Weimar als „Stadt Sicherer Hafen“
21 Professoren: Kulturstadt soll Flüchtlinge aus Seenot aufnehmen
26. Juni 1919. „Volkszeitung für Sachsen-weimar-eisenach“, 14. Jahrgang:
Eine Verschärfung des Wachtdienstes an den Zugangsstraßen zur Stadt ist am Sonntagabend wieder eingetreten. Spaziergänge, die Sonntagabend gegen 9 Uhr durch das Webicht nach Weimar zurück die Landstraße am Flugplatz vorbeigingen, wurden angehalten und nach Ausweisen gefragt. Wer keinen Ausweis hatte, durfte nicht passieren. Welchen Zweck die Maßregel hat und was deren Ursache ist, konnten wir nicht erfahren. Die Anordnung soll den Wachen erst abends ½ 9 Uhr mitgeteilt worden sei. U. E. wäre es richtiger gewesen, das Publikum vorher von derartigen Maßnahmen zu unterrichten. Weimar. Mit einem Offenen Brief an den Weimarer Stadtrat haben sich 21 Professoren der Bauhaus-universität dafür ausgesprochen, dass Weimar als erste Stadt in Thüringen der Potsdamer Erklärung beitritt.
In dem Brief heißt es: Mit der Potsdamer Erklärung haben sich über 90 Städte, darunter ostdeutsche Universitätsstädte wie Rostock, Potsdam und Greifswald, bereit erklärt, Menschen aus Seenot aufzunehmen. Sie haben sich als „Städte Sicherer Häfen“deklariert. In einer Zeit, da die Europäische Union die Meeresrettung von Flüchtlingen im Mittelmeer eingestellt hat und viele Regierungen nun auch die Seenot-rettung kriminalisierten, setze das „ein Zeichen der Solidarität und Mitmenschlichkeit“.
Die unterzeichnenden Städte signalisierten damit, dass sie über das Pflichtverteilungsverfahren hinaus, aus Seenot gerettete Menschen zusätzlich in ihrer Stadt willkommen heißen. „Als Professorinnen und Professoren der Bauhaus-universität sind uns Weltoffenheit, Internationalität, Toleranz und Solidarität sehr wichtig. Nur in einer offenen und solidarischen Atmosphäre kann die geistige Freiheit erblühen, die wir für unsere Lehre und Forschung benötigen“, heißt es in dem offenen Brief. Die Potsdamer Erklärung sei deshalb ein Zeichen, dass Weimar auch dann humanistisch bleibt, wenn andernorts die Tore vor Ertrinkenden geschlossen werden.
Die unterzeichnenden Professoren sind Prof. Dr. Frank Eckardt (Sprecher), Prof. Verena von Beckerath, Prof. Dr. Julia Bee, Prof. Dr. Ursula Damm, Prof. Dr. Jutta Emes, Prof. Jana Gunstheimer, Prof. Dr. Eva Hornecker, Prof. Dr.-ing. Jörg Londong, Prof. Johannes Kuehn, Prof. Dr. Hans-rudolf Meier, Prof. Andreas Mühlenberend, Prof. Dr. Bernd Nentwig, Prof. Dr. Jörg Paulus, Prof. Burkhart von Scheven, Prof. Dr. Henning Schmidgen, Prof. Dr. Barbara Schönig, Prof. Dr. Natalie Singer, Prof. Dr. Alexandra Toland, Prof. Dr. Christiane Voss, Prof. Dr. Max Welch Guerra, Prof. Dr. Jan Wellmann. ( red)