Bahn lässt Weimars Hauptbahnhof nicht erst seit Ostern hängen
Inzwischen sind schon zwei Aufzüge defekt. Die Bahn hebt die Hände: Ersatzteile gibt es nur als Einzelanfertigung
19. Juni 1919. „Volkszeitung für Sachsen-weimar-eisenach“, 14. Jahrgang:
Die Christliche Volkspartei hielt vor einigen Tagen im Stadthaussaal eine Versammlung ab, in der Domkapitular Leicht aus Bamberg einen Vortrag über den Religionsunterricht in der Schule und über die Einheitsschule hielt. Nach dem Vortrag gelangte eine Entschließung zur Annahme, worin es u.a. heißt: „Die von der Christlichen Volkspartei in den großen Stadthaussaal in Weimar berufene, zahlreich besuchte Volksversammlung erhebt schärfsten Einspruch gegen die Vergewaltigung, die durch Einführung der konfessionslosen Zwangs-einheitsschule der Gewissensfreiheit und dem Recht der Eltern, ihren Kindern eine religiöse Erziehung zu sichern, zugefügt wird . . .“ Weimar. Es war Ostern, als sich Sigrid Bückert aus Kassel das erste Mal in Weimar ärgerte. Sie war mit ihrem gehbehinderten Sohn bei Gabriele Träger zu Besuch. Doch als sie die Rückfahrt antreten wollte, standen Mutter und Sohn vor einem defekten Aufzug zu Gleis 3 und 4: Keine Chance, noch den Zug zu erreichen, geschweige denn den Anschluss in Erfurt. Das schöne Osterfest war vermiest. Wenn diese schlechte Erfahrung für etwas gut war, dann als Warnung für den jüngsten Weimar-besuch: Sigrid Bückert reiste nach einem Telefonat mit Frau Träger diese Woche allein nach Weimar, denn acht Wochen nach Ostern ist der Aufzug weiter defekt.
Das Versprechen der Bahn an ihre Kunden war freilich ein anderes: Laut Info-schreiben an der Fahrstuhltür sollte der Aufzug seit mehr als einer Woche wieder in Betrieb sein. Eingetreten ist das Gegenteil. Jetzt vertröstet die Bahn auf die 28. Kalenderwoche – das ist die zweite Juli-woche – und das gleich für zwei Aufzüge. Denn seit einer Woche ist auch der Aufzug zu Gleis 1 und 2 defekt. Den Frust der Reisenden oder der Reisewilligen über diesen Zustand müssen die BahnhofMitarbeiter ausbaden. Nicht selten „trifft es allerdings auch andere, die irgendwie nach Bahn aussehen“, ärgert sich eine Zugbegleiterin von Abellio.
Existenziell ist die Situation für Sebastian Görbert aus Tannroda. Der 21-Jährige fährt mit dem Triebwagen der Erfurter Bahn täglich nach Weimar zu einem Ausbildungstraining. Weil die Ilmtalbahn auf Gleis 1 und 2 ankommt bzw. abfährt, kann er ohne Aufzug den Bahnsteig nicht mehr verlassen, denn er ist auf einen E-rollstuhl angewiesen. So verlässt der junge Mann den Zug bereits in Wei
Weimar. mar-west und fährt im Rollstuhl quer durch die Stadt zum Grone-bildungszentrum im einstigen Weimar-werk. Um die 30 Minuten dauert eine Tour, berichtet er auf eine Anfrage der Redaktion. Seine Mutter weiß: „Bei Sommerwetter mag das noch gehen. Aber bei Regen ist das eine Zumutung, zumal der Stadtbus für ihn als Alternative auch nicht zur Verfügung steht.“
Keine Ersatzteile für 20 Jahre alte Aufzüge
Die Beschwerden über den Zustand am Bahnhof haben längst auch die Stadtspitze erreicht. Bürgermeister Ralf Kirsten bezeichnet den Zustand und seine zeitliche Dauer in einem Brief an die Verantwortliche für die Bahnhöfe in Thüringen als unhaltbar. Er habe von der Bahn eine umgehende Lösung verlangt, sagte er auf Anfrage der Redaktion.
Bahn-sprecher Jörg Bönisch erklärt das Dilemma so: „Der defekte Aufzug ist ein älteres Modell, für den keine Ersatzteile mehr geliefert werden können. Fallen dort Teile aus, müssen mehrere Firmen angeschrieben und Angebote für die Einzelanfertigung zum Ersatz der defekten Bauteile eingeholt werden. Diese Angebote werden geprüft, die Einzelanfertigung beauftragt und dann eingebaut. Die Beauftragung in Weimar ist erfolgt. Jedoch liegen uns noch nicht alle Teile zum Einbau vor.“
Abhilfe auf Dauer schaffen nur neue Aufzüge. Laut Bönisch sollen sie in Weimar 2020 und 2021 eingebaut werden. Die Alten haben dann bereits 20 Jahre auf dem Buckel.
Für Sebastian Görbert ist das aber keine Alternative. Seine Ausbildung, die er in Erfurt absolvieren will, kann nicht so lange warten. Dabei ist es nach Angaben von Bahnsprecher Bönisch doch so einfach: „Wir informieren über die Reparaturprognose per Aushang am Aufzug. Außerdem werden die Angaben in der Mobilitätsdatenbank aktuell gehalten. So ist gewährleistet, dass Reisende, die auf den Mobilitätsservice angewiesen sind, ihre Reisen zuverlässig planen können. Dort erhalten Menschen, die Hilfe und Unterstützung wünschen, Informationen und Hilfestellung.“
Gerade der Mobilitätsservice der Bahn hilft dem jungen Tannrodaer aber nicht zuverlässig. Die Fahrt zu einem Bewerbungsgespräch auf dem Erfurter Petersberg hatte er dort telefonisch angemeldet. Die Auskunft: Man versuche, den Zug auf Gleis 5 (mit dem letzten intakten Aufzug) zu leiten. – Der Versuch scheiterte, Sebastian Görbert verpasste sein Bewerbungsgespräch. Dass der gleiche Weg bei einem schriftlichen Eignungstest für eine andere Ausbildung funktionierte, sei reines Glück gewesen, ist der junge Mann sicher. Denn seine telefonische Anmeldung werde von Bahnseite häufig mit dem Satz beendet: Aber versprechen könne man es nicht. „Es nutzt auch nichts, sich einen Tag vorher anzumelden“, weiß seine Mutter, „weil die Einträge am nächsten Tag automatisch gelöscht sind.“
Im Internet verspricht die Bahn für Hilfen beim Ein-, Umund Aussteigen: „Auf dem Bahnhof stehen Ihnen unsere mobilen Service-mitarbeiter mit Rat und Tat zur Seite. Achten Sie auf die rote Mütze mit der Aufschrift ,Service‘. (...) Damit wir Sie optimal betreuen können, sagen Sie uns bitte rechtzeitig Bescheid.“Nirgends steht allerdings, was rechtzeitig ist. Zudem räumt Bahn-sprecher Bönisch ein: „Wir haben im Bahnhof Weimar eine/n Mitarbeiter/-in vor Ort. Einen Rollstuhl allein die Treppen hinaufzutragen, ist dieser/ diesem aber nicht möglich.“
Die einfachste aller Möglichkeiten gibt es schon lange nicht mehr: Jahrzehntelang wurden Rollstuhlfahrer über „niveaugleiche Zugänge über die Gleise“begleitet. Diese sind aber laut Bönisch aus Sicherheitsgründen nicht (mehr) vorhanden.
Junge plötzlich weg
Kranichfeld. Ein Fünfjähriger hat am Montag im Weimarer Land einen Polizeieinsatz ausgelöst. Als seine Mutter den Jungen in Kranichfeld vom Sport abholen wollte, war er bereits weg. Doch zeitnah wurde sie von einem Bekannten informiert, dass er das Kind auf dem Heimweg zwischen Kranichfeld und Rittersdorf gesehen habe. Unversehrt wurde der Steppke seiner Mutter übergeben. Wie er sich unbemerkt vom Sport entfernen konnte, ist noch unklar.
Diebin gefilmt
Weimar. Mit jetzt von einem Richter freigegebenen Fotos einer Überwachungskamera fahndet die Polizei Weimar nach einer jungen Frau, die Ende vergangenen Jahres aus dem Foyer der Uni-bibliothek einen schwarzen Daunenmantel im Wert von 600 Euro sowie graue Handschuhe für 20 Euro gestohlen hat. Trotz der schlechten Bildqualität hoffen die Ermittler, dass jemand die Frau erkennt.