„Dieser Sommer wird anders“
Ärztepräsident Reinhardt über die Corona-lage zu Ostern und den Verzicht auf Urlaubsreisen in den Ferien
Berlin. Klaus Reinhardt hat eine besondere Beziehung zu Italien: Der Präsident der Bundesärztekammer hat in Padua Medizin studiert. Bis heute hat er enge Drähte nach Italien, einem der Epizentren der Corona-pandemie, - und weiß aus erster Hand, wie wichtig es ist, das Virus unter Kontrolle zu bringen.
Herr Reinhardt, einer ihrer Studienfreunde sitzt in der Task Force in Südtirol, der andere ist Arzt in Mailand. Was hören sie von dort?
Sie berichten von dramatischen Situationen. Italien hat ja im Vergleich zu uns nur ein Drittel der Intensivplätze, gleichzeitig sind aber die Erkrankten dort im Schnitt deutlich älter als in Deutschland. Deshalb verlaufen die Erkrankungen oft viel schwerer. Das hat sehr früh schon zu Engpässen und Knappheit geführt. Nicht immer reichten die Mittel, um alle so zu behandeln, wie man sich das wünscht.
Die deutsche Politik versucht gerade alles, um „italienische Verhältnisse“zu verhindern…
… dabei hilft uns, dass wir im Gegensatz zu Italien eine sehr dichte, gut funktionierende ambulante Versorgung haben, durch niedergelassene Hausärzte, Fachärzte und an ihrer Seite die medizinischen Fachangestellten, die ja auch an vorderster Front arbeiten. Unser System ist weltweit einzigartig. In Italien oder Spanien läuft es anders. Dort wird jeder, der etwas stärkere Symptome hat, in den Kliniken behandelt. Bei uns werden sechs von sieben Corona-patienten ambulant behandelt. Das entlastet die Krankenhäuser immens.
Werden wir zu Ostern überforderten Intensivstationen haben?
Das glaube ich nicht. Im Moment sind wir noch weit von italienischen Verhältnissen entfernt. Wir haben aktuell rund 10.000 freie Intensivbetten. Aber richtig ist auch: Wenn wir weiter steigende Infektionszahlen haben, wird auch der Anteil der Intensivpatienten steigen. Kein Mensch kann voraussagen, wann wir den Höhepunkt erreichen. Dazu fehlen uns die Daten. Niemand weiß zum Beispiel, wie hoch die Dunkelziffer der tatsächlich Infizierten ist, oder wie viele Menschen Corona schon überstanden haben.
Deshalb sind Studien wie die Heinsberger Untersuchung des Virologen Hendrik Streeck wichtig, die einen repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung untersuchen.
Über Ostern sind die meisten Arztpraxen geschlossen. An wen sollen sich Kranke wenden?
Das kommt auf die Symptome an: Wenn jemand leicht erkrankt ist, mit Kopfschmerzen, etwas Husten oder Halskratzen und erhöhter Temperatur, dann kann es sein, dass er sich mit dem Coronavirus infiziert hat. Er sollte dann zu Hause bleiben, Abstand halten und sich nach Ostern testen lassen. Wer dagegen schwerer erkrankt ist, mit den typischen Symptomen starker Husten, Fieber und Luftnot, sollte sich schnell in klinische Behandlung begeben. Wer sich unsicher ist, sollte in die Notfallpraxen der niedergelassenen Ärzte gehen, vorher jedoch anrufen.
Bei 80 Millionen Deutschen haben wir aktuell rund 100.000 registrierte Corona-fälle. Millionen andere sind ebenfalls schwer krank. Ist deren Versorgung gesichert?
Ja, die ist selbstverständlich gesichert. Gleichzeitig muss man sehen: Viele weniger dringliche Eingriffe werden im Moment verschoben. Für einen gewissen Zeitraum ist das unproblematisch, das muss aber auch rasch wieder beendet werden. Wer auf eine neue Hüfte wartet, kann das vier oder acht Wochen tun, aber nicht anderthalb Jahre. In lebensgefährliche Lagen aber kommt deswegen niemand. Aber es gibt Grenzfälle. Im Extremfall kann es zum Beispiel sein, dass bei einer Verschiebung einer Früherkennungsuntersuchung, etwa bei Brustkrebs, sich auch die Diagnosestellung um einige Wochen verschiebt.
Lassen Sie uns auf die nächsten
Wochen blicken. Bekommen wir eine Maskenpflicht?
Es gibt keinen Königsweg bei der Frage. Wenn nötig, dann wäre für mich allenfalls eine kurzfristige staatliche Empfehlung zum Maskentragen in Ordnung. Eines muss aber klar sein: Das darf keine Dauersituation werden. Wir sollten nicht wie in Asien vom Dreijährigen bis zum 93-Jährigen mit Masken herumlaufen. Wir sollten uns ins Gesicht schauen können und nicht ängstlich aneinander vorbeilaufen.
Werden Risikogruppen bis zur Einführung eines Impfstoffs isoliert leben müssen?
Nein. Das hieße ja, sie einzusperren. Sie müssen aber in besonderer Form geschützt werden. In einem Altenheim zum Beispiel muss wieder Besuch stattfinden können – aber eben abgesichert. Wir müssen da in Zukunft größeren Aufwand treiben: Alle Besucher sollten Schutzkleidung tragen. Sinnvoll wäre auch eine Schleuse, in der sich Gäste desinfizieren und Schutzkleidung anlegen müssen. Erst danach sollten sie die Räume der Bewohner betreten. Klar ist: Das kann das Pflegepersonal nicht zusätzlich schultern. Aber das wäre etwas für Freiwilligendienste. Die Kosten dafür sollte die öffentliche Hand tragen.
Werden die Deutschen Sommerurlaub machen können?
Ich glaube nicht, dass die Deutschen in diesem Sommer schon wieder Urlaubsreisen machen können. Selbst wenn wir jetzt anfangen, mit klugen Lösungen schrittweise wieder in den Alltag zurückzukehren: Die Pandemie wird uns noch bis zum Sommer beschäftigen. Darum glaube ich, dieser Sommer wird anders. Wir werden wohl nicht wie gewohnt ins Auto, in den Zug oder ins Flugzeug steigen und in die Ferien fahren. Umgekehrt werden auch Urlaubsländer wie Italien oder Spanien die Lage noch nicht soweit gelöst haben, dass Tourismus wieder möglich ist. Ich hoffe aber sehr, dass wir das in Teilen in den Herbstferien machen können – und erst recht im kommenden Jahr.
„Ich glaube nicht, dass die Deutschen in diesem Sommer Urlaubsreisen machen können.“Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer