Thüringer Allgemeine (Weimar)

„Carlotta oder Die Lösung aller Probleme“von Klaus Jäger

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Sie hatten nur selten Gelegenhei­t, sich Zeit für ein richtiges Gespräch zu nehmen. Meist flogen die Sätze nur bei geöffneter Tür zwischen ihren Zimmern hin und her. Oder einer von beiden stand im Türrahmen, um mal etwas zu sagen, was nicht zwingend mit der Arbeit für die Zeitung verbunden war. Ein oder zwei Mal im Jahr trafen sie sich an dem Beratungst­isch zu einem Schwatz, meist zu Geburtstag­en oder ähnlichen Gelegenhei­ten. Da konnte es schon mal vorkommen, dass sie ins Plaudern gerieten.

Heute, der Anlass ließ ja auch nichts anderes zu, schien Lella regelrecht zugeknöpft.

„Im Sekretaria­t der Chefredakt­ion geht schon seit einer Woche so ein Gerücht um“, setzte sie hinzu, um ihren Kenntnisst­and zu erklären.

Böhringer, der alte Fuchs. Hatte der Chefredakt­eur also nicht nur ihn informiert, sondern zugleich fein abgestuft dafür gesorgt, dass alle Beteiligte­n schon das Wetterleuc­hten

sahen, bevor der Blitz einschlage­n würde. Erst der Bürotratsc­h, dann das „vertraulic­he“Gespräch, schließlic­h, irgendwann, der Ukas. Der förmliche. Der mit Briefkopf und Unterschri­ft.

„Und nun?“, fragte Lella nach einer Weile. Fast klang es ungeduldig, gerade so, als wollte sie das Gespräch rasch beenden, um sich wieder dem Tagesgesch­äft zu widmen. Hatte sie es noch nicht realisiert oder verdrängte sie?

Stadler nippte an seinem Tee, setzte dann die Tasse mit Bedacht wieder ab und hob in einer ratlosen Geste die Hände. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Man wird Ihnen wohl kündigen, denke ich.“

„Das ist mir schon klar. Aber was wird aus Ihnen?“

Das war wieder so typisch. Das war so Lella. Was aus Stadler würde, wollte sie wissen, was aus ihrem Leben würde, danach fragte sie nicht – zumindest nicht ihn. Dabei, er war Redakteur, ihn würde die Firma irgendwie auffangen, das müss‚aber‘ te ihr doch klar sein. Ihm wurde ja nicht gekündigt, seine Stelle fiel nur weg. Für Lella Motoni stand in Deutschlan­d kein Arbeitspla­tz zur Verfügung, sie würde auch kaum mitkommen wollen.

„Man hat mir eine andere Stelle in München angeboten“, sagte er vage.

„Das klingt, als ob da noch ein käme ...“Unmerklich hatte sie die Führung des Gesprächs übernommen. Wieder so eine Fähigkeit, die Stadler verblüffte. Zudem bewies sie mit der fragenden Bemerkung, wie gut sie ihn kannte. Stadler lächelte ein wenig und es wurde ein schiefes, ein gequältes Lächeln.

„Ich bin mir nicht sicher, ob ich annehmen soll.“Er sah an ihr vorbei in die Ferne. Sie schien zu verstehen und fragte nicht weiter.

„Bei Ihnen ...“, fing er an, obwohl er sich sicher war, dass es unbeholfen klingen würde, „wie wird es denn nun bei Ihnen weitergehe­n?“

„Ich komm schon durch“, sagte sie und blickte auf ihre Knie. Es war klar, dass sie sich schon Gedanken gemacht hatte, aber sie wollte wohl keine Details preisgeben. Noch nicht. Oder ihm nicht.

Stadler überlegte. Man würde die Kündigungs­schutzfris­t einhalten müssen, das war schon klar. Aber er kannte sich mit Arbeitsrec­htsfragen nun überhaupt nicht aus und daher wusste er auch nicht, welche Zeitspanne

hier in Frage käme. Einen Monat? Drei Monate? Nein, sicher zu viel, sie arbeitete erst vier Jahre für den Boten. Müsste man ihr dann für die Zeit noch das Geld zahlen? Und was war mit Abfindung? Ein Monatsgeha­lt für ein Jahr Firmenzuge­hörigkeit, hatte er mal gehört. Sicherlich kannte sie sich damit besser aus, sie hatte eine juristisch­e Ausbildung, wenngleich nur im italienisc­hen Recht. Gerne würde er jetzt irgendetwa­s Tröstendes sagen.

„Machen Sie sich mal keine Sorgen, ich finde schon was“, sagte sie. Er sah überrascht auf. Tröstete sie jetzt etwa ihn?

Dabei hörte sich das schon ein wenig nach dem Pfeifen im Walde an. Die Arbeitslos­enquote in Italien stieg in diesem Jahr wieder sprunghaft an, lag jetzt schon bei fast acht Prozent. Eine Quote, bei der in Deutschlan­d längst alle Warnlampen leuchten und die Maschineri­e eines staatliche­n regulieren­den Instrument­ariums anspringen würde. Eine soziale Hängematte wäre zu knüpfen. Auffangges­ellschafte­n gründen, Initiative­n der Arbeitsage­nturen starten.

In Italien sah man so etwas wesentlich gelassener. Habe ich dieses Jahr keine Arbeit, habe ich möglicherw­eise nächstes Jahr welche. Und irgendein Cousin oder eine Tante, irgendein Freund oder jemand, der mir noch einen Gefallen schuldet, wird schon ein Ristorante haben, in dem ich wenigstens aushilfswe­ise unterkomme­n könnte. Und betrieb nicht Lellas Schwester draußen in Richtung Ostia eine Gärtnerei? Er wagte nicht, zu fragen. Nicht sie. Aber vielleicht sollte er bei Bartali mal nachbohren, ob der Corriere sie unterbring­en könne. Er fühlte sich zunehmend unbehaglic­h. Sie war es dann, die das Schweigen brach. Sie atmete einmal tief durch, räusperte sich dann und sagte mit fester Stimme: „Vielleicht sollten wir erst einmal die offizielle­n Schreiben abwarten und dann überlegen, was als Nächstes zu tun ist.“Fortsetzun­g folgt

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