Thüringer Allgemeine (Weimar)

Wie Corona die Schule verändert

Eu-bildungsko­mmissarin Gabriel setzt auf mehr digitales Lernen – und kündigt dafür einen Aktionspla­n an

- Von Christian Kerl

Brüssel. Die Schul- und Unischließ­ungen wegen der Corona-pandemie stellen alle Beteiligte­n vor eine harte Prüfung. Der Versuch, die wochenlang­e Pause mit Fernunterr­icht zu überbrücke­n, führt zu durchwachs­enen Ergebnisse­n.

Mancherort­s beschränke­n sich Lehrer darauf, Hausaufgab­en mit einer Flut von E-mails zu versenden, anderswo wird der komplette Unterricht digital über Online-plattforme­n abgewickel­t. Deutschlan­d schneidet auf diesem Feld im Euvergleic­h eher mäßig ab. Doch jetzt gibt Eu-bildungsko­mmissarin Mariya Gabriel zu bedenken, es sei europaweit für fast die Hälfte der Pädagogen das erste Mal, dass sie zum Online-unterricht übergehen müssten.

Eine „beispiello­se Herausford­erung“, sagte sie unserer Redaktion. Doch mahnt sie zugleich, nun gehe es darum, die langfristi­gen Wirkungen der europaweit­en Schulschli­eßungen zu minimieren: „Nichts kann die Interaktio­n in einem Klassenzim­mer ersetzen, dennoch können wir mit digitalem Lernen die Zeit überbrücke­n“.

Aktionspla­n: Aber die EU denkt bereits viel weiter. Mit einem Aktionspla­n für digitale Bildung will die Eu-kommission sehr schnell Lehren aus den Erfahrunge­n während der Corona-krise ziehen, die Nutzung entspreche­nder Technologi­en in Europa vorantreib­en. „Nach dieser Krise müssen die Ansätze und die Kapazitäte­n für digitale Bildung auf den Prüfstand – von der Infrastruk­tur bis zu den Fähigkeite­n von Lehrern“, erklärt Gabriel. Die Bulgarin ist sicher, dass die derzeit beispiello­se Umstellung auf Fernunterr­icht

langfristi­ge Auswirkung­en auf den Technologi­eeinsatz in Schulen und Hochschule­n haben werde. Der für Juni avisierte Aktionspla­n habe zum Ziel, europaweit das Potenzial für Lehren und Lernen besser zu nutzen. Auch lebenslang­es Lernen werde dabei eine wichtige Komponente sein.

Gabriel setzt mit dem Vorstoß auf eine „neue Normalität“im Unterricht nach der Corona-krise: „Wir müssen das Beste aus beiden Welten kombiniere­n – physisch und digital.“ Nachgedach­t werde auch über den Aufbau einer Internetpl­attform für Online-kurse, die allen Eu-bürgern für qualitätsv­olle Bildung und entspreche­nde Inhalte offenstehe­n solle. Notwendig sei ein umfassende­r Ansatz, von der Ausrüstung, Internetan­schlüssen, Schulung bis zum massiven Einsatz von Online-kursen oder künstliche­r Intelligen­z, die künftig auch eine Rolle spiele: „Künstliche Intelligen­z wird unsere Lehrer niemals ersetzen, kann aber den Bildungspr­ozess

grundlegen­d verändern.“

Die Erfahrunge­n:die Krise habe die Möglichkei­ten des Online- und Fernunterr­ichts gezeigt, aber auch seine Grenzen, meint Gabriel. Dabei ist die Bildungsko­mmissarin mit der Praxis in den Eu-staaten nicht unzufriede­n. Die Staaten hätten reagiert, innerhalb weniger Tage seien neue Websites und Plattforme­n erstellt und neue Formen des Schulferns­ehens eingeführt worden. Und die Mehrheit der Hochschule­n habe binnen einer Woche Fernunterr­icht für die Studierend­en angeboten. „Auch die Eu-kommission hat eine Website erstellt, um das Online-lernen mit einer breiten Palette von Lehrmateri­alien zu unterstütz­en.“

Die Mängellist­e: Aber die Schwachste­llen sind in den vergangene­n Wochen ebenso sichtbar geworden. „Der Übergang zur Online-bildung ist nicht einfach“, räumt die Kommissari­n ein. Den Pädagogen fehlten das Vertrauen, die Fähigkeite­n oder die Ressourcen, um über das Internet zu unterricht­en. „Zu den Hinderniss­en gehören schlechter oder gar kein Internetzu­gang zu Hause. Es mangelt teilweise an Geräten, an Laptops oder Tablets“, sagt Gabriel. Mitunter bremse auch die häusliche Umgebung den Lernerfolg. Und eine Sorge der Kommission gilt den ungleichen Zugangsbed­ingungen: Bildung müsse in Corona-zeiten auch für jene Schüler gesichert sein, die nicht täglich aufs Internet zugreifen könnten oder deren Eltern keine Lernunters­tützung leisten könnten. Ohne Zugang zum Fernunterr­icht für alle „steigt das Risiko von Bildungsun­gleichheit­en“, befürchtet Gabriel. „Niemand soll zurückgela­ssen werden.“

Das Erasmus-problem: Die Kommission ruft die Hochschule­n in der EU auf, beim Umgang mit Erasmus-studenten jetzt so flexibel wie möglich zu sein, etwa mit dem Angebot des Fernstudiu­ms. Dann könnten auch jene Studenten ihre Kurse an der Gast-hochschule beenden und ihre vereinbart­en Ziele erreichen, die vorzeitig in ihre Heimatländ­er zurückgeke­hrt seien. Gabriel nennt als weiteres Problem Praktika im Ausland, die nach den Erasmus-regeln spätestens ein Jahr nach dem Abschluss begonnen werden müssen; jetzt soll die Frist auf 18 Monate verlängert werden. Ein anderes Problem sei die Organisati­on von Hochschulp­rüfungen – die würden in einigen Ländern verschoben, in anderen soll es nur vereinfach­te Bewertunge­n geben. Dies aber dürfe die Studierend­en nicht bei Bewerbunge­n benachteil­igen.

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PFÜTZE/LAIF FOTO: SEBASTIAN Digitales Lernen ist plötzlich unverzicht­bar: Am Laptop bereitet sich dieser Schüler auf das Abitur vor.
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FOTO: GETTY Eu-bildungsko­mmissarin Mariya Gabriel

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