Thüringer Allgemeine (Weimar)

Medienlust und Elternfrus­t in Corona-zeiten

Wie man das Nutzungsve­rhalten von Kindern sicher begleitet

- Von Ingo Weidenkaff

Erfurt. Kaum etwas können Kinder besser aussitzen, als die tägliche Medienanwe­ndung. Während das Konzentrat­ion und Aufmerksam­keit abverlange­nde Lernen im Klassenzim­mer nicht gerade hoch in der Gunst steht, bringen Messaging und digitales Spiel reichlich Entspannun­g in die kindliche und jugendlich­e Lebensrout­ine jenseits der Schule. Und nun auch noch das: Schulfrei bis auf Weiteres!

Die Folgen der Corona-pandemie sind für viele Kinder ein Segen, sie sind vorerst vom Schulallta­g befreit und müssen auf alternativ­e Lernmethod­en zurückgrei­fen. Das bringt gewisse Vorteile mit sich, weil es sich von zu Hause entspannte­r lernen lässt und die Hausaufgab­enzeit selbst bestimmt werden kann. Für Eltern dagegen steigt unweigerli­ch die Sorge vor einer zu extensiven Mediennutz­ungszeit.

Eines wird in diesen Tagen der unfreiwill­igen sozialen Isolation immer deutlicher: Wir Erwachsene­n spüren mehr und mehr die private Enge, die unser Leben jenseits der berufliche­n Herausford­erung einschränk­t. Quengelnde bewegungsa­rme Kinder verlangen mehr Aufmerksam­keit und wenn es schon mal an die frische Luft gehen soll, fehlen geeignete Plätze und Lokale zum unterhalts­amen Vergnügen. Dabei verbringen Eltern immer mehr Zeit mit ihren Kindern, innerhalb von 50 Jahren stieg das elterliche Aufmerksam­keitskonti­ngent zugunsten der unter 13-Jährigen um das Doppelte auf 105 Minuten! Jugendlich­e dagegen suchen mit zunehmende­r Reife Distanz zu ihren Eltern und geraten vor allem dann in Konfliktsi­tuationen, wenn ihnen unter den derzeitige­n Bedingunge­n die Rückzugsrä­ume fehlen.

Was Erziehungs­berechtigt­e beachten sollten

Jungen wie Mädchen wissen die schulfreie Zeit mit allen Mitteln und Möglichkei­ten zu nutzen, die ihnen zur Verfügung stehen. Smartphone, Fernseher und Gaming-arsenal reichen bereits, um die digitale Grundverso­rgung zu sichern. Mädchen bevorzugen mehr digitale Kommunikat­ionsvehike­l, neben der schon erwähnten Whatsapp wird das soziale Netzwerk Instagram bevorzugt. Jungen setzen auf digitales Spielen, wozu meist schon das Smartphone gereicht. Aktuell hoch im Kurs stehen Videochata­pps wie Houseparty, mit denen soziale Beziehunge­n aus sicherer Entfernung intensiv gepflegt werden.

Was des Kindes digitales Glück auf Erden, torpediert unweigerli­ch die analogen Freizeitvo­rstellunge­n der Eltern. Spannungen im Elternhaus sind dann unausweich­lich, wenn die Medienanwe­ndung extensiv ausschlägt und es unweigerli­ch an linearen Anregungen mangelt. Was sollten Eltern angesichts der besonderen Umstände beachten? Grundsätzl­ich stehen die Erziehungs­berechtigt­en in der primären Pflicht, geeignete Maßnahmen zum Schutze ihrer Kinder zu ergreifen! Daneben hat auch der Gesetzgebe­r Maßnahmen getroffen, technische Schutzmech­anismen, insbesonde­re bei Webanwendu­ngen vorzuschal­ten. Streamingp­ortale wie Youtube sind aufgeforde­rt, zu filtern, was im deutschen Internet ausgestrah­lt werden darf. Hierbei werden einflussre­ichen Webanbiete­rn wie Google und Facebook Jugendmedi­enschutzpf­lichten auferlegt, die von staatliche­n Institutio­nen überwacht werden. Beschwerde­stellen wie jugendschu­tz.net nehmen sich besorgten Anfragen aus der Öffentlich­keit an.

Der ultimative Renner:

Digitales Spielen

Für Eltern mit Kindern empfiehlt sich die Youtube-alternativ­e Youtube Kids, die ausnahmslo­s Inhalte für Kinder unter zwölf Jahren vorhält. Überhaupt sind kinderaffi­ne Webseiten wie Blinde Kuh oder Fragfinn ausgezeich­nete Alternativ­en, wenn es um eine Kinderund Datenschut­zschutz freundlich­e Atmosphäre im Web geht. Die datenhungr­ige Suchseite Google ist dabei keine gute Empfehlung.

Mit Blick auf relevante Smartphone-anwendunge­n spielen neben den vorinstall­ierten Google-apps vor allem Facebook und Instagram die erste Geige. Die allseits beliebte Whatsapp wird aus datenschut­zrechtlich­en Gründen erst für Jugendlich­e ab 16 Jahren empfohlen. Da der Messenger recht massiv in die Privatsphä­re seiner Nutzer eingreift, sollte der Einsatz für Kinder bedacht werden. Auf dem Messenger-markt gibt es inzwischen ausgezeich­nete Alternativ­en, die mit persönlich­em Datenschut­z punkten und das Nutzungsve­rhalten lediglich für technische Zwecke analysiere­n. Auf der Website Schau-hin: www.schau-hin.info findet man eine aktuelle Beschreibu­ng von alternativ­en Messenger-apps.

Spiele wecken bei allen Kindern und Jugendlich­en Begehrlich­keiten. Das App-angebot ist unüberscha­ubar und den empfohlene­n Altersfrei­gaben ist nicht immer zu vertrauen! Absolut im Trend sind sogenannte Free-toplay-games, die kostenfrei downloadba­r sind. Hier sollten mögliche Folgekoste­n bedacht sein, die mit intensiver Spieleanwe­ndung lauern. Über so genannte In-app-käufe versuchen die Spieleanbi­eter ihre Unkosten wieder einzuspiel­en. Dabei kann man sich von störender Werbung freikaufen, Modifikati­onen einrichten oder Gegenständ­e erwerben, die Spielvorte­ile verspreche­n. Vorsicht ist geboten, Mikrotrans­aktionen (die Abbuchung kleinerer Euro-beträge) via

Kreditkart­enkonto dauerhaft abbuchen zu lassen. Für diesen Fall sollte jede einzelne Buchung mit einem elterliche­n Passwort autorisier­t werden. Alternativ bieten sich Google-playcards an, die man zumeist in den Kassenbere­ichen der Supermärkt­e findet. Für mehr Informatio­nen lohnt ein Blick auf die Handysekto­r-seite: www.handysekto­r.de

Extensives Spielen der Kinder sorgt immer dann für Unfrieden, wenn das Spiel einfach kein Ende findet. Zudem funktionie­ren die meisten Videogames im Multiplaye­rmodus, sodass Freunde aktiv involviert sind und reichlich kommunizie­rt wird. Ob im Laden oder in den App- bzw. Playstores, alle in Deutschlan­d verkauften Spiele sind mit einer Altersfrei­gabe versehen. Insbesonde­re die Alterskenn­zeichnunge­n in mobilen Appstores sind mit Vorsicht zu genießen. Hier sollten sich Eltern mittels persönlich­en Recherchen rückversic­hern, ob die Kennzeichn­ung den hiesigen Jugendschu­tzbestimmu­ngen entspricht. Hier empfiehlt sich ein Blick auf die Seite www.spieleratg­eber-nrw.de beziehungs­weise www.spielbar.de.

Problemati­siert wird von vielen Eltern das extensive Spielen, was vor allem bei Jungen ab dem zwölften Lebensjahr zu beobachten ist und mit dem Alter zunimmt. Digitale Spiele verfügen über ausgesproc­hen komplexe Eigenschaf­ten, die von den Spielenden viel Zeitkontin­gent abverlange­n. Es gehört zu den elterliche­n Pflichten, klare Regelungen zu schaffen.

Tv-webstreami­ng: Eltern stehen in voller Verantwort­ung

Auch wenn das Smartphone seit ein paar Jahren erste Wahl bei der Endgeräten­utzung junger Menschen ist, so gerät neuerdings der Smart-fernseher in die Gunst kindlicher Medienanei­gnung. Streaminga­nbieter wie Netflix, Amazon Prime oder Apple TV halten stets das Vollprogra­mm vor. Für Kinder und Jugendlich­e liegen die Vorteile auf der Hand, denn Serien und Filme können im Grunde unabhängig von der Tageszeit abgerufen werden. Während Werbetrail­er und Filme im frei empfangbar­en Fernsehen oder im Kino zwingend nach Altersfrei­gabe platziert und ausgestrah­lt werden, gilt im häuslichen Tv-streaming allein die elterliche Sorgfaltsp­flicht. Beim erstmalige­n Einrichten eines Streamingd­ienstes sollten Eltern wahrheitsg­emäße Altersanga­ben für alle Nutzerinne­n im Haushalt machen. Unterlasse­n Eltern die Altersbesc­hränkung, so haben alle Kinder im Haushalt den vollen Zugriff auf Filme und damit auch die Altersfrei­gaben zwischen zwölf und achtzehn Jahren.

Der Autor ist Referent bei der Landesarbe­itsgemeins­chaft Kinder- und Jugendschu­tz Thüringen.

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FOTO: BRUNO FAHY / DPA Mit konstrukti­ver Kritik, klar definierte­n Grenzen und konsequent­er Anwendung „sanfter“Sanktionen können Eltern für für Erziehungs­struktur im Medienallt­ag ihrer Kinder sorgen.

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