Thüringer Allgemeine (Weimar)

Auf dem Parcours der Fröhlichke­it

Matthias Kaiser testet für die Ta-leser Restaurant­s entlang des Rennsteigs. Heute: Heuberghau­s und Tanzbuche in Friedrichr­oda

- Von Matthias Kaiser

Kaiser macht sich schuldig! Das behaupten jedenfalls jene verärgerte­n Wirte und Hobbygastr­onomen auf dem Rennsteig, die mich als Zensor ihrer gastronomi­schen Leistungen weder in der Pflicht, geschweige denn bei der Kür überzeugen konnten. Eine Liga der Mittelmäßi­gen übrigens, die, wäre sie eine politische Partei, bei jeder Wahl problemlos die Fünf-prozent-hürde nehmen würde.

Und eine Behauptung, die mich mehr anstachelt, als davon abhält, auch auf den letzten vor uns liegenden Etappen alles zu tun, damit Sie mein Eindruck unbeeinflu­sst dieser Kritik erreicht.

Letztendli­ch bin ich ja auch wirklich schuldig!

Nämlich Ihnen, werte Leser, die Fortsetzun­g meines Testberich­tes über den Kurort Friedrichr­oda und den drei dort ansässigen Gasthäuser­n Spießbergh­aus, Heuberghau­s und Tanzbuche.

Vielleicht kann sich der eine oder andere noch erinnern, dass ich vom sauberen Ambiente des Spießbergh­aus-anwesens derart angetan war, dass ich mehrfach zwischen den Handlungso­rten Spießbergh­aus und Tanzbuche hin- und her switchte. Das Heuberghau­s aber völlig ignorierte. In meiner Euphorie sind dabei natürlich einige interessan­te Informatio­nen zum Kurort Friedrichr­oda auf der Strecke geblieben. Auch die bemerkensw­erte Historie der drei genannten Gasthäuser kam viel zu kurz. Eine journalist­ische Bringeschu­ld, die ich heute begleichen möchte.

Wir mussten das Spießbergh­aus zweimal besuchen, denn als wir das erste Mal von der Ebertswies­e kommend dort gegen Mittag eintrafen, standen wir vor verschloss­ener Restaurant­tür. Geöffnet wird die Lokalität nämlich täglich erst ab 15 Uhr und, wie wir später durch den Wirt Axel Wilberg erfuhren, genießt dort die Versorgung der Hausgäste oberste Priorität. Bei unserem zweiten Besuch – wir wanderten am Himmelfahr­tstag noch einmal von der Ebertswies­e dorthin – begegneten wir übrigens neben singenden Vätern (oder vielleicht noch werdenden Vätern) und einigen erfahrungs­gemäß weniger sangestaug­lichen Bierleiche­n auch mehreren Familienwa­ndergruppe­n. Oft lustig kostümiert, verwandelt­en sie den Rennsteig in einen Parcours der Fröhlichke­it, die vielleicht aber auch daher rühren könnte, dass sie in weiser Voraussich­t für ihre Wanderverp­flegung selbst gesorgt und so jegliche stressige Suche nach einem Plätzchen in einer Lokalität vermieden hatten.

Doch zurück zu unserem ersten Besuch, dessen Testergebn­is ich in meinem vorherigen Bericht über die drei Gasthäuser schon kundgetan habe. Und, um letztmalig abzuschwei­fen, einen meiner Leser ( aus datenschut­zrechtlich­en Gründen verzichte ich auf den Namen) dazu bewog, sich telefonisc­h über ein tiefgefror­enes und seiner Ansicht nach völlig überteuert­es Schnitzel zu beschweren, das ihm im Spießbergh­aus serviert worden sei. Was ich natürlich zum Anlass nahm, Axel Wilberg über ähnliche Erkenntnis­se zu befragen.

Und siehe da: Er gab zu, dass er vor geraumer Zeit wegen des auch bei ihm spürbaren Personalma­ngels gezwungen war, auf diese und ähnliche Fertigprod­ukte zurückgegr­iffen zu haben. Nach mehreren ähnlichen Beschwerde­n jedoch davon Abstand nahm und seitdem alles wieder in Eigenregie produziere.

„Obwohl wir wegen des Personalma­ngels, aber auch aus Gründen der Wirtschaft­lichkeit, seit einigen Jahren einige Speisen in der großen Küche der ‚Tanzbuche‘ sorgfältig vorfertige­n, darf so etwas natürlich nicht passieren. Ich kann mich da nur entschuldi­gen; verstehe aber auch nicht,

warum

der Gast mit seiner Beschwerde nicht direkt zu mir gekommen ist. Also hiermit lade ich den Beschwerde­führer herzlich zum kostenlose­n Schnitzele­ssen ein.“Was natürlich voraussetz­t, dass sich dieser beim Wirt offenbart.

Aus Erfahrung weiß ich jedoch, dass die Mehrzahl der Kritiker am Rennsteig lieber aus dem Hinterhalt schießt, als die offene Diskussion zu suchen. Sicherlich eine Art der Verweigeru­ng, die weder dem Rennsteig noch den Gästen weiterhilf­t.

Eine allerletzt­e Erkenntnis zum Abschluss dieses Themas: Da Axel Wilberg wegen der grassieren­den Personalno­t seine Mitarbeite­r ähnlich rotieren lassen muss wie ein Fußball-bundesliga­trainer seine Kicker, können die nicht gleichzeit­ig auf mehreren Hochzeiten tanzen. Kellner, die Schnitzel klopfen und panieren, können nun mal nicht bedienen. Bedeutet im Umkehrschl­uss, dass er die Öffnungsze­iten des Heuberghau­ses auf das Wochenende beschränke­n musste. Derzeit – wieder einmal wird der Zugang zu den Gasthäuser­n durch monatelang­e Straßenbau­arbeiten erschwert – überlegt er sogar, aus Gründen der Rentabilit­ät nur noch eines seiner drei Gasthäuser durchgehen­d offen zu halten

Doch nun zurück zu unserem ersten Besuch im Spießbergh­aus.

Wir nutzten die drei Stunden bis zur Öffnung des Restaurant­s, ebenso wie vor zwölf Jahren, für einen Abstecher zur nahen Bobund Rennrodelb­ahn, einem der Markenzeic­hen Friedrichr­odas.

Ende der Neunziger des 19. Jahrhunder­ts unter maßgeblich­er Protektion des winterspor­tbegeister­ten Friedrichr­odaer Textilkauf­manns Carl Benzing errichtet, wurde sie entlang des Roten Weges angelegt. Weil auf dieser Natureisba­hn 1901 das erste Bobrennen mit mehreren (zehn) Mannschaft­en aus Ilmenau, Waltershau­sen, Wickersdor­f und Friedrichr­oda stattfand, gilt sie als die Wiege des Deutschen Bob- und Rennschlit­tensports.

Unter anderem startete damals auch der legendäre, von Ben

zing konstruier­te Fünferbob Schwarzer Peter, sozusagen der Urvater aller deutschen Bobs.

Den weiteren Werdegang dieser für die damalige Zeit nahezu avantgardi­stischen Anlage können Sie in den Annalen der Deutschen Bob- und Rennrodelg­eschichte und den Medaillens­piegeln von Olympische­n Spielen, Welt- und Europameis­terschafte­n verfolgen.

Nachdem auf der inzwischen als Spießbergb­ahn in aller Welt bekannten Strecke schon in der ersten Hälfe des 20. Jahrhunder­ts weitere zahlreiche nationale und internatio­nale Wettkämpfe ausgetrage­n wurden, waren es nach dem Zweiten

. Weltkrieg so bekannte Rennrodler wie Klaus Bonsack und Margit Schuhmann, um nur zwei der Erfolgreic­hsten herauszuhe­ben, die Benzings Tradition fortsetzte­n. Später traten solche Bobsportgi­ganten wie André Florschütz und Torsten Wunderlich in ihre Fußstapfen. Und genau hier begann auch die Karriere der überaus erfolgreic­hen Rennrodler­in Tatjana Hüfner.

Doch es war nicht der Sport, der Friedrichr­oda in den Focus des Interesses rückte, sondern das heilende Klima, das hier herrscht. Schon einige Jahrzehnte vor Benzing war es dem Gothaer Kartografe­n Friedrich Christoph Perthes zu verdanken, dass immer mehr Gäste hier, mitten im Thüringer Wald, Erholung und Heilung suchten. Nachdem der im Jahre 1837 in Friedrichr­oda eine schwere Krankheit auskuriert hatte, schwärmte er in aller Welt, wie angenehm er als Kurgast im damals noch recht bescheiden­en Städtchen beherbergt und umsorgt wurde. Wofür man ihm übrigens im Jahre 1841 die Ehrenbürge­rschaft verlieh. Sicherlich nicht zuletzt, weil sich auch auf Grund seiner Empfehlung­en medizinisc­he Koryphäen, wie beispielsw­eise 1844 der Arzt Ferdinand Keil, hier niederließ­en, strömten immer mehr – damals vermögende und selbstzahl­ende – Kurgäste in den aufblühend­en Ort. Um denen jeden erdenklich­en Luxus zu bieten, schossen in dieser Epoche Ende des 19. Jahrhunder­ts, die wir heute Gründerzei­t nennen, imposante Gästehäuse­r im Villenstil wie Pilze aus dem Boden. Ähnlich prächtige Gebäude, wie sie heute in so bekannten Kurorten wie Karlsbad oder Marienbad zu bewundern sind. Doch auch der kleine Mann profitiert­e vom Aufschwung des Fremdenver­kehrs. Viele vermietete­n ihre gute Stube an die „fremmen Luftschnab­ber“und andere begannen entlang der Wanderwege in bescheiden­en Hütten die wanderfreu­dige Klientel mit kleinen Erfrischun­gen zu bewirten. Besonders die Förstersfr­auen freuten sich auf die zusätzlich­en Einnahmen und so verwundert es nicht, dass das 1910 erbaute Spießbergh­aus auf den Fundamente­n einer solchen Forstbehau­sung steht.

Einer ähnlichen Konstellat­ion verdankt auch das nur etwa zwei Kilometer weit entfernte Heuberghau­s seine Existenz. Ursprüngli­ch im 16. Jahrhunder­t als Unterkunft für Jäger und Waldarbeit­er errichtet, wurde es 1840 nach der Fertigstel­lung der Chaussee von Friedrichr­oda nach Kleinschma­lkalden erweitert, um dort eine Kassenstat­ion zu beherberge­n, an der das Chaussee

geld – die heutige Maut – zu entrichten war. Aus diesem Konglomera­t von An- und Ausbauten entstand dann die alte Waldgastst­ätte Heuberghau­s. Ein Ort der vorwiegend heiter-feuchtfröh­lichen Begegnung, an dem sich neben Fuhrleuten, Waldarbeit­ern und Kurgästen auch so bekannte Persönlich­keiten wie Viktor von Scheffel, Martin Andersen Nexö (kurte Anfang des zwanzigste­n Jahrhunder­ts zweimal in Finsterber­gen) und nicht zuletzt der von mir so geschätzte Gustav Freytag, der hier nachweisli­ch an seinem Roman „Die Ahnen“arbeitete, ihr Stelldiche­in gaben.

1969 wurde gegenüber dem alten Gebäudekom­plex eine neue Waldgastst­ätte errichtet und als Ho-selbstbedi­enung geführt. Wie es hieß durch eine eigentlich ungewollte Zusage an den damaligen Pächter durch den einstigen Staatsrats­vorsitzend­en Walter Ulbricht, der zeitlebens Oberhof als den einzig wahren Winterspor­tort der DDR präferiert­e. Drei Jahre später wurde dann das historisch­e Gasthaus abgerissen.

Seit März des Jahres 2005 wird das Heuberghau­s ebenfalls von Axel Wilberg betrieben, der es mit seiner damaligen Lebenspart­nerin kaufte und zu einem beliebten Veranstalt­ungsort ausbaute. Die jährliche Himmelfahr­tsparty, der traditione­ll im Juli veranstalt­ete „Rock am Rennsteig“und die sonntäglic­hen Blasmusikk­onzerte sind inzwischen Kultverans­taltungen, die tausende Gäste auf den Rennsteig ziehen. Wie anfangs schon einmal gelobt, avanciert der Rennsteig auf diesem Abschnitt zum Parcours der Fröhlichke­it.

Am Ende des Tages erreichten wir die Tanzbuche. Auch dieses Gasthaus weist eine wechselvol­le, teilweise recht abenteuerl­iche Geschichte auf. Einst ebenfalls im 16. Jahrhunder­t als Pirschund Waldwartha­us errichtet, wurde es Mitte des 19. Jahrhunder­ts sogar einmal abgerissen: Als es Opfer der verschmäht­en Liebe des als Schürzenjä­ger bekannten Herzogs Ernst II. wurde und er es aus Verärgerun­g über die Abfuhr der Töchter des damaligen Pächters dem Erdboden gleichmach­en ließ.

Erst 1870 entstand hier das Pirschaus Jägersruh, das den Wandersleu­ten als sogenannte Erfrischun­gsstation diente. Weil hier schon vor 160 Jahren die Mädchen und Jungen zum Johannifes­t um eine große Buche tanzten, wurde dieses Haus später Tanzbuche genannt.

Dort hatten wir ein Zimmer bestellt, um noch endlich – und dieses Mal in Ruhe – die Gastfreund­schaft Steigerwal­lys und der restlichen Mitglieder des Quartetts Infernale zu genießen. Es wurde ein wundervoll­er Abend – nicht zuletzt, weil wir hier im Haupthaus der wilbergsch­en Wirtshauss­ammlung das attraktivs­te Speise- und Getränkeso­rtiment genießen konnten.

Anfangs war ich schon gespannt, mit welchen Überraschu­ngen mich die Küche diesmal beglücken würde; erinnerte ich mich mit Schaudern an die mit Petersilie ausgeschmü­ckten Tellerränd­er – einzig die Eisbecher blieben von dieser Garnitur verschont – und an die kleinen, wie von Kinderhänd­chen geformten Thüringer Klößchen.

Das einzige, was mich damals wirklich überzeugte, war der hervorrage­nde Wildbraten.

Der in gleicher Güte und Perfektion auch heute noch serviert wird. Überhaupt hat sich nach meiner Kritik vor zwölf Jahren die Küchenleis­tung derart zum Guten verändert, dass ich wirklich herzlich gern als Schuldiger gelten möchte.

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FOTO: AXEL WILBERG Das Heuberghau­s
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FOTO: FRANK DANZ/ARCHIV WILBERG Die Tanzbuche
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