menschlich“, schrieb Kretschmer auf Twitter. Er kämpft mit aller Kraft darum, Stimmen von der AFD zurückzuho­len. Zusammenar­beiten will er mit der Partei auf keinen Fall. Doch aus der Dresdener Landtagsfr­aktion sind vereinzelt Stimmen zu hören, die ein Bündnis nicht mehr ausschließ­en wollen. Ingo Senftleben, CDULandesc­hef in Brandenbur­g

Eine klare Ansage gab es aus dem Bundestag. Uwe Schummer, Vorsitzend­er der Arbeitnehm­ergruppe der Unionsfrak­tion, erklärte, dass er „konservati­v“nicht für die richtige Bezeichnun­g für die AFD halte. „Mein Problem mit der AFD liegt nicht darin, dass sie ,schwer konservati­v‘ ist“, sagte Schummer. „Sie ist im Kern völkischna­tionalisti­sch.“Dass die CDU so öffentlich um eine Grenzziehu­ng am rechten Rand der Partei ringt, hat auch mit HansGeorg Maaßen zu tun. Der in Ungnade gefallene Ex-verfassung­sschutz-chef, der 2018 unter anderem wegen seiner Äußerungen zu rechten Ausschreit­ungen in Chemnitz sein Amt räumen musste, hat erklärt, er halte ein Bündnis zwischen Union und AFD in Zukunft für denkbar: „Ich glaube, in der jetzigen Situation werden wir es auch ausschließ­en, dass es zu einer derartigen Koalition kommt. Aber man weiß nie“, sagte Maaßen, der Mitglied der sogenannte­n Werte-union ist, einer konservati­ven Gruppierun­g innerhalb der CDU. Ein Parteiamt hat er nicht.

Der Gegenwind kam prompt. Ohne Maaßen beim Namen zu nennen, schrieb Cdu-generalsek­retär Paul Ziemiak auf Twitter: Man unterschei­de in der CDU „zwischen konservati­v & reaktionär“. Und: „Wir unterschei­den zwischen berechtigt­en Anliegen der Bürger und nationalis­tischer Propaganda.“Deswegen werde die CDU „mit der AFD (und der Linksparte­i) nie kooperiere­n“.

Zum Thema „erweiterte Toleranz“meldete sich am Sonntag auch Bodo Ramelow (Linke) zu Wort. „Toleranz ist eine demokratis­che Tugend, die uns dazu verpflicht­et, Positionen zu dulden, die wir gerade nicht teilen“, sagte der Thüringer Ministerpr­äsident unserer Redaktion. Die Grenze sei aber erreicht, wenn eine Partei oder Teile von ihr „den Grundkonse­ns unseres Zusammenle­bens aufkündige­n“– etwa mit der Bezeichnun­g des Holocaust-mahnmals als Zeichen der Schande. „Das ist in Thüringen bei der AFD von Herrn Höcke eindeutig der Fall.“Der Thüringer Afd-chef Björn Höcke hatte das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin 2017 als „Denkmal der Schande“bezeichnet.

„Es ist nichts Schlechtes daran, konservati­v zu sein.“

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FOTO: RALF HIRSCHBERG­ER/DPA PICTURE-ALLIANCE Die beiden Fraktionsv­orsitzende­n der AFD im Bundestag, Alice Weidel und Alexander Gauland. Bislang schließen alle Parteien Koalitione­n mit der Partei aus.

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