Druschba 84
Wie der frühere Bahnrad-weltmeister Gerald Mortag den Olympiaboykott 1984 erlebte und warum er jetzt eine Langhantel vor die Tür legt
Gera. Es ist fast 36 Jahre her. Doch Gerald Mortag kann sich noch genau an den Tag erinnern, als die Klubleitung der SG Wismut Gera den Radsportlern und Boxern mitteilte, dass ein Start bei den Olympischen Spielen in Los Angeles nicht möglich sei.
„Da brach schon erst einmal eine Welt zusammen“, erinnert sich Gerald Mortag, Olympiazweiter 1980 und drei Mal Weltmeister mit dem Bahnvierer. Doch die Politik hatte im kalten Krieg den Sport im Würgegriff, missbrauchte Olympia.
„Das war schon ein harter Einschnitt, als wir erfuhren, dass wir nicht nach Los Angeles durften. Wir hatten hart trainiert, wollten gegen die Besten der Welt fahren.“
In Moskau zählte Gerald Mortag zum Ddr-bahnvierer, der die Silbermedaille erkämpfte. Olympia in L.A. sollte der krönende Abschluss seiner sportlichen Laufbahn werden. Doch daraus wurde nichts. Als Olympia-ersatz wurden die Wettkämpfe der Freundschaft von Havanna bis Moskau angesetzt. Die Bahnradsportler fuhren zu „Druschba 84“nach Moskau. Der Ddr-vierer schlug das Udssrquartett und erntete Buh-rufe von den Rängen des Velodroms in Krylatskoje. Einer der Russen hatte einen Defekt und der Vierer trudelte aus, wurde von den Ddr-fahrern eingeholt, das Rennen abgeschossen. Und weil drei Renner reichten, um nach den 4000 Metern in die Wertung zu fahren, war der 80erolympiasieger geschlagen.
„Alle dachten, das Rennen wird neu angesetzt, aber die Regeln sagten etwas anderes“, erinnert sich Gerald Mortag. An die „Druschba 84“erinnert sich heute kaum einer.
Doch als am 23. März bekanntgegeben wurde, dass Tokio 2020 auf Sommer 2021 verschoben wird, da bei kam bei Gerald Mortag die Erinnerung an den Mai 1984 und an dieses Gefühl der Leere und Ohnmacht, einem großen Ziel beraubt worden zu sein, wieder hoch. Die Ursachen für das Olympia-aus 2020 sind andere, aber was die Absage mit den Sportlern macht, sei ganz ähnlich.
„Da fällst du in ein Loch, musst dich sammeln, neu orientieren, dir überlegen, hänge ich ein Jahr noch dran, zieht mein Umfeld mit, kann ich mir das finanziell leisten?“
Für Gerald Mortags Trainingsgruppe ist Olympia noch weit weg. Als Nachwuchstrainer beim SSV Gera versucht der 61-Jährige das Training in der Corona-krise aufrecht zu erhalten, schreibt das Pensum in eine Whatsapp-gruppe, natürlich wissen auch die Eltern, was abverlangt wird. Nach dem Training melden die Renner Herzfrequenz, gefahrene Kilometer und Fahrzeit und der Trainer ist im Bilde, was die Sportler geleistet haben. Während die Straßenfahrer auf Solofahrten
Gerald Mortag
rund um Gera unterwegs sind, kommen die Sprinter nicht ohne Athletiktraining über die Runden. „Krafterhaltung ist wichtig im Sprintbereich“, sagt Gerald Mortag. Und und so hat er kurzerhand eine Langhantel und Scheiben für Tiefkniebeugen und andere Übungen dem Sprint-talent Dennis Kühn zu Hause vor die Tür gebracht. Not macht erfinderisch. Und auch die Rückkehr vom Trainingslager in Kroatien war nicht ohne. Im Hotel sei man für sich gewesen, das Training lief wie am Schnürchen.
„Wir waren ständig im Kontakt mit den Eltern und sofort bereit, die Zelte abzubrechen.“Das mussten die Geraer dann auch vorfristig, als am 15. März um 8 Uhr die Grenzen geschlossen wurden. „Wir haben nach dem Training gepackt, sind durch die Nacht gefahren und haben früh um vier über Salzburg die deutsche Grenze erreicht und sind alle wohl behalten zu Hause angekommen.“