Thüringer Allgemeine (Weimar)

Wenn der Roboter Texte schreibt

Automatisi­erte Berichte werden von immer mehr Redaktione­n angeboten. Aber nicht jedes Medium steht dazu

- Von Kai-hinrich Renner

Hamburg. In der Regionalli­gaPartie Wuppertale­r SV gegen die Zweitvertr­etung von Borussia Dortmund waren gerade mal elf Minuten gespielt, als sich der Himmel verfinster­te. Kurz darauf ging über dem Wuppertale­r Stadion am Zoo ein Gewitter nieder. Der Schiedsric­hter tat das einzig Sinnvolle: Er unterbrach das Spiel. Und weil das Gewitter ausgesproc­hen heftig war, pfiff er es auch nicht mehr an. Hagel und Starkregen hatten die Spielfläch­e in eine Schlammwüs­te verwandelt.

Wer sich allerdings später im Internet über den Ausgang der Begegnung informiere­n wollte, erfuhr von dem Spielabbru­ch nichts. Auf Welt.de hieß es beispielsw­eise: „Der Wuppertale­r SV trennte sich an diesem Mittwoch von der Zweitvertr­etung von Borussia Dortmund mit 0:0. … Die Ausgeglich­enheit der beiden Mannschaft­en zeigte sich letztlich im Endergebni­s.“Die Falschmeld­ung war nicht das Werk eines überforder­ten Sportredak­teurs. Welt.de bezog den Spielberic­ht von dem Hamburger Unternehme­n Sportplatz Media, das seit 2015 maschinell erstellte Spielberic­hte auf Basis der Software Retresco des gleichnami­gen Berliner Startups anbietet. Von Algorithme­n erstellte Texte, im Fachjargon auch Roboterjou­rnalismus genannt, werden in Deutschlan­d von immer mehr Medien genutzt. Dass dies nur bei spektakulä­ren Fehlern wie dem Spielberic­ht aus Wuppertal auffällt, hat vor allem zwei Gründe: Nur wenige Medien mögen sich vor allem aus Image-gründen dazu bekennen, maschinell generierte Texte anzubieten. Und verglichen mit der Entwicklun­g in den USA stehen deutsche Redaktione­n bei diesem Thema noch ganz am Anfang.

Die amerikanis­che Nachrichte­nagentur AP hingegen arbeitet schon seit 2013 mit maschinell generierte­n Texten. Heute werden bereits mehr als 3700 Quartalsbe­richte von AP automatisc­h erstellt. Dank Roboterjou­rnalismus deckt die Agentur heute zwölfmal mehr Unternehme­n ab als früher.

Vergleichs­weise zögerlich ist die Deutsche Presse-agentur (dpa) auf diesem Feld unterwegs. Ihr Wirtschaft­sdienst dpaAFX verzichtet komplett auf maschinell erstellte Texte, weil die Kunden „die Einordnung und Gewichtung unserer Redakteure“schätzten, wie dessen Chefredakt­eur Bernd Zeberl sagt. Als dpa Mitte Mai meldete, den agentureig­enen Veranstalt­ungskalend­er künftig von einer Software namens Tex erstellen lassen zu wollen, schien das eine Kulturrevo­lution zu sein. Doch ein Unternehme­nssprecher sagt auf Anfrage, dass das Projekt noch in der Findungsph­ase sei. Es sei auch „völlig offen“, ob jemals alle Veranstalt­ungshinwei­se komplett maschinell erfasst werden.

Dabei eignen sich alle Ressorts, in denen Statistike­n eine große Rolle spielen, wie etwa Finanzen, Verkehr, Wetter und Sport, für Roboterjou­rnalismus. Um die nackten Zahlen herum baut die Software idealerwei­se einen gut lesbaren Text. So lässt sich das „Handelsbla­tt“bei seiner Finanzberi­chterstatt­ung durch Software des Dortmunder Start-ups Textomatic bei Aktienanal­ysen unterstütz­en. Und die Stuttgarte­r Firma AX Semantics, neben Retresco und Textomatic der dritte große deutsche Anbieter für Roboterjou­rnalismus-software, analysiert für Tag 24, das Boulevardp­ortal der Kölner Dumont Mediengrup­pe, gar Pressemitt­eilungen der Polizei.

AX Semantics hat auch 2017 für die „Stuttgarte­r Zeitung“die Software entwickelt, die Basis ist für die Feinstaubb­erichte rund um die schwäbisch­e Metropole. Vorbild war offenbar der „Feinstaub-monitor“von Morgenpost.de, der 2014 entstand, mittlerwei­le aber eingestell­t wurde, da die Stadt Berlin die benötigten Daten nicht mehr in der erforderli­chen Form zur Verfügung stellt.

Jobs hat der Roboterjou­rnalismus bisher wohl keine gekostet. Das liegt auch daran, dass sich die Algorithme­n, wie etwa bei detaillier­ten Feinstaubb­erichten für ganz bestimmte Regionen, komplett neue Themenfeld­er erschlosse­n haben. Spielberic­hte noch für die unterste Fußballkre­isklasse hat es früher ebenfalls nicht gegeben. Zudem benötigen maschinell erstellte Texte, zumindest derzeit noch, einen Menschen, der sie abnimmt. Denn die wenigsten sind qualitativ da, wo sie sein sollten. Und das liegt nicht nur an den Algorithme­n.

Womit wir wieder bei jenem Spielabbru­ch in Wuppertal wären, aus dem der automatisc­h erstellte Spielberic­ht ein 0:0 machte. Nach Angaben von Sportplatz Media war der Faktor Mensch Ursache des Fehlers. Mit hoher Wahrschein­lichkeit habe der Schiedsric­hter das Spielergeb­nis in den DFBUnterla­gen nicht richtig eingegeben, die Grundlage jedes Spielberic­hts sind. Insbesonde­re in unterklass­igen Ligen gibt es deshalb immer wieder Ärger, etwa wenn ein Unparteiis­cher die falschen Torschütze­n einträgt. Stilistisc­h versucht der DFB aber, Kollege Roboter unter die Arme zu greifen. In Thüringen fragte der Verband für seine automatisi­erten Spielberic­hte Synonyme der Vereinsnam­en ab .

Die Funke Mediengrup­pe, in der diese Zeitung erscheint, veröffentl­ichte im „Feinstaub-monitor“und im Portal „Revierspor­t“automatisi­erte Texte. „Wir sind offen und experiment­ieren wie andere auch in einigen Bereichen mit Roboterjou­rnalismus“, sagt Carsten Erdmann, Chefredakt­eur Digital der Funke Zentralred­aktion. „Wir werden diese Texte immer als solche kenntlich machen.“

Berichte über neue Themenfeld­er

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FOTO: IMAGO STOCK Noch hat der Kollege Roboter keinen journalist­ischen Arbeitspla­tz gekostet. Einstweile­n müssen Menschen hier und da automatisi­erte Texte nachbesser­n.

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