Wie Corona die Schule verändert
Eu-bildungskommissarin Gabriel setzt auf mehr digitales Lernen – und kündigt dafür einen Aktionsplan an
Brüssel. Die Schul- und Unischließungen wegen der Corona-pandemie stellen alle Beteiligten vor eine harte Prüfung. Der Versuch, die wochenlange Pause mit Fernunterricht zu überbrücken, führt zu durchwachsenen Ergebnissen.
Mancherorts beschränken sich Lehrer darauf, Hausaufgaben mit einer Flut von E-mails zu versenden, anderswo wird der komplette Unterricht digital über Online-plattformen abgewickelt. Deutschland schneidet auf diesem Feld im Euvergleich eher mäßig ab. Doch jetzt gibt Eu-bildungskommissarin Mariya Gabriel zu bedenken, es sei europaweit für fast die Hälfte der Pädagogen das erste Mal, dass sie zum Online-unterricht übergehen müssten.
Eine „beispiellose Herausforderung“, sagte sie unserer Redaktion. Doch mahnt sie zugleich, nun gehe es darum, die langfristigen Wirkungen der europaweiten Schulschließungen zu minimieren: „Nichts kann die Interaktion in einem Klassenzimmer ersetzen, dennoch können wir mit digitalem Lernen die Zeit überbrücken“.
Aktionsplan: Aber die EU denkt bereits viel weiter. Mit einem Aktionsplan für digitale Bildung will die Eu-kommission sehr schnell Lehren aus den Erfahrungen während der Corona-krise ziehen, die Nutzung entsprechender Technologien in Europa vorantreiben. „Nach dieser Krise müssen die Ansätze und die Kapazitäten für digitale Bildung auf den Prüfstand – von der Infrastruktur bis zu den Fähigkeiten von Lehrern“, erklärt Gabriel. Die Bulgarin ist sicher, dass die derzeit beispiellose Umstellung auf Fernunterricht
langfristige Auswirkungen auf den Technologieeinsatz in Schulen und Hochschulen haben werde. Der für Juni avisierte Aktionsplan habe zum Ziel, europaweit das Potenzial für Lehren und Lernen besser zu nutzen. Auch lebenslanges Lernen werde dabei eine wichtige Komponente sein.
Gabriel setzt mit dem Vorstoß auf eine „neue Normalität“im Unterricht nach der Corona-krise: „Wir müssen das Beste aus beiden Welten kombinieren – physisch und digital.“ Nachgedacht werde auch über den Aufbau einer Internetplattform für Online-kurse, die allen Eu-bürgern für qualitätsvolle Bildung und entsprechende Inhalte offenstehen solle. Notwendig sei ein umfassender Ansatz, von der Ausrüstung, Internetanschlüssen, Schulung bis zum massiven Einsatz von Online-kursen oder künstlicher Intelligenz, die künftig auch eine Rolle spiele: „Künstliche Intelligenz wird unsere Lehrer niemals ersetzen, kann aber den Bildungsprozess
grundlegend verändern.“
Die Erfahrungen:die Krise habe die Möglichkeiten des Online- und Fernunterrichts gezeigt, aber auch seine Grenzen, meint Gabriel. Dabei ist die Bildungskommissarin mit der Praxis in den Eu-staaten nicht unzufrieden. Die Staaten hätten reagiert, innerhalb weniger Tage seien neue Websites und Plattformen erstellt und neue Formen des Schulfernsehens eingeführt worden. Und die Mehrheit der Hochschulen habe binnen einer Woche Fernunterricht für die Studierenden angeboten. „Auch die Eu-kommission hat eine Website erstellt, um das Online-lernen mit einer breiten Palette von Lehrmaterialien zu unterstützen.“
Die Mängelliste: Aber die Schwachstellen sind in den vergangenen Wochen ebenso sichtbar geworden. „Der Übergang zur Online-bildung ist nicht einfach“, räumt die Kommissarin ein. Den Pädagogen fehlten das Vertrauen, die Fähigkeiten oder die Ressourcen, um über das Internet zu unterrichten. „Zu den Hindernissen gehören schlechter oder gar kein Internetzugang zu Hause. Es mangelt teilweise an Geräten, an Laptops oder Tablets“, sagt Gabriel. Mitunter bremse auch die häusliche Umgebung den Lernerfolg. Und eine Sorge der Kommission gilt den ungleichen Zugangsbedingungen: Bildung müsse in Corona-zeiten auch für jene Schüler gesichert sein, die nicht täglich aufs Internet zugreifen könnten oder deren Eltern keine Lernunterstützung leisten könnten. Ohne Zugang zum Fernunterricht für alle „steigt das Risiko von Bildungsungleichheiten“, befürchtet Gabriel. „Niemand soll zurückgelassen werden.“
Das Erasmus-problem: Die Kommission ruft die Hochschulen in der EU auf, beim Umgang mit Erasmus-studenten jetzt so flexibel wie möglich zu sein, etwa mit dem Angebot des Fernstudiums. Dann könnten auch jene Studenten ihre Kurse an der Gast-hochschule beenden und ihre vereinbarten Ziele erreichen, die vorzeitig in ihre Heimatländer zurückgekehrt seien. Gabriel nennt als weiteres Problem Praktika im Ausland, die nach den Erasmus-regeln spätestens ein Jahr nach dem Abschluss begonnen werden müssen; jetzt soll die Frist auf 18 Monate verlängert werden. Ein anderes Problem sei die Organisation von Hochschulprüfungen – die würden in einigen Ländern verschoben, in anderen soll es nur vereinfachte Bewertungen geben. Dies aber dürfe die Studierenden nicht bei Bewerbungen benachteiligen.