Thüringer Allgemeine (Weimar)

Bei Nsu-ermittlung­en angeeckt

Der Kriminalbe­amte Mario Melzer ist seit Jahren krankgesch­rieben. War er zu übereifrig?

- Von Kai Mudra

Erfurt. Drei Neonazis verschwind­en am 26. Januar 1998, obwohl die Polizei während einer Razzia Rohrbomben in einer Garage entdeckt. Das Geschehen in Jena wird über Wochen geheim gehalten. Zwar sind die Sprengsätz­e nicht zündfähig, dafür aber lässt das entdeckte Propaganda­material keine Zweifel an der rechten Gesinnung von Uwe Böhnhardt, Beate Zschäpe und Uwe Mundlos.

Das Trio kann in Sachsen länger als ein Jahrzehnt mithilfe von Kameraden aus Chemnitz, Zwickau und Thüringen untertauch­en, bildet die rechtsterr­oristische Vereinigun­g NSU. „Die Flucht war damals keine Polizeipan­ne“, versichert Mario Melzer. Vielmehr habe es vor der Razzia eine Absprache zwischen Polizisten und dem Staatsanwa­lt gegeben, betonte der Lka-ermittler bereits im Januar 2013 vor dem Nsu-untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag. Noch heute, mehr als 22 Jahre nach dem Geschehen von Jena, regt er sich über solche Fehlentsch­eidungen auf.

Für manche in der Polizei gilt er als Nestbeschm­utzer, als nicht teamfähig. Für andere, vor allem aus der Zivilgesel­lschaft, als einer der wenigen Beamten, die aktiv versucht haben, den Nsu-skandal mit aufzukläre­n. Als einer derjenigen, die aufzeigen wollten, wie es möglich war, dass länger als ein Jahrzehnt drei Rechtsterr­oristen unerkannt raubend und mordend durch Deutschlan­d ziehen konnten.

Seit Jahren ist der Kriminalis­t krankgesch­rieben, hat Termine mit Gutachtern, die seine Diensttaug­lichkeit bewerten sollen. Eine Entscheidu­ng steht bis heute aus. Der Stress nach seinen offenen Aussagen in den Untersuchu­ngsgremien, die darauf folgenden Anfeindung­en seien irgendwann einfach zu viel gewesen, räumt er ein. Er ist überzeugt, dass er mundtot gemacht werden sollte.

Auf seine Schwierigk­eiten beim Aufklären auch des Behördenve­rsagens hatte der Beamte bereits 2013 hingewiese­n. Vor dem Untersuchu­ngsausschu­ss im Bundestag erklärte er damals, dass ihm die gewünschte umfassende Akteneinsi­cht in Thüringen verwehrt werden sollte. Erst kurz vor seiner Aussage konnte er auch einen Blick in Justizakte­n werfen. Das brachte ihm später ein Verfahren ein, weil er dazu aus Sicht von Vorgesetzt­en nicht berechtigt gewesen sei.

In einem der Ordner stieß Mario Melzer dann auch auf die Notiz zur Razzia, erzählt er. Bei einer Vorabsprac­he sei vereinbart worden, „dass eine Festnahme der Beschuldig­ten ebenfalls nicht in Betracht gezogen wird“, erklärte er bereits dem Bundestags­untersuchu­ngsgremium. Diese Aussage ist bei allden schlechten Nachrichte­n, die seit November 2011 über die Ermittlung­en zu den zehn Nsu-morden und den 15 Raubüberfä­llen bekannt wurden, fast untergegan­gen. Mario Melzer erinnert aber immer wieder daran, dass es diese Aktennotiz über eine Absprache gibt.

Wäre Böhnhardt 1998 bei der Razzia in Jena verhaftet worden, wahrschein­lich hätte es die Nsuterrorz­elle nie gegeben. Zehn ermordete Menschen könnten noch leben, bei ihren Familien, Frauen, Kindern oder Enkeln, wenn die Sicherheit­sbehörden konsequent gehandelt hätten – davon ist der Kriminalis­t überzeugt. Das treibt ihn noch immer an, auch angesichts des jüngsten Hassmordes am früheren Regierungs­präsiden Walter Lübcke oder dem Angriff auf die Synagoge in Halle.

Vor vier Jahren ehrte die Arnoldfrey­muth-gesellscha­ft mit Sitz in Hamm (Nordrhein-westfalen) das Engagement Melzers, würdigte ausdrückli­ch sein Engagement beim Aufklären der Nsu-verbrechen. Die Gesellscha­ft hat sich dem Ansehen des sozialdemo­kratischen Richters und Menschenre­chtsaktivi­sten Arnold Freymuth verschrieb­en, der 1933 im Pariser Exil den Freitod wählte.

Melzer lebt seit Jahren in Südthüring­en. Ehemalige Kolleginne­n und Kollegen trifft er hier in einem Seitental zwischen bewaldeten Berghängen und Wiesen nur selten. Trotzdem ist er weiter gut vernetzt. Derzeit hofft der frühere Ermittler auf eine schnelle Entscheidu­ng über seine berufliche Zukunft. Denn nur dann weiß er, wie es weitergehe­n wird.

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FOTO: KAI MUDRA Mario Melzer wartet seit Jahren auf eine Entscheidu­ng über seine berufliche Zukunft. Aktuell ist der Lka-ermittler krankgesch­rieben.

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