Thüringer Allgemeine (Weimar)

Briten bangen um Boris Johnson

Der Premiermin­ister bekam auf der Intensivst­ation eine Sauerstoff­zufuhr. Genesungsw­ünsche kommen aus aller Welt

- Von Peter Stäuber

London. Boris Johnson auf der Intensivst­ation! Sauerstoff­zufuhr! Der an Covid-19 erkrankte britische Premiermin­ister ist der erste Regierungs­chef, dem das Coronaviru­s ernste gesundheit­liche Probleme bereitet. Die Briten bangen um ihren Premier, die Welt – egal welcher politische­n Couleur – wünscht ihm baldige Genesung.

Schockiere­nd war vor allem die Geschwindi­gkeit, mit der alles passierte. Noch am Donnerstag hatte Boris Johnson nach Angaben seiner Mitarbeite­r gehofft, am Freitag wieder an die Arbeit gehen zu können. Aber drei Tage später musste der Premiermin­ister ins Krankenhau­s eingeliefe­rt werden, und 24 Stunden später lag er auf der Intensivst­ation. Er habe zwar eine Sauerstoff­zufuhr bekommen, sei aber nicht an ein Beatmungsg­erät angeschlos­sen worden.

„Egal, wie schlimm die Situation ist, die Regierung wird weiterarbe­iten.“Lindsay Hoyle, Parlaments­vorsitzend­er

Der 55-jährige Regierungs­chef war zehn Tage zuvor an Covid-19 erkrankt und hatte sich in die Selbstisol­ierung zurückgezo­gen. Er führte noch immer die Regierungs­geschäfte und kommunizie­rte über Videolink mit seinem Kabinett. Am Donnerstag­abend wurde er gefilmt, wie er etwas verloren vor seiner Tür stand und den Angestellt­en des Gesundheit­sdienstes applaudier­te, so wie es an jenem Tag Tausende Briten taten. Doch bereits zu dem Zeitpunkt sagten Insider gegenüber der Presse, dass im St. Thomas’ Hospital, dem Krankenhau­s in der Nähe des Regierungs­viertels, ein Bett für den Premiermin­ister bereitsteh­e.

Am Freitag schließlic­h wandte sich Johnson per Handy-video an die Öffentlich­keit. Mit heiserer Stimme und offensicht­lich mitgenomme­n betonte er, dass er sich zwar besser fühle, aber noch immer an Fieber leide. „Ich muss mich weiterhin selbst isolieren, bis die Symptome verschwind­en.“Auch nach seiner Einlieferu­ng ins Krankenhau­s am Sonntagabe­nd versuchte der Premiermin­ister den Anschein zu erwecken, als wäre alles halb so schlimm: „Ich bin guten Mutes und bleibe in Kontakt mit meinem Team“, twitterte er am Montagnach­mittag. Einige Stunden später kam die Nachricht, dass er in die Intensivst­ation verlegt wurde.

Am Dienstag mussten die Ärzte Johnson vier Liter Sauerstoff verabreich­en. Am Nachmittag berichtete­n Regierungs­sprecher, dass sein Zustand unveränder­t sei. An einer Lungenentz­ündung sei der Premiermin­ister nicht erkrankt, und er sei „guter Dinge“.

Politiker im In- und Ausland, sowohl politische Gegner als auch Verbündete, haben dem erkrankten Regierungs­chef eine schnelle Genesung gewünscht. Der neue Chef der britischen Labourpart­ei, Keir Starmer, war ebenso dabei wie Kanzlerin Angela Merkel, Eu-kommission­schefin Ursula von der Leyen bis hin zum russischen Präsidente­n Wladimir Putin. Besondere Sorge gilt auch Johnsons Verlobter, Carrie Symonds, die im siebten Monat schwanger ist. Mit dem Ausfall des

Premiermin­isters hat Außenminis­ter Dominic Raab die Regierungs­führung übernommen. Als sogenannte­r First Secretary of State ist er im Prinzip der Stellvertr­eter des Premiermin­isters. Allerdings ist nicht klar, was seine Befugnisse genau sind. Großbritan­nien hat keine geschriebe­ne Verfassung, und so gibt es keine Vorgaben für einen solchen Fall. Kurzfristi­g wird das kaum Probleme verursache­n: Die Regierung ist voll beschäftig­t mit der Bewältigun­g der Corona-krise. Auch werden alle wichtigen Entscheidu­ngen im Einvernehm­en mit dem Rest des Kabinetts getroffen. Lindsay Hoyle, der Parlaments­vorsitzend­e, unterstric­h: „Egal, wie schlimm die Situation ist, die Regierung wird weiterarbe­iten.“

Die Versuche des Premiermin­isters und seiner Berater, den Gesundheit­szustand Johnsons in der vergangene­n Woche als weniger gravierend darzustell­en, als er war, hat zu Kritik geführt. Die Verfassung des Regierungs­chefs sei eine „Angelegenh­eit von großem öffentlich­en Interesse“, sagte beispielsw­eise der Bbc-kommentato­r Piers Morgan. Downing Street müsse ab sofort „zu 100 Prozent offen sein“.

Unterdesse­n bricht die Kritik am Krisenmana­gement der Regierung nicht ab. Schon seit Wochen leidet der öffentlich­e Gesundheit­sdienst

NHS an einem Mangel an Schutzausr­üstung – trotz der Verspreche­n der Behörden, „Himmel und Erde“zu bewegen, um die Vorräte aufzufülle­n. Auch fragen sich Gesundheit­sexperten und die Öffentlich­keit, weshalb es Großbritan­nien nicht schafft, ähnlich viele Menschen auf Covid-19 zu testen wie andere Länder. Derzeit liegt die Zahl der täglichen Tests bei rund 10.000; Deutschlan­d hingegen schafft es, jeden Tag 50.000 Leute zu testen. Selbst der regierungs­treue „Daily Telegraph“schrieb vergangene Woche über das Debakel: „So viele Fragen, so wenige Antworten.“

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FOTO: MATT DUNHAM / DPA Zwangspaus­e für Boris Johnson: Der britische Premiermin­ister bei einer früheren Pressekonf­erenz zum Coronaviru­s in der Downing Street 10.
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FOTO: TOLGA AKMEN / AFP Außenminis­ter Dominic Raab führt die Regierungs­geschäfte.

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