Briten bangen um Boris Johnson
Der Premierminister bekam auf der Intensivstation eine Sauerstoffzufuhr. Genesungswünsche kommen aus aller Welt
London. Boris Johnson auf der Intensivstation! Sauerstoffzufuhr! Der an Covid-19 erkrankte britische Premierminister ist der erste Regierungschef, dem das Coronavirus ernste gesundheitliche Probleme bereitet. Die Briten bangen um ihren Premier, die Welt – egal welcher politischen Couleur – wünscht ihm baldige Genesung.
Schockierend war vor allem die Geschwindigkeit, mit der alles passierte. Noch am Donnerstag hatte Boris Johnson nach Angaben seiner Mitarbeiter gehofft, am Freitag wieder an die Arbeit gehen zu können. Aber drei Tage später musste der Premierminister ins Krankenhaus eingeliefert werden, und 24 Stunden später lag er auf der Intensivstation. Er habe zwar eine Sauerstoffzufuhr bekommen, sei aber nicht an ein Beatmungsgerät angeschlossen worden.
„Egal, wie schlimm die Situation ist, die Regierung wird weiterarbeiten.“Lindsay Hoyle, Parlamentsvorsitzender
Der 55-jährige Regierungschef war zehn Tage zuvor an Covid-19 erkrankt und hatte sich in die Selbstisolierung zurückgezogen. Er führte noch immer die Regierungsgeschäfte und kommunizierte über Videolink mit seinem Kabinett. Am Donnerstagabend wurde er gefilmt, wie er etwas verloren vor seiner Tür stand und den Angestellten des Gesundheitsdienstes applaudierte, so wie es an jenem Tag Tausende Briten taten. Doch bereits zu dem Zeitpunkt sagten Insider gegenüber der Presse, dass im St. Thomas’ Hospital, dem Krankenhaus in der Nähe des Regierungsviertels, ein Bett für den Premierminister bereitstehe.
Am Freitag schließlich wandte sich Johnson per Handy-video an die Öffentlichkeit. Mit heiserer Stimme und offensichtlich mitgenommen betonte er, dass er sich zwar besser fühle, aber noch immer an Fieber leide. „Ich muss mich weiterhin selbst isolieren, bis die Symptome verschwinden.“Auch nach seiner Einlieferung ins Krankenhaus am Sonntagabend versuchte der Premierminister den Anschein zu erwecken, als wäre alles halb so schlimm: „Ich bin guten Mutes und bleibe in Kontakt mit meinem Team“, twitterte er am Montagnachmittag. Einige Stunden später kam die Nachricht, dass er in die Intensivstation verlegt wurde.
Am Dienstag mussten die Ärzte Johnson vier Liter Sauerstoff verabreichen. Am Nachmittag berichteten Regierungssprecher, dass sein Zustand unverändert sei. An einer Lungenentzündung sei der Premierminister nicht erkrankt, und er sei „guter Dinge“.
Politiker im In- und Ausland, sowohl politische Gegner als auch Verbündete, haben dem erkrankten Regierungschef eine schnelle Genesung gewünscht. Der neue Chef der britischen Labourpartei, Keir Starmer, war ebenso dabei wie Kanzlerin Angela Merkel, Eu-kommissionschefin Ursula von der Leyen bis hin zum russischen Präsidenten Wladimir Putin. Besondere Sorge gilt auch Johnsons Verlobter, Carrie Symonds, die im siebten Monat schwanger ist. Mit dem Ausfall des
Premierministers hat Außenminister Dominic Raab die Regierungsführung übernommen. Als sogenannter First Secretary of State ist er im Prinzip der Stellvertreter des Premierministers. Allerdings ist nicht klar, was seine Befugnisse genau sind. Großbritannien hat keine geschriebene Verfassung, und so gibt es keine Vorgaben für einen solchen Fall. Kurzfristig wird das kaum Probleme verursachen: Die Regierung ist voll beschäftigt mit der Bewältigung der Corona-krise. Auch werden alle wichtigen Entscheidungen im Einvernehmen mit dem Rest des Kabinetts getroffen. Lindsay Hoyle, der Parlamentsvorsitzende, unterstrich: „Egal, wie schlimm die Situation ist, die Regierung wird weiterarbeiten.“
Die Versuche des Premierministers und seiner Berater, den Gesundheitszustand Johnsons in der vergangenen Woche als weniger gravierend darzustellen, als er war, hat zu Kritik geführt. Die Verfassung des Regierungschefs sei eine „Angelegenheit von großem öffentlichen Interesse“, sagte beispielsweise der Bbc-kommentator Piers Morgan. Downing Street müsse ab sofort „zu 100 Prozent offen sein“.
Unterdessen bricht die Kritik am Krisenmanagement der Regierung nicht ab. Schon seit Wochen leidet der öffentliche Gesundheitsdienst
NHS an einem Mangel an Schutzausrüstung – trotz der Versprechen der Behörden, „Himmel und Erde“zu bewegen, um die Vorräte aufzufüllen. Auch fragen sich Gesundheitsexperten und die Öffentlichkeit, weshalb es Großbritannien nicht schafft, ähnlich viele Menschen auf Covid-19 zu testen wie andere Länder. Derzeit liegt die Zahl der täglichen Tests bei rund 10.000; Deutschland hingegen schafft es, jeden Tag 50.000 Leute zu testen. Selbst der regierungstreue „Daily Telegraph“schrieb vergangene Woche über das Debakel: „So viele Fragen, so wenige Antworten.“