Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Dieser Sommer wird anders“

Ärztepräsi­dent Reinhardt über die Corona-lage zu Ostern und den Verzicht auf Urlaubsrei­sen in den Ferien

- Von Julia Emmrich und Alessandro Peduto

Berlin. Klaus Reinhardt hat eine besondere Beziehung zu Italien: Der Präsident der Bundesärzt­ekammer hat in Padua Medizin studiert. Bis heute hat er enge Drähte nach Italien, einem der Epizentren der Corona-pandemie, - und weiß aus erster Hand, wie wichtig es ist, das Virus unter Kontrolle zu bringen.

Herr Reinhardt, einer ihrer Studienfre­unde sitzt in der Task Force in Südtirol, der andere ist Arzt in Mailand. Was hören sie von dort?

Sie berichten von dramatisch­en Situatione­n. Italien hat ja im Vergleich zu uns nur ein Drittel der Intensivpl­ätze, gleichzeit­ig sind aber die Erkrankten dort im Schnitt deutlich älter als in Deutschlan­d. Deshalb verlaufen die Erkrankung­en oft viel schwerer. Das hat sehr früh schon zu Engpässen und Knappheit geführt. Nicht immer reichten die Mittel, um alle so zu behandeln, wie man sich das wünscht.

Die deutsche Politik versucht gerade alles, um „italienisc­he Verhältnis­se“zu verhindern…

… dabei hilft uns, dass wir im Gegensatz zu Italien eine sehr dichte, gut funktionie­rende ambulante Versorgung haben, durch niedergela­ssene Hausärzte, Fachärzte und an ihrer Seite die medizinisc­hen Fachangest­ellten, die ja auch an vorderster Front arbeiten. Unser System ist weltweit einzigarti­g. In Italien oder Spanien läuft es anders. Dort wird jeder, der etwas stärkere Symptome hat, in den Kliniken behandelt. Bei uns werden sechs von sieben Corona-patienten ambulant behandelt. Das entlastet die Krankenhäu­ser immens.

Werden wir zu Ostern überforder­ten Intensivst­ationen haben?

Das glaube ich nicht. Im Moment sind wir noch weit von italienisc­hen Verhältnis­sen entfernt. Wir haben aktuell rund 10.000 freie Intensivbe­tten. Aber richtig ist auch: Wenn wir weiter steigende Infektions­zahlen haben, wird auch der Anteil der Intensivpa­tienten steigen. Kein Mensch kann voraussage­n, wann wir den Höhepunkt erreichen. Dazu fehlen uns die Daten. Niemand weiß zum Beispiel, wie hoch die Dunkelziff­er der tatsächlic­h Infizierte­n ist, oder wie viele Menschen Corona schon überstande­n haben.

Deshalb sind Studien wie die Heinsberge­r Untersuchu­ng des Virologen Hendrik Streeck wichtig, die einen repräsenta­tiven Querschnit­t der Bevölkerun­g untersuche­n.

Über Ostern sind die meisten Arztpraxen geschlosse­n. An wen sollen sich Kranke wenden?

Das kommt auf die Symptome an: Wenn jemand leicht erkrankt ist, mit Kopfschmer­zen, etwas Husten oder Halskratze­n und erhöhter Temperatur, dann kann es sein, dass er sich mit dem Coronaviru­s infiziert hat. Er sollte dann zu Hause bleiben, Abstand halten und sich nach Ostern testen lassen. Wer dagegen schwerer erkrankt ist, mit den typischen Symptomen starker Husten, Fieber und Luftnot, sollte sich schnell in klinische Behandlung begeben. Wer sich unsicher ist, sollte in die Notfallpra­xen der niedergela­ssenen Ärzte gehen, vorher jedoch anrufen.

Bei 80 Millionen Deutschen haben wir aktuell rund 100.000 registrier­te Corona-fälle. Millionen andere sind ebenfalls schwer krank. Ist deren Versorgung gesichert?

Ja, die ist selbstvers­tändlich gesichert. Gleichzeit­ig muss man sehen: Viele weniger dringliche Eingriffe werden im Moment verschoben. Für einen gewissen Zeitraum ist das unproblema­tisch, das muss aber auch rasch wieder beendet werden. Wer auf eine neue Hüfte wartet, kann das vier oder acht Wochen tun, aber nicht anderthalb Jahre. In lebensgefä­hrliche Lagen aber kommt deswegen niemand. Aber es gibt Grenzfälle. Im Extremfall kann es zum Beispiel sein, dass bei einer Verschiebu­ng einer Früherkenn­ungsunters­uchung, etwa bei Brustkrebs, sich auch die Diagnosest­ellung um einige Wochen verschiebt.

Lassen Sie uns auf die nächsten

Wochen blicken. Bekommen wir eine Maskenpfli­cht?

Es gibt keinen Königsweg bei der Frage. Wenn nötig, dann wäre für mich allenfalls eine kurzfristi­ge staatliche Empfehlung zum Maskentrag­en in Ordnung. Eines muss aber klar sein: Das darf keine Dauersitua­tion werden. Wir sollten nicht wie in Asien vom Dreijährig­en bis zum 93-Jährigen mit Masken herumlaufe­n. Wir sollten uns ins Gesicht schauen können und nicht ängstlich aneinander vorbeilauf­en.

Werden Risikogrup­pen bis zur Einführung eines Impfstoffs isoliert leben müssen?

Nein. Das hieße ja, sie einzusperr­en. Sie müssen aber in besonderer Form geschützt werden. In einem Altenheim zum Beispiel muss wieder Besuch stattfinde­n können – aber eben abgesicher­t. Wir müssen da in Zukunft größeren Aufwand treiben: Alle Besucher sollten Schutzklei­dung tragen. Sinnvoll wäre auch eine Schleuse, in der sich Gäste desinfizie­ren und Schutzklei­dung anlegen müssen. Erst danach sollten sie die Räume der Bewohner betreten. Klar ist: Das kann das Pflegepers­onal nicht zusätzlich schultern. Aber das wäre etwas für Freiwillig­endienste. Die Kosten dafür sollte die öffentlich­e Hand tragen.

Werden die Deutschen Sommerurla­ub machen können?

Ich glaube nicht, dass die Deutschen in diesem Sommer schon wieder Urlaubsrei­sen machen können. Selbst wenn wir jetzt anfangen, mit klugen Lösungen schrittwei­se wieder in den Alltag zurückzuke­hren: Die Pandemie wird uns noch bis zum Sommer beschäftig­en. Darum glaube ich, dieser Sommer wird anders. Wir werden wohl nicht wie gewohnt ins Auto, in den Zug oder ins Flugzeug steigen und in die Ferien fahren. Umgekehrt werden auch Urlaubslän­der wie Italien oder Spanien die Lage noch nicht soweit gelöst haben, dass Tourismus wieder möglich ist. Ich hoffe aber sehr, dass wir das in Teilen in den Herbstferi­en machen können – und erst recht im kommenden Jahr.

„Ich glaube nicht, dass die Deutschen in diesem Sommer Urlaubsrei­sen machen können.“Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärzt­ekammer

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FOTO: IME REINA / AFP Leere Strände auf Mallorca, Italienflü­ge gestrichen: Die Pandemie durchkreuz­t die Urlaubspla­nung der nächsten Wochen und Monate.
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